Fühlen Sie sich streng als
Berlinerin?
Yvonne Jeske: «Nein, ich
könnte auch an anderen Orten
arbeiten. Aber natürlich gibt es
nach so viel Jahren Zusam-
menarbeit und guter Atmos-
phäre ein _Sich-Zu-Hause-
Fühlen, eine Verbundenheit.
Ausserdem gibt es in der Werk-
statt gute Begegnungen mit
Menschen und verschiedenen
Arbeitsweisen.»
Doris Thyrolph: «Die Werk-
statt wird kommunal geführt,
d.h. es ist eine Anerkennung
durch die kommunale Kultur-
förderung. Das motiviert, aber
auch die Beziehungen zu
Liechtenstein, die ermöglichen,
dass Künstler aus Berlin hier
arbeiten und ausstellen können
und umgekehrt. Unser Interesse
ist die Öffnung. Das zeigt sich
auch am Einbeziehen der
Steinskulpturen von Rudolf J.
Kaltenbach. Hier entsteht ein
«Gedankenwechselspiel» zwi-
schen der Lithographie und der
Art, wie er dem Stein seine
Sprache verleiht.»
Wie fühlt man sich als «staat-
lich subventionierter» Künst-
ler? Werden Bedingungen ge-
stellt?
Henry Ruck: «Nein. Ich fände
das auch nicht klug vom Geld-
geber. denn der Kopf sollte frei
sein dürfen zum Arbeiten, zum
ernsten Arbeiten. Frau Thy-
rolph und das Kulturamt schaf-
fen uns diese Möglichkeit.»
Wie war das zu Zeiten der
DDR?
Martin Lotz: «Da wollte der
Staat mit Kunst seine Ideologie
transportieren. Einerseits sorgte
der Staat für eine sichere mate-
rielle Existenz, man hatte nicht
diese Nöte, die heute oft eine
Rolle spielen und viele Kolle-
gen an den Rand des Ruins
‚ühren, wenn sie nicht soge-
nannte Highlights produzieren.
Da haben wir mit unsereı
Werkstatt in Treptow grosses
Glück, weil das nicht erwartet
und nicht verlangt, sondern die
Basis guter Kunst gefördert
wird. Andererseits erhielt man
nur mit ideologischen Begrün-
dungen Mittel, um arbeiten zu
können. Heute ist die Ideologie
durch das Geld ersetzt worden,
man muss Sponsoren finden,
um Projekte machen zu kön-
nen. Aber in den zehn Jahren,
die ich jetzt Bundesbürger bin.
habe ich mich nie ideologisch
bevormundet gefühlt. Die geis-
tige Freiheit zu haben, hier in
Liechtenstein mit Kollegen zu-
sammen sein können, mitein-
ander reden, sich über die Ar-
deit austauschen, dass freund-
schaftliche Beziehungen ent-
stehen können, das ist grossar-
tig.»
Doris Thyrolph: «Natürlich
geht es uns in Berlin wie übe-
rall: Es gibt Kürzungen. Also is!
es unser Arbeitsgebiet, die Lob-
by zu schaffen für die Kunst
für die Künstler, ihnen Arbeits:
bedingungen und Öffentlich-
keit zu bieten, möglichst viele
mit ins Boot zu holen, um eir
Netzwerk aufzubauen. Dazı
gehört auch das Kulturaus-
tauschprogramm, das von der
kommunalen Politik unter-
stützt wird. Die künstlerische
Arbeit, das Bringen von Ideen,
das müssen die Künstler leis-
ten.»
Martin Lotz: «Wir haben das
desondere Glück, dass Siegfried
Stock, der immer ein Herz für
Kunst hat, sie fördert, Bezirks
bürgermeister von Treptow ist
Solche Menschen braucht es.
denn in Deutschland wire
Kunst nicht als staatliche
Pflichtaufgabe im Sinne eineı
gesetzlichen —Festschreibung
verstanden. In Frankreich z. B.
sind ein Prozent des Staats-
haushaltes festgeschrieben als
Ausgaben für Kunst. Wenn wil
von Subventionen oder Ausga-
ven der öffentlichen Hand füı
Kunst sprechen, geht es ja nicht
um Almosen für Künstler, son-
dern darum, Kunst einen Nähr-
boden zu schaffen. auf dem sie
wachsen und gedeihen kann.
Wenn unsere Werkstatt eigen-
wirtschaftlich arbeiten müsste,
was sie vielleicht, bedingt, so-
gar könnte, würde das bedeu-
ten, dass der Kern unserer Ar-
beit, nämlich Jungkünstlern
günstige Möglichkeiten zum
Arbeiten zu bieten, nicht mehr
möglich wäre. Damit wäre auch
eine wichtige gesellschaftspoli-
tische und pädagogische Idee
gestorben.»
Rudolf‘ J. Kaltenbach: «Dazu
möchte ich als Beispiel ein Pro-
jekt nennen, dass ich mit
rechts- und linksradikalen Ju-
gendlichen machen konnte. Sie
konnten an bis zu fünf Tonnen
schweren Steinen bildhauern,
die einen auf der einen, die an-
deren auf der anderen Seite des
Steins. Als sie Durchbrüche
schafften, mussten sie sich sozu-
sagen ins Gesicht schauen. Das
schuf Annäherungen. Sie haben
nicht nur gesehen, wie viel Kraft
sie haben und wie man sie sinn-
voll einsetzt, ohne etwas zu zer-
stören. Sie hatten auch keine En-
ergien und keine Lust mehr,
Randale zu machen. Hier hat
Kunst eine gesellschaftspolitisch
wichtige Funktion.»
Die Ausstellung in der Tan-
gente in Eschen ist bis zum 12.
November zu sehen. Öffnungs-
zeiten: Freitag 17 bis 20 Uhr,
Samstag und Sonntag 15 bis 18 Uhr
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