Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2000)

Liechtensteiner Volksblatt 
A Ü ÄÄ N D 
Donnerstag, 20. Juli 2000 28 
Nachrichten 
Revision im iranischen 
Spionageurteil . 
TEHERAN: Die Verteidiger der kürzlich we 
gen Spionage für Israel verurteilten iranischen 
Juden haben Berufung gegen das Urteil einge 
legt. Dies meldete die staatliche Nachrichten 
agentur Irna am Mittwoch. Die zehn iranischen 
Juden waren in Schiras zu Haftstrafen zwischen 
vier und 13 Jahren verurteilt worden. Ihre Ver 
teidiger fordern eine Herabsetzung der Strafen 
auf drei Monate bis fünf Jahre, weil sie nur Mit 
glieder eines Spionagenetzes gewesen seien, 
nicht aber Organisatoren des Netzes. Der Pro- 
zess hatte unter Ausschluss der Öffentlichkeit 
stattgefunden und war im Ausland, vor allem in 
Israel und den USA, wegen mangelnder 
Rechtsstaatlichkeit scharf kritisiert worden. 
Irans Präsident Mohammed Chatami hatte hin 
gegen die Urteile als «milde» verteidigt, da 
Spione in Iran normalerweise zum Tode verur 
teilt würden. 
EU: Bald Partnerschaft 
mit Kroatien? 
BRÜSSEL: Noch vor dem EU-Balkan-Gipfel 
im November will die EU-Kommission Ver 
handlungen mit Kroatien Uber ein Assoziie 
rungsabkommen aufnehmen. Die ■ Brüsseler 
. Behörde will damit die politischen und wirt 
schaftlichen Veränderungen in Zagreb seit dem 
Tod von Präsident Franjo TUdjman und dem 
Amtsantritt der neuen Regierung unter Stipe 
Mesic Anfang des Jahres honorieren, wie sie am 
Mittwoch mitteilte. «Die EU ist entschlossen, 
Kroatien zu unterstützen», sagte EU-Aussen- 
kommissar Chris Patten am Montag. 
Belastungsprobe für 
französische Regierung 
PARIS: Die Suche nach einer Lösung für die 
politischen Probleme auf der Ferieninsel Korsi 
ka erweist sich als Belastungsprobe für die fran 
zösische Regierung. Innenminister Jean-Pierre 
Chevenement drohte mit Rücktritt, falls den 
korsischen Nationalisten zu grosse Zugeständ 
nisse gemacht würden. «Premierminister Lionel 
Jospin weiss, bis wohin ich nicht gehen kann», 
sagte er der Zeitung «Le Monde» vom Mitt 
woch. Landwirtschaftsminister Jean Glavany 
stärkte ihm indirekt den Rücken: Viele Kabi 
nettsmitglieder teilten Chevenements Beden 
ken, erklärte er. Am Donnerstag ist ein Treffen 
zwischen der Regierung und den Abgeordneten 
des korsischen Regionalparlaments geplant. 
Chevenement kritisierte insbesondere die 
Forderung der Korsen, eigenständig Gesetze 
beschliessen zu können. Die Gesetzgebungs 
kompetenz müsse weiterhin in der. Hand der 
Pariser Nationalversammlung liegen, sonst wer 
de die «Büchse der Pandora» geöffnet, sagte er. 
Baskische Terroristen 
schlugen erneut zu 
VITORIA: Der von der spanischen Regierung 
der baskischen Untergrundorganisation ETA 
zugeschriebene Bombenterror geht unvermin 
dert weiter. Ein sozialistischer Spitzenpolitiker 
in Malaga und seine Familie entgingen gestern 
nur knapp dem Tode, weil eine an seinem Auto 
angebrachte Bombe nicht richtig funktionierte. 
In der Nacht zuvor explodierte in einem Ein 
kaufszentrum der baskischen Hauptstadt Vito- 
ria ein Sprengkörper und richtete schwere 
Schäden (unser Bild) an. Menschen wurden je 
doch nicht verletzt, da sich zum Zeitpunkt der 
Explosion um Mitternacht niemand in der Nähe 
aufhielt. Es handelte sich bereits um den vierten 
und fünften Anschlag binnen einer Woche, hin 
ter dem die Polizei die ETA vermutet. Wie die 
Nachrichtenagentur Efe mitteilte, war die Bom 
be am Auto des stellvertretenden sozialistischen 
Parteichefs von Malaga, Jose Arsenjo, mit der 
Zündung gekoppelt. Als er mit seiner Frau und 
seinem Sohn in dem Wagen Platz genommen 
hatte und den Zündschlüssel umdrehte, versag 
te die Zündung der Bombe. • 
Präsident Bill Clinton "hat seine Abreise nach Japan um einen Tag verschoben, um den israelischen Regierungschef Ehud Barak (links) und Palästinenser- 
Präsident Jassier Arafat doch noch in letzter Minute zu einer Einigung zu bewegen. 
