Stefan Oeter
angesichts der beschränkten Ressourcen der Bundesebene bis weit ins
19. Jahrhundert hinein von eher beschränkter militärischer Bedeutung
war. Erst der Bürgerkrieg der Jahre 1861-1866 hat hier dramatische
Verschiebungen gebracht und den Bund zum zentralen militärischen
Akteur aufrücken lassen. In der Schweiz bestand bis 1848 überhaupt
keine militärische Struktur auf zentraler Ebene. Und selbst die nach dem
Sonderbundskrieg 1848 geschaffene militärische Struktur des Bundes
ruhte letztlich doch weiter auf den Milizstrukturen kantonaler Tradition
auf, wenn auch diese Milizstrukturen zunehmend vereinheitlicht und
unter weitgehende Kontrolle des Bundes gebracht wurden.®
Das Beispiel zeigt: Formen gesamthänderischer Regierungsgewalt
mit verteilten Rollen für eine Mehrzahl von Organen mit exekutivischen
Funktionen sind alles andere als untypisch für «bündische» Gemeinwe-
sen. Dass die meisten dieser Bünde im Verlaufe ihrer ein bis zwei Jahr-
hunderte umfassenden Entwicklungsgeschichte starke Schübe an Zen-
tralisierung erlebt haben und heute meist über eine Bundesebene mit
weit ausgedehnten Kompetenzen und starken Exekutivgewalten verfü-
gen, besagt noch nicht, dass jedes bündische Gefüge unweigerlich in ei-
nem mehr oder weniger idealtypischen Bundesstaat aufgehen muss.
Wollte man dies behaupten, so begäbe man sich auf stark spekulatives
Terrain — historische Teleologien sind kaum wissenschaftlich zu grun-
dieren, sondern basieren in der Regel auf ideologisch geprägten Grund-
annahmen und Vorverständnissen.
5. Schlussfolgerungen
Das Fazit ist zunächst ernüchternd. Versucht man, die Eigenheiten der
Europäischen Union im Blick auf die Vergleichsfolie historischer For-
men bündischer Gemeinwesen zu analysieren, so zeigen sich zwar im
Detail vielfältige Analogien und Parallelen. Das Gesamtgefüge der Eu-
ropäischen Union aber ist, allen föderalen Analogien zum Trotz, letzt-
lich doch einzigartig, stellt so etwas wie ein monstro simile dar. Doch
68 Vgl. D. J. Bederman, The Classical Foundations of the American Constitution,
Cambridge 2008, S. 163 ff.
69 Vgl etwa H. G. Sulzer, Die Wehrverfassung der Schweiz, Leipzig 1932.
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