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Schwerpunkt LKV-Geschäftsführer Thomas Hasler über das Spit
VON DANIELA FRITZ
«Volksblatt»: Vor Kurzem konnten
die Krankenkassen mit guten Neuig-
keiten aufwarten: Die mittlere OKP-
Prämie sinkt. Die Kosten steigen
aber weiter, wenn auch langsamer:
Wie lange wird es dauern, bis die
Prämie wieder steigt?
Thomas Hasler: Das kommt darauf
an, welche weiteren Massnahmen
gesetzt werden. Im Bereich der Tari-
fe sind wir auf regionalem Niveau.
Durch diese und andere Massnah-
men aus der letzten KVG-Revision
konnten die Kosten und damit auch
die Prämien bisher stabil gehalten
werden. Eine Voraussage der Kos-
tenentwicklung unterjährig gestaltet
sich in unserem kleinen Versicher-
tenkollektiv immer schwierig. Eine
Prognose abzugeben, wann die Prä-
mien wieder steigen, ist daher nicht
möglich.
Welche Massnahmen können über-
haupt noch ergriffen werden, sind
die Möglichkeiten nicht langsam
ausgeschöpft?
Es gibt immer wieder mögliche
Massnahmen, etwa innovative Versi-
cherungsmodelle. Bis jetzt kann
man zwischen der Grundversiche-
rung und verschiedenen Franchisen
wählen. Unsere Nachbarn in der
Schweiz haben andere Modelle, et-
wa ein Telemedizin- oder Hausarzt-
modell. Solche können mit der ge-
planten Änderung des KVG auch
hierzulande von den einzelnen
Krankenkassen angeboten werden.
Was ist darunter zu verstehen?
Beim Telemedizinmodell verpflich-
tet sich der Versicherte, vor dem
Arztbesuch eine Hotline anzurufen.
Dort empfiehlt medizinisch geschul-
tes Personal und Ärzte, was man in
dem speziellen Fall als nächsten Be-
handlungsschritt empfehlen wird.
So können Leistungen optimaler in
Anspruch genommen werden, an-
statt dass man gleich ins Spital oder
zum Arzt geht. Das Hausarztmodell
hatten wir bereits in Liechtenstein:
Der Patient geht dann zuerst zum
Hausarzt. Im Gegenzug erhalten die
Versicherten in diesen Modellen ei-
nen Rabatt auf die Prämie und Kos-
tenbeteiligung. In der Schweiz sind
bereits 70 Prozent der Versicherten
in solchen oder ähnlichen Modellen
versichert.
Stellt sich die Frage, ob diese Versi-
cherungsmodelle dann auch genutzt
werden. Für eine höhere Franchise
beispielsweise entscheidet sich in
Liechtenstein bisher nur jeder zehn-
te Versicherte.
Ich denke, das braucht einfach Zeit.
Lange war es in Liechtenstein durch
tiefe Prämien nicht attraktiv, eine hö-
here Franchise zu
wählen. Das wird
sich in den nächs-
ten Jahren sicher
ändern. Die Prä-
mien werden als
grosser Posten im
Haushaltsbudget
wahrgenommen. Wenn sich da etwas
optimieren lässt, werden sich die
Versicherten nach und nach mit der
Frage auseinandersetzen.
Müssen die Kassen sich vielleicht
auch selbst am Hut nehmen und die
Versicherten vermehrt darauf hin-
weisen? Oder ist das gar nicht im In-
teresse der Kassen?
Die Versicherer weisen natürlich da-
rauf hin, dass es höhere Franchisen
und Einsparungspotenzial gibt. Da-
bei muss man aber immer auch dar-
auf achten, in welcher Situation die
jeweilige Person ist und welches Mo-
dell für sie tragbar ist. Nicht alle Ver-
sicherten nehmen jedoch ein Bera-
tungsgespräch in Anspruch, ein sol-
ches kann ich nur empfehlen
Wem würden Sie die höchste Fran-
chise denn empfehlen?
Das hängt von der persönlichen Situ-
ation ab. Wer im Fall eines Leistungs-
bezugs die Kosten ohne Probleme
tragen kann, sollte eine höhere Fran-
chise wählen. Wenn jemand bereits
finanzielle Engpässe hat, würde ich
von der höchsten Franchise abraten.
Eventuell käme stattdessen eine
mittlere Kostenbeteiligung infrage.