Zähes Ringen in C amp David 
Nahostgipfel droht zu scheitern - Annan fordert Kompromissbereitschaft 
CAMP DAVID: Am Nahost- 
Gipfel in Camp David bezich 
tigten sich Israel und die Paläs 
tinenser am Mittwoch gegen 
seitig, eine Einigung zu verhin 
dern. Der israelische Regie 
rungschef Ehud Barak bereite 
te seine Abreise vor. 
Barak zeigte sich zutiefst pessimis 
tisch Uber die Erfolgsaussichten des 
Nahost-Gipfels. Er beschwerte sich 
schriftlich bei US-Präsident Bill 
Clinton Uber die seiner Ansicht 
nach mangelnde Kompromissbe 
reitschaft der Palästinenser. 
«Wenn es nicht in letzter Minute 
noch Entwicklungen gibt, dann 
müssen die Palästinenser die Ver 
antwortung für die tragischen Kon 
sequenzen tragen, die daraus fol 
gen, diese Gelegenheit verpasst zu 
haben», schrieb der israelische Mi 
nisterpräsident. 
Die israelische Delegation erhielt 
Anweisung, sich für Mittwochabend 
reisefertig ;zu pachen. Die Maschi 
ne nach Tel Aviv starte um 20.00 
Uhr Ortszeit (Donnerstag 02.00 
Uhr MESZ), hiess es in einem Rei 
seplan, der der französischen Nach 
richtenagentur AFP vorlag. 
Vermeintliche Drohung 
kritisiert 
Bereits am 'Morgen hatte Barak 
in Israel verbreiten lassen, er werde 
die Verhandlungen abbrechen, weil 
sie in eine Sackgasse geraten seien. 
Auf US-Seite ^vurde dies als öffent 
lichkeitswirksame Drohung gewer 
tet. Ein israelischer Diplomat sagte, 
Barak wolle sein heimisches Publi 
kum damit auf ein Scheitern des 
Gipfels vorbereiten. Die vermeintli- 
, : :v- 
che Drohung wurde von palästinen 
sischer Seite kritisiert. Sie erinnere 
an Baraks Vorgänger Benjamin Ne 
tanjahu, der im Oktober 1998 mit 
dem Abbruch eines bilateralen Gip 
fels in den USA drohte, am Ende 
aber ein Abkommen unterschrieb. 
Allerdings soll auch Arafat in der 
vergangenen Woche bereits mehr 
fach mit dem Abbruch der Verhand 
lungen gedroht haben. 
Zum Auftakt des neunten Tags 
der Verhandlungen traf Clinton mit 
Palästinenserpräsident Yassir Ara 
fat zusammen. Übereinstimmenden 
Berichten zufolge steckten die Ver 
handlungen vor allem in der Frage 
der Zukunft Jerusalems fest, das 
beide Seiten als Hauptstadt für sich 
beanspruchen. Die Palästinenser 
machten Israel dafür verantwort 
lich, dass es keine Fortschritte gebe. 
Barak wolle «ganz Jerusalem 
schlucken», sagte ein Palästinenser 
vertreter. Clinton hatte in der Nacht 
seine geplante Abreise nach Japan 
zum G-8-Gipfel in Okinawa um 24 
Stunden verschoben und einen Ex 
tratag auf dem Landsitz im Bundes 
staat Maryland eingelegt. 
Angesichts der dramatischen Zu 
spitzung der Verhandlungen dräng 
te UNO-Generalsekretär Kofi An 
nan Israelis und Palästinenser, mehr 
Kompromissbereitschaft als bisher 
zu zeigen. 
Die Friedensgespräche könnten 
sonst zum Scheitern verurteilt sein, 
fürchtet der UNO-Chet Er appel 
lierte am Mittwoch in New York an 
beide Seiten, einen «Geist des Neh 
mens und Gebens zu entwickeln 
und jene Art von Kompromissen 
anzubieten, die Kompromissvor 
schläge zurückbringen, damit es 
weiter geht.» 
Es geht um «verschwundene» Akten aus der Zeit Kohls 
BERLIN: Die Bundesregierung hat 
beim Landgericht Bonn Strafantrag 
wegen der verschwundenen Kanz 
leramtsakten gestellt. Die Anzeige 
wegen Verwahrungsbruchs durch 
den amtierenden Kanzleramtschef, 
frank-Walter Steinmeier, richte sich 
gegen Unbekannt, wie Regierungs 
sprecher Uwe-Karsten Heye am 
Mittwoch in Berlin mitteilte. 
