Volltext: 30 Jahre Tangente

Summertime - und Herr Nardi 
träumt von seiner Pension 
Ambient-Jazz mit The Great Happiness in der Tangente 
In einem Jazzclub wie der 
Tangente auftreten zu dürfen, 
kann für eine junge Band als 
Auszeichnung gelten. Am 
Samstag spielte die Liechten- 
steiner Formation The Great 
Happiness ein begeisterndes 
Konzert vor vollem Haus. 
aoe.- Es war das erste Gastspiel von 
The Great Happiness in der Tangente, 
und dennoch wurde es zu einem Heim- 
spiel. So viele Jazzclubs gibt es ja nicht 
in diesem Land, und Jazzformationen 
gibt es auch nicht wie Wasser im Rhein. 
Mit anderen Worten: Die Tangente war 
zum Bersten voll. Zum Bedauern der 
Veranstalter mussten sogar Leute wie- 
der heimgeschickt werden. Ansonsten 
aber haben The Great Happiness viel 
Happiness und viele neue Gesichter in 
die Tangente gebracht. Die 
Berührungsängste mit Jazz mögen für 
manche vielleicht gross sein, und da ist 
eine Band wie The Great Happiness ein 
grossartiger Brückenbauer, weg von 
leicht konsumierbarer und eher ober- 
Nächlicher Popmusik, hin zu einer 
mehr substanziellen Auseinanderset- 
zung mit Rhythmus und Klang. Die 
Band bedient sich dabei einer essenzi- 
ellen Strategie der Jazzmusik, nämlich 
der Verbindlichkeit einiger Grundthe- 
men in Kombination mit dem freien Cae- 
stalten und Improvisieren um diese 
Themen herum. Also keine fix notierte 
Musik, sondern ein Klanggebäude, das 
sehr aus der Situation heraus entsteht. 
Das fordert die Wachheit und Kreati- 
vität der Exponenten heraus. 
Unbekümmertheit 
In nonchalanter Unbekümmertheit 
’edient sich die Band bei allen mögli- 
;hen Musikrichtungen, Jazz, Ambient. 
Jrum’n’Bass, Trip Hop und gestaltet 
iaraus ihren _rhythmusbetonter 
joundmix, welcher über elegische. 
Jink-Noyd-artige Passagen unverhoffi 
n ein fetziges Hardbop-Finale münden 
<ann. Motor und rhythmisches Rück- 
grat dieser Exkursionen ist das Schlag: 
zeugspiel des hoch talentierten Drum: 
ners Marco Sele. Alexander Beck spiel: 
je einen unauffälligen, soliden E-Bass, 
loger Szedalik überzeugte sowohl als 
&Ahythmus- als auch als Sologitarrist, 
ınd David Beck bereicherte den Sound 
nit den Keyboards. Selina Schädler er- 
veiterte das Spektrum der Band um 
;esang und Saxofon, ging ob der 
zurückhaltenden Vortragsweise aber 
zuweilen im massiven Klangraum un: 
‚er. Um visuelle Effekte war der VJ Se- 
bastian Wolfinger mit an die Wand pro- 
izierten Videoclips besorgt. Fehlt noch 
lerr Nardi, der beim Zugabestück, dem 
zershwin Evergreen «Summertime», 
ın Pfeifchen schmauchend und den 
Strohhut tief ins Gesicht gezogen, von 
seiner Pension träumte. Dazu fehlen 
dem 20-jährigen Sandro Nardi aber 
noch ein paar Jährchen, weshalb er den 
Rest des Abends mit seinen Electronics 
das Klanggebäude der Band mit vielen 
kreativen Impulsen belieferte. 
Und die Kritik? 
Kritisiert zu werden, wenn es nicht 
DÖöswillig ist, heisst auch, ernst genom- 
men zu werden. Eine junge, aufstre- 
bende Formation wie The Great Hap- 
diness hat natürlich das Bedürfnis nach 
einer konstruktiven Kritik. Diese setzt 
am ehesten dort an, wo es um die Dif- 
'erenziertheit des Sounds geht. Die mu- 
sikalische Individualität des einzelnen 
Bandmitglieds darf mehr gefördert 
werden, wodurch der Sound weniger 
stereotyp wird, mehr Eigencharakter 
und eine individuellere Dynamik ent- 
wickelt. Zur Differenziertheit gehört 
auch das Überwinden der Angst vor der 
Leere. Ein weiterer Aspekt betrifft das 
Solieren: Ein Solist braucht Platz und 
manchmal auch mehr Zurücknahme 
von den restlichen Musikern. Das Solo 
wird dadurch prägnanter, tragender, 
verschwindet weniger im Strukturel- 
len, es sei denn, dass genau das Struk- 
jurelle angestrebt wird. Diese kriti- 
;chen Ansätze seien aber in aller Sym- 
’athie und Begeisterung für den wun- 
lervollen Konzertabend verstanden.
	        

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