Das Prinzip «Ambulant vor Statio-
när» sollte ja auch Einsparungen
bringen. Das Prinzip wird seit die-
sem Jahr umgesetzt, lassen sich ers-
te Effekte erkennen?
Es hat einen kleinen Verlagerungsef-
fekt von den stationären Kosten zu
den ambulanten Kosten gegeben. Al-
lerdings läuft das Prinzip erst an
und nur ein kleiner Teil aller Be-
handlungen wird ausschliesslich
ambulant durchgeführt. Zu beach-
ten ist hierbei, dass die Kosten im
ambulanten Bereich zur Gänze von
den Krankenkassen übernommen
werden, während der Staat im stati-
onären Grundversorgungsbereich
55 Prozent übernimmt. Das heisst:
Wenn ein Patient ambulant statt sta-
tionär behandelt wird, spart das
zwar Kosten. Aber nicht unbedingt
dem Prämienzahler, sondern dem
Staat. Es wäre uns ein grosses Anlie-
gen, wenn die Finanzierung von am-
bulanten und stationären Behand-
lungen gleich gehandhabt wird. So
würden die Einsparungen auch
beim Prämienzahler ankommen.
Viele befürchten, dass es durch ei-
nen Neubau des Landesspitals zu
Mengenausweitung kommt und die
Prämien steigen. Kann dies wirklich
passieren?
Grundsätzlich hat sich der Kranken-
kassenverband immer gegen einen
Kapazitätsausbau bei den Spitälern
ausgesprochen. Es gibt wirklich sehr
viele Spitäler in der Region. Mit der
Vorlage zu einem Neubau des Lan-
desspitals werden aber im Gegen-
satz zum bestehenden Gebäude so-
gar Bettenkapazitäten reduziert.
Diese Tendenz begrüssen wir. Ich
denke daher nicht, dass es durch
den Neubau zu einer Mengenauswei-
tung und damit negativen Effekten
bei der Prämie kommt.
In St. Gallen werden Spitäler ge-
schlossen, Vaduz will einen Neubau.
Sollte das Landesspital nicht besser
mit Grabs zusam-
menspannen?
Die Entscheidung
des Kantons St. Gal-
len, an gewissen
Standorten keine
stationäre Versor-
gung mehr anzubie-
ten, hat uns vor allem eines gezeigt:
Dass wir als Land ebenfalls etwas
unternehmen müssen. So weit ich
weiss, ist Liechtenstein in die Ent-
scheidung des Kantons St. Gallen po-
litisch nicht einbezogen worden.
Wir stehen vor vollendeten Tatsa-
chen, obwohl die Diskussionen in St.
Gallen noch einige Zeit in Anspruch
nehmen werden. Eine regionale Spi-
talplanung wäre der wünschenswer-
te Idealzustand. Solange aber in der
Schweiz keine regionale Spitalpla-
nung in Gang kommt, sondern jeder
Kanton sein eigenes Süppchen
kocht, muss Liechtenstein seinen ei-
genen Weg suchen.
Nun wäre in St. Gallen mit der Spi-
talstrategie aber anscheinend etwas
in Gang gekommen.
Die Sache ist die: Die Bauarbeiten
am Spital Grabs sind im vollen Gan-
ge. Der Bau eines gemeinsamen regi-
onalen Spitals ist also gelaufen. Eine
Kooperation abseits der baulichen
Frage mit Grabs und anderen Spitä-
lern in der Region ist aber auf jeden
Fall sinnvoll und wird von den Ver-
antwortlichen sicherlich auch im
Fall eines Neubaus weiterhin ver-
folgt. Liechtenstein wird immer auf
eine Zusammenarbeit mit ausländi-
schen Spitälern
angewiesen sein
und unsere Part-
ner sind dabei zu
allererst die Spi-
täler in St. Gallen
und Graubünden.
Wir können im In-
land maximal 50 Prozent unserer
Fälle behandeln. Sobald die Fälle
komplexer sind, muss Liechtenstein
ohnehin mit einem Zentrumsspital
zusammenarbeiten.
Die Debatte um das Landesspital ist
emotional. Mit welchen Mythen wol-
len Sie aus LKV-Sicht aufräumen?
Man sollte mit der Angstmacherei
aufhören, dass die Spitalwahl für
die Versicherten eingeschränkt
wird. Wir haben ein gutes Netz aus
Vertragsspitälern – darunter auch
Grabs. Weil Liechtenstein nicht alle
Fälle im Landesspital behandeln
kann, wird es die freie Spitalwahl
unter den Vertragsspitälern auch
mit einem Neubau geben.
