Zehn Jahre vergingen, bis die Bemühungen um eine fortschritt-
liche Verfassung wieder aufgenommen wurden. Im Jahre 1858
trat der junge Fürst Johannes II. die Nachfolge seines Vaters an.
1862 unterzeichnete er die konstitutionelle Verfassung. Der
durch Wahlmänner gewählte Landtag wirkt bei der Gesetzgebung
entscheidend mit, hat das Budgetrecht und vor allem das Recht
auf Initiative in Gesetzes- und Verwaltungsangelegenheiten. Der
erste Parlamentspräsident, Dr. Karl Schaedler, spricht bei der Er-
öffnungssitzung Worte, die erkennen lassen, welche Bedeutung
dem neuen Grundgesetze beigelegt wurde: «So wird es uns all-
mählich gelingen, den geistigen und materiellen Zustand unseres
Landes zu heben und aus dem Untertanen einen seiner Freiheit
und seiner Recht bewussten, auf die Institutionen des Landes
stolzen, mit Liebe zur Heimat erfüllten Bürger zu bilden».
Das wichtigste Ereignis dieser Zwischenzeit ist ein wirtschaft-
liches: Im Jahre 1852 wurde der Zollvertrag mit Österreich-Un-
garn abgeschlossen. Er brachte nicht nur die Zollunion mit dem
grossen Nachbarn, sondern auch die Währungseinheit. Während
längst die anderen Staaten des Deutschen Bundes durch den
Deutschen Zollverein zusammengeschlossen waren, blieb Liech-
tenstein durch seine geographische Lage isoliert und dadurch
schwer behindert. Nun konnte eine wirkliche Besserung erwartet
werden, und zudem machten die Zollrückvergütungen Österreichs
dauernd mehr als die Hälfte, in manchen Jahren drei Viertel der
Staatseinnahmen aus. Der Vertrag war ein Eckpfeiler unserer
Wirtschaft bis zur Kündigung im Jahre 1919.
EIN JAHRZEHNT GROSSEN FORTSCHRITTES
‘1858 — 1868)
Der junge Fürst Johannes II. besuchte sogleich nach seinem
Regierungsantritt das Land, entsendet einen sehr fortschrittlichen
obersten Beamten (Landesverweser war seit der Abschaffung des
Titels Landvogt die Bezeichnung), und die Zusammenarbeit mit
dem Landtag ist die beste. Es ist erstaunlich, was in einem einzi-
gen Jahrzehnt geleistet wurde, nicht zuletzt durch die Begeiste-
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