Volltext: 30 Jahre Tangente

Fühlen Sie sich streng als 
Berlinerin? 
Yvonne Jeske: «Nein, ich 
könnte auch an anderen Orten 
arbeiten. Aber natürlich gibt es 
nach so viel Jahren Zusam- 
menarbeit und guter Atmos- 
phäre ein _Sich-Zu-Hause- 
Fühlen, eine Verbundenheit. 
Ausserdem gibt es in der Werk- 
statt gute Begegnungen mit 
Menschen und verschiedenen 
Arbeitsweisen.» 
Doris Thyrolph: «Die Werk- 
statt wird kommunal geführt, 
d.h. es ist eine Anerkennung 
durch die kommunale Kultur- 
förderung. Das motiviert, aber 
auch die Beziehungen zu 
Liechtenstein, die ermöglichen, 
dass Künstler aus Berlin hier 
arbeiten und ausstellen können 
und umgekehrt. Unser Interesse 
ist die Öffnung. Das zeigt sich 
auch am Einbeziehen der 
Steinskulpturen von Rudolf J. 
Kaltenbach. Hier entsteht ein 
«Gedankenwechselspiel» zwi- 
schen der Lithographie und der 
Art, wie er dem Stein seine 
Sprache verleiht.» 
Wie fühlt man sich als «staat- 
lich subventionierter» Künst- 
ler? Werden Bedingungen ge- 
stellt? 
Henry Ruck: «Nein. Ich fände 
das auch nicht klug vom Geld- 
geber. denn der Kopf sollte frei 
sein dürfen zum Arbeiten, zum 
ernsten Arbeiten. Frau Thy- 
rolph und das Kulturamt schaf- 
fen uns diese Möglichkeit.» 
Wie war das zu Zeiten der 
DDR? 
Martin Lotz: «Da wollte der 
Staat mit Kunst seine Ideologie 
transportieren. Einerseits sorgte 
der Staat für eine sichere mate- 
rielle Existenz, man hatte nicht 
diese Nöte, die heute oft eine 
Rolle spielen und viele Kolle- 
gen an den Rand des Ruins 
‚ühren, wenn sie nicht soge- 
nannte Highlights produzieren. 
Da haben wir mit unsereı 
Werkstatt in Treptow grosses 
Glück, weil das nicht erwartet 
und nicht verlangt, sondern die 
Basis guter Kunst gefördert 
wird. Andererseits erhielt man 
nur mit ideologischen Begrün- 
dungen Mittel, um arbeiten zu 
können. Heute ist die Ideologie 
durch das Geld ersetzt worden, 
man muss Sponsoren finden, 
um Projekte machen zu kön- 
nen. Aber in den zehn Jahren, 
die ich jetzt Bundesbürger bin. 
habe ich mich nie ideologisch 
bevormundet gefühlt. Die geis- 
tige Freiheit zu haben, hier in 
Liechtenstein mit Kollegen zu- 
sammen sein können, mitein- 
ander reden, sich über die Ar- 
deit austauschen, dass freund- 
schaftliche Beziehungen ent- 
stehen können, das ist grossar- 
tig.» 
Doris Thyrolph: «Natürlich 
geht es uns in Berlin wie übe- 
rall: Es gibt Kürzungen. Also is! 
es unser Arbeitsgebiet, die Lob- 
by zu schaffen für die Kunst 
für die Künstler, ihnen Arbeits: 
bedingungen und Öffentlich- 
keit zu bieten, möglichst viele 
mit ins Boot zu holen, um eir 
Netzwerk aufzubauen. Dazı 
gehört auch das Kulturaus- 
tauschprogramm, das von der 
kommunalen Politik unter- 
stützt wird. Die künstlerische 
Arbeit, das Bringen von Ideen, 
das müssen die Künstler leis- 
ten.» 
Martin Lotz: «Wir haben das 
desondere Glück, dass Siegfried 
Stock, der immer ein Herz für 
Kunst hat, sie fördert, Bezirks 
bürgermeister von Treptow ist 
Solche Menschen braucht es. 
denn in Deutschland wire 
Kunst nicht als staatliche 
Pflichtaufgabe im Sinne eineı 
gesetzlichen —Festschreibung 
verstanden. In Frankreich z. B. 
sind ein Prozent des Staats- 
haushaltes festgeschrieben als 
Ausgaben für Kunst. Wenn wil 
von Subventionen oder Ausga- 
ven der öffentlichen Hand füı 
Kunst sprechen, geht es ja nicht 
um Almosen für Künstler, son- 
dern darum, Kunst einen Nähr- 
boden zu schaffen. auf dem sie 
wachsen und gedeihen kann. 
Wenn unsere Werkstatt eigen- 
wirtschaftlich arbeiten müsste, 
was sie vielleicht, bedingt, so- 
gar könnte, würde das bedeu- 
ten, dass der Kern unserer Ar- 
beit, nämlich Jungkünstlern 
günstige Möglichkeiten zum 
Arbeiten zu bieten, nicht mehr 
möglich wäre. Damit wäre auch 
eine wichtige gesellschaftspoli- 
tische und pädagogische Idee 
gestorben.» 
Rudolf‘ J. Kaltenbach: «Dazu 
möchte ich als Beispiel ein Pro- 
jekt nennen, dass ich mit 
rechts- und linksradikalen Ju- 
gendlichen machen konnte. Sie 
konnten an bis zu fünf Tonnen 
schweren Steinen bildhauern, 
die einen auf der einen, die an- 
deren auf der anderen Seite des 
Steins. Als sie Durchbrüche 
schafften, mussten sie sich sozu- 
sagen ins Gesicht schauen. Das 
schuf Annäherungen. Sie haben 
nicht nur gesehen, wie viel Kraft 
sie haben und wie man sie sinn- 
voll einsetzt, ohne etwas zu zer- 
stören. Sie hatten auch keine En- 
ergien und keine Lust mehr, 
Randale zu machen. Hier hat 
Kunst eine gesellschaftspolitisch 
wichtige Funktion.» 
Die Ausstellung in der Tan- 
gente in Eschen ist bis zum 12. 
November zu sehen. Öffnungs- 
zeiten: Freitag 17 bis 20 Uhr, 
Samstag und Sonntag 15 bis 18 Uhr 
A
	        

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