Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2019)

MONTAG 
30. DEZEMBER 
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VON ANDREW SELEE, GIS-EXPERTE 
Zu 
einem grossen Teil resul- 
tiert seine Popularität aus 
der Art und Weise, wie er 
die mexikanische Politik 
umgestaltet hat – wodurch das Ge- 
fühl entstanden ist, dass gewählte 
Amtsträger nicht mehr so abgeho- 
ben von der Öffentlichkeit sind wie 
früher. Viel davon ist auf seinen Stil 
zurückzuführen. Er liebt es, mit 
Mexikanern in Kontakt zu treten 
und reist häufig, um sich mit ihnen 
in kleinen Städten im ganzen Land 
zu treffen. 
Die Hoffnung von Präsident López 
Obrador, die Armut zu bekämpfen 
und die Ungleichheit zu verringern, 
beruht auf einem ausreichenden 
Wachstum, um die Verteilungspoli- 
tik aufrechtzuerhalten und neue In- 
vestitionen in den ärmsten Gebieten 
des Landes anzukurbeln. Aber in 
den ersten drei Quartalen dieses 
Jahres ist die Wirtschaft in Mexiko 
nicht gewachsen, das Land befindet 
sich also in einer Rezession. 
Gewalttätigstes Jahr der 
mexikanischen Geschichte 
Gegen Ende des Jahres 2019 wird 
ausserdem deutlich, dass dies das 
gewalttätigste Jahr in der Geschich- 
te Mexikos sein wird. In den ersten 
sechs Monaten des Jahres stiegen 
die Tötungsdelikte um 5 Prozent ge- 
genüber dem gleichen Zeitraum im 
Jahr 2018, dem bisher gewalttätigs- 
ten Jahr der Geschichte und es gibt 
keine Anzeichen dafür, dass die Ge- 
walt nachlässt. Tötungsdelikte sind 
auf dem Vormarsch und erreichen 
eine Rate von 30 pro 100 000 Ein- 
wohner zu erreichen, was Mexiko 
zu einem der gefährlichsten Länder 
der Welt macht. Die Fähigkeit des 
Sohnes des berühmten Drogen- 
händlers Joaquin «El Chapo» Guz- 
man, sich im Oktober seiner Gefan- 
gennahme zu entziehen, indem er 
Hunderte von Handlangern kurz- 
fristig gegen das mexikanische Mili- 
tär und die mexikanische Polizei 
mobilisierte, gefolgt von dem tragi- 
schen Mord an sechs Kindern und 
drei Frauen in einem Hinterhalt An- 
fang November haben die Situation 
anschaulich verdeutlicht. 
Beziehung zu USA schwierig 
Die Grenze zu den USA repräsentier- 
te seit je her eine der grössten Her- 
ausforderungen für Mexiko. López 
Obrador hatte Schwierigkeiten mit 
der Regierung des US-Präsidenten 
Donald Trump, zumal dieser Mexiko 
im Wahlkampf als politischen Buh- 
mann benutzt hatte. Diese Schwie- 
rigkeiten spitzten sich im Mai 2019 
zu, als Präsident Trump twitterte, er 
sei bereit, Zölle für Mexiko zu erhe- 
ben, falls die Regierung die Migrati- 
on aus Mittelamerika nicht stoppen 
würde. Die Zahl der Guatemalteken, 
Honduraner und Salvadorianer, die 
die Grenze zwischen den USA und 
Mexiko überquerten, war exponenti- 
ell gestiegen, und Trump warf sei- 
nem mexikanischen Amtskollegen 
vor, sie könnten diese allzu leicht 
passieren.  Nach Tagen intensiver 
Verhandlungen Anfang Juni erklärte 
sich die mexikanische Regierung be- 
reit, erhebliche Anstrengungen zu 
unternehmen, um Migranten aus 
Drittstaaten, die ihre Süd-Grenze il- 
legal überschritten hatten, zu fassen 
und abzuschieben, und sie beauf- 
tragte Tausende von Nationalgardis- 
ten mit der Umsetzung dieses Vorha- 
bens. Darüber hinaus erklärte sich 
die Regierung von López Obrador 
damit einverstanden, Tausende von 
Migranten, die auf ihre Verhandlun- 
gen über ihre Einwanderung in die 
USA warten, in die nördlichen 
Grenzgemeinden zurückzubringen, 
damit sie dort ihren Gerichtstermin 
abwarten. Bilder von Zentralameri- 
kanern, die in Zeltstädten an der 
Nordgrenze oder in überfüllten Haft- 
anstalten an der Südgrenze leben, 
weckten jedoch bei den Mexikanern 
Bedenken hinsichtlich der Weitsicht 
dieser Massnahmen. 
Der mexikanische Präsident Andrés 
Manuel López Obrador bleibt trotz 
negativer Nachrichten über die 
Wirtschaft und die öffentliche Si- 
cherheit sowie einer schwierigen 
Beziehung zur Trump Regierung, 
weiterhin sehr beliebt. 
