Volltext: 30 Jahre Tangente

Heimat für eine dürstende Seele 
Im Juni 1980 wurde ich mit der ohrerschüttern- 
den Tatsache konfrontiert, dass polnischer Free 
jazz nicht nur eine Drohung ist: Leszek Zadlo, 
Heiri Känzig und Sunk Pöschl - eine Bombe! 
Noch im selben Jahr durfte ich zum ersten Mal 
die legendären Harry Pepl und Werner Pirch- 
ner in einem Quartett erleben. Das Schicksal 
war besiegelt, davon würde ich definitiv nicht 
mehr loskommen. Doch von noch essentiellerer 
Wichtigkeit wurde mir in den Anfangsjahren 
die Tangente als Forum für junge, zeitgenössi- 
sche Kunst. 
Im Herbst '’81 holte ich eine Schublade in der 
langente ab und beteiligte mich am ersten The- 
menwettbewerb. Ich stellte einen Spiegel dia 
gonal hinein, betonierte das ganze in einen Kur 
bus und schlug ein paar Fragmente davon 
wieder frei. So wie die Freejazzer behaupte 
ten, ihre Brachialperformance sei Musik, be 
nauptete ich, mein zentinerschweres Teil sei 
Kunst. Das ganz Tolle dabei: Ich wurde nicht 
Inur) ausgelacht. Plötzlich gab es einen Ort, an 
dem man all die Dinge, die einem unterm Hin- 
ern brannten, künstlerisch ausprobieren und 
zeigen durfte. Die Tangente wurde über viele 
Jahre hinweg meine Heimatgalerie und fast 
alle wichtigen Ausstellungen meiner Anfangs- 
jahre und auch der 90er Jahre fanden dort statt. 
Es gab zwar auch im neuen Jahrtausend noch 
etliche spannende Ausstellungen in und mit der 
Tangente, doch die Ära der konkurrenzlosen 
Aufbaujahre mit einer jungen, aufstrebenden 
Künstlergeneration war zu Ende, die liechten 
steinische Kulturlandschaft hatte sich inzwischen 
gehörig verändert, die Tangente war etabliert, 
die jungen Künstler auch nicht mehr so jung wie 
auch schon und neue Räume wurden für die 
Kunst erschlossen. Ganz klar: Die Tangente hat 
in jeder Hinsicht kulturelle Pionierarbeit geleistei 
ynd den Humus für diese Veränderungen mit 
aufbereitet! 
Jazz total: Ein Bekenntnis 
Dass es früher «Musik+Kunst» und heute nur 
noch «Jazz+» heisst, dafür bin ich mitverant 
wortlich. Was dem Jazzsektor fehlte, war ein 
Plus an Ambiente, denn dieses wurde zugun 
sten der Ausstellungstätigkeit dem «White 
Cube» geopfert. In Anbetracht der neuen Mög: 
lichkeiten für die Künstlerschaft an anderen Or: 
ten unterstützte ich also den ketzerischen Ge 
danken, den Karl und Cornelia sowieso schon 
heimlich hegten: Flucht nach vorn, machen wirl 
aus dem Ausstellungsraum ein reines Jazzlokal 
mit entsprechender Atmosphäre, Heutzutage 
präsentiert sich die Tangente als stimmungsvot 
er Hotspot für Jazz + die Sabotage-Konzert 
reihe, die in den letzten Jahren neu dazustiess 
Mit den Sabotagen wird Raum für neuen und 
vor allem jungen, regionalen Wind geschaffen. 
Sorgte sich die Tangente früher um den künst 
lerischen Nachwuchs, so wird heutzutage also 
mehr der Jazznachwuchs betreut. 
Hörschule auf absolut internationalem 
Niveau 
Als ich Anfang der 90er Jahre für knapp 2 Jahre 
in New York lebte und die dortige Jazzszene in- 
tensiv auslotete, ist mir bewusst geworden, was 
für ein hoher Standard in der Tangente geboten 
wird. Und was für eine Hörschule ich über all 
die Jahre in der Tangente durchlaufen hatte. Zu- 
rück aus NYC hab ich dann begonnen über 
Jazzkonzerte zu schreiben. Wann genau das 
war, weiss ich nicht mehr. Das früheste Zeugnis 
findet sich 1993 in der Chronik. Seither hab 
ich einen Grossteil all der fantastischen Kon- 
zerte nicht nur als langjähriger Afficionado son- 
dern auch als Berichterstatter miterlebt. Ein Le 
ben ohne Jazz: nicht mehr denkbar. Gehört 
zum kulturellen Grundnahrungsmittel. Für Liech- 
tenstein heisst dies: Ein Leben ohne Tangente 
gerät zur musikalischen Hungersnot, auch wenn 
das kulturelle Angebot in und um das Land 
enorm gewachsen ist in den letzten Jahren. 
Gerade auch in diesem Kontext zeigt sich der 
fantastisch hohe, internationale Standard des 
Tangente-Programms. Alles, was ich über im- 
provisierte Musik gelernt habe, hat seinen Ur- 
sprung hier in der Tangente. letztlich ist also 
auch die Tangente schuld, dass ich heutzutage 
mit Denise Kronabitter und Marco Sele im
	        

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