Volltext: 30 Jahre Tangente

«Unsere Ansichten gehen als Freunde auseinander» 
«Für und mit Ernst» heisst die 
musikalische Hommage an 
Ernst Jandl, die der Ausnahme- 
musiker Christian Muthspiel 
am Samstagabend in der Tan- 
gente in Eschen präsentierte. 
Seit 2005 ist Christian Muthspiel, 
nebst vielen anderen musikalischen 
Projekten, mit seinem Soloprogramm 
«Für und mit Ernst» mittlerweile un- 
terwegs. 2006 auch schon einmal im 
Kunstmuseum in Liechtenstein. Abso- 
lut frisch und lustvoll zelebrierte er 
diese intensive Verneigung vor dem 
grossen österreichischen Poeten Ernst 
Jandl in der Tangente, und zeigte da- 
mit die zeitlosen Qualitäten, die so- 
wohl Jandls lautmalerischer Poesie als 
auch Muthspiels musikalischer Hom- 
mage innewohnen. 
Technik und Perfektion 
«Im Anfang war das Wort», heisst es 
zu Beginn, und etliche Laut- und Sil- 
benverdrehungen später heisst es 
dann «Schim Schanflang schar das 
Wort», bis die Sprache beinahe sinn- 
entleert nur noch Klang ist. War im 
Anfang also gar nicht das Wort, son- 
dern der Klang? Bei Christian Muth- 
spiel sind Wort und Klang gleichbe- 
rechtigt eins. Die hintersinnige Tiefe 
und auch der zeitenweise abgründi- 
ge Humor der Jandl-Texte finden bei 
Muthspiel eine kongeniale Überset- 
zung in ein kompaktes, vom Anfang 
bis zum Schluss stringentes Wort: 
und Klangerlebnis. Muthspiel greift 
dabei auf seine Hauptinstrumente 
Posaune und Piano zurück, ergänzt 
mit stimmlich-perkussiven und 
sprachlichen Einlagen, angereichert 
mit vielen Pfeifen und Flöten, einer 
Spieluhr sowie etlichem technischen 
Gerät wie Soundeffekten, Loopstati- 
ans und elektronischen Panels. Dazu 
die Einspielungen von Jandls eige- 
nen Rezitationsaufnahmen ab Kon- 
jerve. 
Alles, ausser Jandls Stimme, ist live 
ängespielt, Phrasen werden aufge- 
ıommen, geloopt, die Loops werden 
‚erdreht und verschachtelt, so wie 
andl die Sprache verdreht und ver- 
ichachtelt, und es entsteht ein hoch 
verdichtetes Klanggebäude aus 
;prachlicher, musikalischer, rhythmi- 
scher und technischer Perfektion. 
Zärtliche Seiten, kriegerische Zeiten 
Zur mehrstimmig geloopten Melodie 
von «Guten Abend, gut Nacht» rezi- 
tiert Jandl eines seiner zärtlichsten, 
jehnsuchtvollsten Gedichte: «Ich lie- 
ze bei dir, deine Arme halten mich, 
leine Arme halten mehr als ich bin 
..» Zur malträtierten Amsel in «Der 
wahre Vogel» inszeniert Muthspiel ei- 
16 überbordende Orgie aus Zwit- 
ichern und Pfeifen und der «Zertrete- 
ı1er-Mann-Blues» ist ein angedeutetes 
/olkslied aus den braunen Alpen, ein 
rauriger Abgesang auf ein entgleistes 
\lpenidyll, «Ich kann die Hand nicht 
ıeben hoch zum Gruss ... wo ich doch 
veiss, wie schlimm das enden muss», 
ınd mündet in Maschinengewehrsal: 
‚en, mit der Posaune in den Raum ge: 
Christian Muthspiels Hommage an Ernst Jandl: «Für und mit Ernst» - ein emotionaler Abend in der Tangente. Bild ae 
schossen. Versöhnlich verkündet 
Jandl: «Unsere Ansichten gehen als 
ireunde auseinander.» Die ganze 
3andbreite und Tiefe der Jandl’schen 
Gedichte findet sich in diesem Pro- 
gramm wieder, das Publikum lacht 
Tränen, die später in stiller Betroffen- 
heit ersticken, gebannt und ergriffen 
verfolgt es den lebenden Künstler auf 
der Bühne, der den bereits verstorbe- 
nen Künstler zu einem absolut leben- 
digen Jetzt zu sich auf die Bühne holt. 
Am Schluss bleibt nur noch der 
«Spruch mit dem kurzen 0», «ssso!», 
(aoe)
	        

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