Regierung von lediglich einem Abgeordneten suchte die Regierung schon bald nach
Möglichkeiten ohne Mehrheiten zu regieren, wobei sich das Kriegswirtschaftliche
Ermächtigungsgesetz von 1917 als nützliches Instrument erwies.”° Am 4. Márz traten aufgrund
einer Geschäftsordnungskrise im österreichischen Nationalrat die drei Parlamentspräsidenten
zurück, womit nach Ansicht der Regierung das Parlament aufgrund seiner eigenen Handlungen
als aktionsunfáhig galt.?" Dies nahm die Regierung zum Anlass, um auf Grundlage des Kriegs-
wirtschaftlichen Ermáchtigungsgesetztes einen autoritären Kurs einzuschlagen.? Wurde
zunächst nur an eine Suspendierung des Nationalrats auf Zeit gedacht, zeigte sich bereits im
Mai, dass die Regierung nicht zum Parlamentarismus zurückkehren wollte. Am 11. September
1933 präsentierte Dollfuss in der sogenannten Trabrennplatzrede die Zielsetzung des
autoritären Kurses, welche die Abkehr von der parlamentarischen Demokratie hin zum
stándischen Neubau des Staates umfasste.?? Dazu wurde der vorarlbergische Landeshauptmann
Otto Ender mit der Gestaltung einer neuen Verfassung auf stándischer Grundlage beauftragt"?
Sukzessiv wurden sowohl die Oppositionsparteien verboten als auch die Regierungsparteien
aufgelöst, an deren Stelle die politische Monopolorganisation der Vaterlándischen Front trat.
Durch die Proklamation der neuen Verfassung am 1. Mai 1934 kam die Konstituierung des
austrofaschistischen Herrschaftssystems weitgehend zu ihrem Ende.?!
2.2 Die austrofaschistische Ideologie
Das ideologische Selbstverstándnis des Austrofaschismus setzte sich zusammen aus
Bestandteilen von antidemokratischen, antiparlamentarischen, antimarxistischen und berufs-
stándischen Vorstellungen, die im bürgerlichen Lager bereits vor dem politischen Umbruch
präsent waren.? So gewann die Idee der berufsstindischen Ordnung als Alternative zum
Parlament angesichts der politischen und wirtschaftlichen Krisen Ende der Zwanzigerjahre
zunehmend an Attraktivitát. Die Vorstellungen einer harmonischen Gesellschaft, wie sie unter
anderem in Othmar Spanns korporativer Gesellschaftslehre des Universalismus?, in der
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?6 Staudinger, Christlichsoziale Partei, S. 267 — 268.
27 Carsten, Faschismus in Österreich, S. 212.
23 Kluge, Der österreichische Ständestaat, S. 12.
29 Kustatscher, „Berufsstand“ oder „Stand“, S. 65.
30 Carsten, Faschismus in Österreich, S. 213.
31 Tälos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem, S. 552.
32 Ebd., S. 553.
? Die universalistische Lehre des Wiener Nationalókonomen Othmar Spann verstand sich als ein Gegenentwurf
zu einer ,individualistschen* Gesellschaftsauffassung, von welcher sowohl der Liberalismus als auch der
Sozialismus durchdrungen sei. Wáhrend der Universalismus jedes Glied der Gesellschaft als Bestandteil eines
Gesellschaftsganzen, eines Gesamtorganismus verstehe, verabsolutiere der Individualismus das Individuum und
fasse die Gesellschaft nur als Summe von Individuen auf, wodurch die Existenz eines Gesellschaftsganzen
geleugnet werde. Spann propagierte einen Neuaufbau der Gesellschaft indem sie in Stánde organisiert und jene
Stánde ihrer ,, Wertigkeit" nach geschichtet werden. Dadurch werde der Gesellschaftsaufbau eine pyramidenartige
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