Nach Informationen der Hambur 
ger Wochenzeitung «Die Zeit» sol 
len engste Mitarbeiter des früheren 
Kanzleramtschefs Friedrich Bohl 
persönlich Akten aussortiert haben. 
Altkanzler Helmut Kohl begrüsste 
. den Beschluss der Regierung, An 
zeige zu erstatten. In einer Er 
klärung heisst es, Kohl habe von An 
fang an eine seriöse Überprüfung 
der erhobenen Vorwürfe gefordert. 
Kohl hoffe, dass das Gericht eine 
umfassende Aufklärung herbeifüh 
re und eine baldige abschliessende 
Prüfung vornehme. 
«Die Zeit» berichtete unter Bera 
tung auf die Anhörungsprotokolle 
des Sondere^nittlers der neuen 
Bundesregierung, Burkhard Hirsch, 
über die Agsäage einer Sekretärin 
aus Böhls Bjirb. Danach hätten 
Böhls Bür<jleijer und dessen Refe 
rent Akten Aussortiert und ver 
nichtet». S& selbst sei «angewiesen 
worden, die, Hausarbeiter mit Con 
tainern zu «holen» und habe «das 
Vernichten des Papiers durch die 
Hausarbeit^r» beaufsichtigt. 
Hirsch hatte seinen Bericht vor 
drei Wochqp vorgelegt und festge 
stellt, dass damals zwei Drittel der 
Daten im Kanzleramt zentral und 
heimlich gelöscht wurden sowie 
wichtige Akten verschwunden wa 
ren. Verantwortliche hatte Hirsch 
noch nicht benannt. 
Die ProtQkplle Hirschs wurden 
der «Zeit» zufolge inzwischen der 
Bonner Staatsanwaltschaft überge 
ben. ; ? 
Böhls Buroleiter sagte laut An- 
hörungsprotokoll aus; bei dem 
Kanzleramt&Kef seien «keine 
AmtsaktemsefUhrt» worden, wohl 
aber «Koalitionsakten» und eine 
«Ablage persönlicher Unterlagen». 
Die seien teilweise entsorgt wor 
den. Die «Zeit» erklärte, ihr liege ei 
ne bislang geheim gehaltene Liste 
aus rekonstruiertem Datenmaterial 
vor, die die Akten im Büro Bohl be 
schreibe: «Es waren keineswegs nur 
Privatpapiere, sondern Akten über 
den Bundesnachrichtendienst, Waf 
fenverkäufe oder aussenpolitische 
Strategiepapiere. Alle Papiere sind 
bislang verschwunden.» Bohl habe 
sich dazu nicht äussern wollen. 
Im BUrobereich des damaligen 
Bundeskanzlers Kohl seien «unter 
anderem alle Daten des zentralen 
Such- und Findsystems des 
Kanzlersamtes gelöscht» worden. 
Ein Zeuge, der in diesem Büro ar 
beitet, sagte der «JEeit» zufolge über 
die Vernichtung: «Die Anweisung 
kam von Dr. Neuer». Walter Neuer 
war der Bürochef von Kohl und sag 
te dazu aus, er habe seinerseits Wei 
sung erhalten. 
Allerdings nicht von seinem Chef 
Helmut Kohl, sondern nur von ei 
nem Abteilungsleiter. 
Chile 
Niederlage für 
Pinochet 
Der frühere chilenische Dikta 
tor Augusto Pinochet hat ges 
tern beim Verfahren zur Entzie 
hung seiner Immunität eine er 
ste Niederlage hinnehmen müs 
sen. Die Richter lehnten die Ein 
holung eines Gesundheitsgut- 
achtens ab. Die Rechtsanwälte 
des 84-Jährigen hatten gehofft, 
mit einem medizinischen Nach 
weis über die Verhandlungsun- 
fähigkeit ihres Mandanten das 
Verfahren verhindern zu kön 
nen. Pinochet droht bei Aufhe 
bung der Immunität ein Verfah 
ren wegen Entführungen, Er- 
schiessungen, Morden, Folter 
und dem Verschwindenlassen 
von etwa 3000 Oppositionellen 
in der Zeit seiner Diktatur von 
1973 bis 1990. Vor dem Gericht 
demonstrierten Anhänger und 
Gegner Pinochets. Kritiker des 
Verfahrem sprachen von einem 
politischen Prozess gegen die 
Geschichte Chiles. Die Befür 
worter hofften auf späte Ge 
rechtigkeit durch eine Verurtei 
lung des Ex-Diktators. 
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