Antoni Täapies (*1923)
Escalier, 1988
Terre chamottee
57X 77X 81 cm
Bez. seitl. u. r.: Täpies
LSK 93.25
Antoni Täpies’ Interessse an dreidimensionaler Kunst ist relativ
spät erwacht. Sein Landsmann und Generationsgenosse Eduar-
do Chillida war es, der Täpies 1981 anregte, in der keramischen
Werkstatt des gemeinsamen Galeristen Maeght in Saint-Paul-
de-Vence Experimente mit Plastiken aus schamottiertem Ton
anzustellen. Chillida selbst hatte sich bereits seit dem Sommer
1977 in diesem Werkstoff mit Hilfe des erfahrenen deutschen
Keramikers Hans Spinner versucht; Täpies folgte ihm — beraten
vom selben Mentor — zunächst in den Ateliers der Fondation
Maeght, dann in einer zweiten, 1983 beginnenden Schaffens:
periode in einer dörflichen Werkstatt nahe seiner Vaterstadt Bar-
celona. Neue, aber bescheidene Materialien und die ihnen ange-
messenen Verfahrensweisen hatten ihn seit jeher angezogen, vor
allem dann, wenn sie ihm ermöglichten, sozusagen handgreif-
lich zu werden und das massive Material unter Einsatz körperli-
cher Kraft zu gestalten. In den Worten des Dichters Jose Angel
Valente heisst das: «Es ist sinnlos, bei Täpies von Abstraktion
oder Figuration zu sprechen. Die Form zeigt nicht: sie ist. Die
Form ist die Materie.»
Die aus schamottiertem Ton gefertigte Plastik Escalier (Treppe)
stellt ein isoliertes und dadurch verselbständigtes Architektur-
detail dar. Zahlreiche Spuren fordern den Scharfsinn des Be-
trachters heraus. Gemäss der aufsteigenden Reihe der Ziffern
* —2-—3 müsste es die Funktion des Treppchens sein, nach oben
zu führen. Nach der Topologie der Ziffern bietet die Treppe je-
doch den Abstieg an. In diesen augenscheinlichen Richtungs-
wirrwarr mischen sich der weisse, nach oben weisende Pfeil und
vor allem die Fussabdrücke ein. Letztere bekunden eindeutig,
dass das Objekt Z7reppe noch vor dem Schamottieren von einer
aufsteigenden Person benutzt worden ist. Mit der Feststellung
dieser Widersprüche wird die Realität Treppe gebrochen und
von der Realität Kunstwerk in Frage gestellt. Dieser Ambiguität
darf man mit dem Täpiesschen Kunstverständnis von der «rea-
lite comme art» begegnen, das er so beschreibt: «Il ne s’agit
donc en aucune facon, malgre les apparences, d’un retour au
realisme classique>. Il s’agit simplement — mais que de luttes
pour y parvenir! — de comprendre que notre vie, notre corps in-
dividuel, notre corps de relations sociales et celui que nous for-
mons avec la nature, c’est-ä-dire la Realite tout entiere, de-
vraient Etre consideres par chacun d’entre nous comme la
natiere meme dans laquelle il nous faut modeler la plus belle
sculpture. L’art de vivre. Rendre la vie la plus <belle> possible
"...], ou, selon une expression qui n’est pas toujours de bon aloi,
ameliorer la qualite de la vie.»? E.T.
Valente, Jose Angel: Fünf Fragmente für Antoni Täpies. In: Messer, Thomas M.:
Antoni Täpies. Köln, 1993, S. 142.
Täpies, Antoni: La Realit& comme art. Galerie Maeght, Paris, 1986, S. 7 f.
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