Ressourcen werden nun 
effizienter verteilt 
Es steht ausser Frage, dass Präsi- 
dent López Obrador ein Meister der 
Symbolik ist, der die Wahrnehmung 
der Mexikaner über Politik verän- 
dert hat. Nach Jahren, in denen die 
Regierungschefs von der Schaffung 
eines «modernen Mexikos» gespro- 
chen haben, zugleich aber massive 
Korruption zuliessen, ist es dem 
derzeitigen Präsidenten gelungen, 
eine Regierung zu bilden, die zu- 
mindest den Anschein erweckt hat, 
den Durchschnittsbürgern näher zu 
sein. Er selbst reist mit kommerziel- 
len Fluggesellschaften ohne sichtba- 
ren Sicherheitsaufwand und wirkt 
damit wie ein Mann des Volkes – 
und dass nach der jahrelangen Do- 
minanz distanzierter Staatschefs, 
die nicht nur von Wachen, sondern 
auch von jeder Menge Prunk umge- 
ben waren. Seine Bereitschaft, sich 
täglich für eine Pressekonferenz 
den Kameras zu stellen, bestärkt 
nur sein Image, dass er sich direkt 
mit den Durchschnittsbürgern aus- 
einandersetzt. 
López Obrador hat auch die lang- 
jährige Dezentralisierung der Macht 
in Mexiko in Angriff genommen, die 
zu Abhängigkeitsverhältnissen ge- 
führt hatte, die von Gouverneuren, 
Bürgermeistern und regionalen 
Machthabern ausgenutzt wurden. 
Er hat dies zum Teil getan, indem 
er in jedem Bundesstaat einen «Ab- 
gesandten» des Präsidenten ernannt 
hat, der direkt dem Präsidenten un- 
tersteht und letztendlich die Ver- 
antwortung dafür trägt, Entschei- 
dungen über die öffentlichen Mittel 
zu treffen, die vor Ort ausgegeben 
werden. Das hat es ihm ermöglicht, 
die Ressourcenverteilung in einigen 
Fällen effizienter zu gestalten und 
in vielen anderen Fällen die traditi- 
onellen politischen Verhandlungen 
mit lokalen Eliten zu umgehen. 
Er hat auch eine Reihe von sozialen 
Programmen gestartet, die direkt 
vom Präsidialamt an die örtlichen 
Gemeinden zugewiesen werden. Da- 
zu gehört ein umfangreiches Be- 
schäftigungsprogramm für Landar- 
beiter, um Bäume in armen Gegen- 
den des Landes zu pflanzen; ein Be- 
schäftigungsprogramm für junge 
Menschen; ein College-Stipendien- 
programm sowie eine monatliche 
Pension für Senioren. All dies wur- 
de schnell umgesetzt, was dem Prä- 
sidenten eine Rolle im Leben der 
Wähler einräumt und ihr Los oft er- 
heblich verbessert.   
Es besteht aber die Gefahr, dass 
sich dieser zentralisierte Ansatz für 
die Entwicklung in einem so gros- 
sen und komplexen Land wie Mexi- 
ko in neue Formen des Klientelis- 
mus und des Mäzenatentums um- 
wandelt und dass sich eine deutlich 
stärkere Zentralregierung mit nur 
wenigen Kontrollmöglichkeiten her- 
ausbildet. Dies sind echte Beden- 
ken, insbesondere angesichts einer 
gespaltenen Opposition und bisher 
nur schwach ausgeprägten Regulie- 
rungs- und Justizinstitutionen, die 
die zentrale Macht kontrollieren 
könnten. 
Tiefgreifende Veränderung 
Mexiko durchläuft unter Präsident 
López Obrador also eine notwendi- 
ge Zentralisierung, die jedoch auf 
Kosten demokratischer Institutio- 
nen gehen könnte. Dies dürfte die 
grösste Gefahr für Mexiko sein, 
nicht ein langsames Wachstum oder 
mangelhafte Sicherheitsstrategien. 
Das Land könnte eine tiefgreifende 
Veränderung erleben – die jedoch 
nicht unbedingt komplett positiv 
sein muss. 
Das paradoxe erste 
Amtsjahr von López Obrador 
Fast jeder Indikator zeigt, dass der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador ein schweres erstes Jahr im Amt hatte. Die Wirtschaft ist in die 
Rezession abgerutscht, das Vertrauen der Unternehmen ist gering, die Mordrate in Mexiko ist so hoch wie nie zuvor. Trotzdem hat Obrador gute Umfrage- 
werte.  Er erzielt durchweg über 60 Prozent Unterstützung und manchmal sogar noch viel mehr. Wie lässt sich dieses scheinbare Paradoxon erklären? 
(Foto: Keystone/EPA/EFE/Sashenka Gutierrez)
	        

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