Christoph Maria Merki
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die erste Stelle des österreichischen Adels zu setzen, als der Hofmeister im Herbst
1394 unvermittelt entmachtet wurde. Weshalb Johann von Liechtenstein plötzlich
in Ungnade fiel, geht aus den noch vorhandenen Quellen nicht hervor. Vielleicht
erschien die grosse Machtfülle seines «consiliarius noster et secretarius principalis»
dem Herzog von Österreich allmählich bedrohlich, vielleicht waren es die vielen
Neider, die Johann gehabt haben muss und die schliesslich seinen Sturz herbei
führten. 23 Wie dem auch sei: Rückschläge dieser Art gab es in der Geschichte der
Familie Liechtenstein immer wieder, und es ist bemerkenswert, dass diese Familie
in den Irrungen und Wirrungen der Zeit nie so tief fiel, dass sie ihre Position auf
der allerobersten Sprosse der sozialen Leiter je verloren hätte.
Als die Liechtenstein ihre Machtbasis im Österreich des ausgehenden
14. Jahrhunderts vorübergehend einbüssten, zogen sie sich stärker ins mährische
Nikolsburg zurück, das sie seit 1249 besassen. Dieser Schritt entsprach einem
Handlungsmuster, das in der ganzen liechtensteinischen Geschichte immer wieder
zum Tragen kam: Bei massiven Schwierigkeiten mit einem Landesherrn musste
das Geschlecht über eine Rückfallposition verfügen, die ihm über die kritische
Zeit hinweghelfen konnte. Sogar die Entwicklung im 20. Jahrhundert lässt sich
mit Hilfe dieses Musters erklären: Als die Liechtenstein ihre Besitzungen auf der
östlichen Seite des Eisernen Vorhangs verloren, zogen sie sich ganz nach Westen
zurück, in das nach ihnen benannte Fürstentum, also an den Ort, der früher ein
abseits liegender Aussenposten und nur durch die mit ihm verbundene Mitglied
schaft im Reichsfürstenrat bedeutend gewesen war.
Die «Heimat» der Dynastie Liechtenstein, das heisst ihr Hauptbetätigungs
feld oder das Kerngebiet ihrer Besitzungen, war vom Hochmittelalter bis in das
20. Jahrhundert hinein der österreichisch-mährische Grenzraum, namentlich die
Gegend zwischen den Städten Wien und Brünn. Die Grenze zwischen Böhmen,
Mähren und Österreich, an deren Schicksal auch das der Familie Liechtenstein
hing, bildete sich am Ende des ersten Jahrtausends heraus.
Im zentralböhmischen Raum sowie in Teilen Mährens war es der Dynas
tie der Premyslovci/Premysliden im 10. Jahrhundert gelungen, aus einer Viel
zahl von Stammesfürstentümern ein festes Herzogtum zu formen. Gleichzeitig
richteten nach 970 die Ottonen im Donauraum eine Markgrafschaft ein. Dieses
Herrschaftsgebilde, das seit 976 unter der Führung des bayerisch-fränkischen
Geschlechts der Babenberger stand, sollte das bayerische Vorfeld militärisch
23 Dazu: Christian LACKNER, Aufstieg und Fall des Hans von Liechtenstein zu Nikolsburg
im 14. Jahrhundert, in: Jan HIRSCHBIEGEL, Werner PARAVICINI (Hgg.), Der Fall des
Günstlings. Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, Ostfildern 2004, S. 251 —
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