Summertime - und Herr Nardi
träumt von seiner Pension
Ambient-Jazz mit The Great Happiness in der Tangente
In einem Jazzclub wie der
Tangente auftreten zu dürfen,
kann für eine junge Band als
Auszeichnung gelten. Am
Samstag spielte die Liechten-
steiner Formation The Great
Happiness ein begeisterndes
Konzert vor vollem Haus.
aoe.- Es war das erste Gastspiel von
The Great Happiness in der Tangente,
und dennoch wurde es zu einem Heim-
spiel. So viele Jazzclubs gibt es ja nicht
in diesem Land, und Jazzformationen
gibt es auch nicht wie Wasser im Rhein.
Mit anderen Worten: Die Tangente war
zum Bersten voll. Zum Bedauern der
Veranstalter mussten sogar Leute wie-
der heimgeschickt werden. Ansonsten
aber haben The Great Happiness viel
Happiness und viele neue Gesichter in
die Tangente gebracht. Die
Berührungsängste mit Jazz mögen für
manche vielleicht gross sein, und da ist
eine Band wie The Great Happiness ein
grossartiger Brückenbauer, weg von
leicht konsumierbarer und eher ober-
Nächlicher Popmusik, hin zu einer
mehr substanziellen Auseinanderset-
zung mit Rhythmus und Klang. Die
Band bedient sich dabei einer essenzi-
ellen Strategie der Jazzmusik, nämlich
der Verbindlichkeit einiger Grundthe-
men in Kombination mit dem freien Cae-
stalten und Improvisieren um diese
Themen herum. Also keine fix notierte
Musik, sondern ein Klanggebäude, das
sehr aus der Situation heraus entsteht.
Das fordert die Wachheit und Kreati-
vität der Exponenten heraus.
Unbekümmertheit
In nonchalanter Unbekümmertheit
’edient sich die Band bei allen mögli-
;hen Musikrichtungen, Jazz, Ambient.
Jrum’n’Bass, Trip Hop und gestaltet
iaraus ihren _rhythmusbetonter
joundmix, welcher über elegische.
Jink-Noyd-artige Passagen unverhoffi
n ein fetziges Hardbop-Finale münden
<ann. Motor und rhythmisches Rück-
grat dieser Exkursionen ist das Schlag:
zeugspiel des hoch talentierten Drum:
ners Marco Sele. Alexander Beck spiel:
je einen unauffälligen, soliden E-Bass,
loger Szedalik überzeugte sowohl als
&Ahythmus- als auch als Sologitarrist,
ınd David Beck bereicherte den Sound
nit den Keyboards. Selina Schädler er-
veiterte das Spektrum der Band um
;esang und Saxofon, ging ob der
zurückhaltenden Vortragsweise aber
zuweilen im massiven Klangraum un:
‚er. Um visuelle Effekte war der VJ Se-
bastian Wolfinger mit an die Wand pro-
izierten Videoclips besorgt. Fehlt noch
lerr Nardi, der beim Zugabestück, dem
zershwin Evergreen «Summertime»,
ın Pfeifchen schmauchend und den
Strohhut tief ins Gesicht gezogen, von
seiner Pension träumte. Dazu fehlen
dem 20-jährigen Sandro Nardi aber
noch ein paar Jährchen, weshalb er den
Rest des Abends mit seinen Electronics
das Klanggebäude der Band mit vielen
kreativen Impulsen belieferte.
Und die Kritik?
Kritisiert zu werden, wenn es nicht
DÖöswillig ist, heisst auch, ernst genom-
men zu werden. Eine junge, aufstre-
bende Formation wie The Great Hap-
diness hat natürlich das Bedürfnis nach
einer konstruktiven Kritik. Diese setzt
am ehesten dort an, wo es um die Dif-
'erenziertheit des Sounds geht. Die mu-
sikalische Individualität des einzelnen
Bandmitglieds darf mehr gefördert
werden, wodurch der Sound weniger
stereotyp wird, mehr Eigencharakter
und eine individuellere Dynamik ent-
wickelt. Zur Differenziertheit gehört
auch das Überwinden der Angst vor der
Leere. Ein weiterer Aspekt betrifft das
Solieren: Ein Solist braucht Platz und
manchmal auch mehr Zurücknahme
von den restlichen Musikern. Das Solo
wird dadurch prägnanter, tragender,
verschwindet weniger im Strukturel-
len, es sei denn, dass genau das Struk-
jurelle angestrebt wird. Diese kriti-
;chen Ansätze seien aber in aller Sym-
’athie und Begeisterung für den wun-
lervollen Konzertabend verstanden.