Was würden Sie am 24. November in
die Urne legen?
Ich werde mich nach Abwägung al-
ler pro und contra Argumente für
ein neues Landesspital aussprechen.
Wir sollten mit Blick auf die sich ver-
ändernde Altersstruktur der Gesell-
schaft und den medizinischen Fort-
schritt selbst über unsere Spitalpla-
nung entscheiden können und nicht
zu 100 Prozent von anderen abhän-
gig sein. Das gelingt am besten mit
einer neuen, modernen Infrastruk-
tur. Da das Landesspital mit regiona-
len Tarifen arbeiten muss, wird es
für den Prämienzahler auch nicht
teurer als in einer Behandlung in ei-
nem anderen Spital in der Region.
Ausserdem bleibt die Wertschöp-
fung im Land.
Politisch präsent ist auch der Um-
gang mit Casinos im Land. Gefordert
wird die Zweckbindung der Geld-
spielabgabe. Was halten Sie davon,
wenn dieses Geld an die OKP ginge?
Wir freuen uns grundsätzlich, wenn
wir unseren Versicherten dank zu-
sätzlicher Einnahmen tiefere Prämi-
en anbieten könnten. Ich halte es
aber nicht für sinnvoll, bestimmte
Steuereinnahmen für eine Sozialver-
sicherung vorzusehen. Dann würde
die Finanzierung der Krankenversi-
cherung vom Geschäftsgang dieses
Wirtschaftszweigs abhängen. Der
Landtag soll weiterhin frei entschei-
den, wie hoch der jährliche Staats-
beitrag an die OKP ist. Aus welchen
Steuermitteln dieser stammt, sollte
keine Rolle spielen.
Der Landtag erhöhte im Juni den
OKP-Staatsbeitrag um vier Millionen
Franken – reicht das oder bräuchte
es noch mehr?
Es ist eine politische Frage, wie weit
der Staat die Krankenversicherungs-
prämien subventionieren will. Je hö-
her der Staatsbeitrag, desto tiefer
die Prämien. So werden die Prämien
zwar auf bezahlbarem Niveau gehal-
ten. Das heisst im Umkehrschluss
aber, dass die Kostenwahrheit nicht
bei den Versicherten ankommt. Ob-
wohl Liechtenstein von den Kosten
her auf dem Niveau der teureren
Schweizer Kantone liegt, ist die Prä-
mie tiefer als in unseren im
schweizweiten Vergleich günstigen
Nachbarkantonen. Der LKV schätzt
den allgemeinen Staatsbeitrag, mit
dem der Staat seiner sozialen Ver-
antwortung nachkommt, spricht
sich prinzipiell aber für ein überwie-
gend prämienfi-
nanziertes Sys-
tem aus. In den
vergangenen Jah-
ren wurde der
Staatsbeitrag im-
mer mal wieder
erhöht und ge-
senkt. Das verursacht grosse Sprün-
ge bei den Prämien, die der Prämi-
enzahler nicht nachvollziehen kann.
Hier müsste beim Staatsbeitrag
mehr Kontinuität in der Anpassung
einkehren. Ausserdem verbilligt der
Staatsbeitrag die Prämie für alle –
vom Bankdirektor bis zum Bauarbei-
ter. Eine soziale und sinnvolle Mass-
nahme ist die Unterstützung der
Versicherten mit geringem Einkom-
men durch die Prämienverbilligung.
Damit erreicht man zielgenau die
Menschen, die wirklich Schwierig-
keiten haben, den Lebensunterhalt –
unter anderem die Sozialversiche-
rungsprämien – zu finanzieren.
Das Prämienverbilligungssystem
wird ohnehin auf neue Beine ge-
stellt, wie der Landtag nun entschie-
den hat. Was halten Sie davon?
Es ist der richtige Weg, Geld für die
Prämienverbilligung zu verwenden.
Damit werden Versicherte mit tiefen
Einkommen gezielt entlastet. In der
aktuell von der Regierung vorgeleg-
ten KVG-Reform wird zudem vorge-
schlagen, die Prämienverbilligung
direkt an die Krankenkassen auszu-
bezahlen, so werden die Versicher-
ten direkt und unmittelbar bei der
Prämienzahlung entlastet. Das ist
für den Versicherten sinnvoll und
richtig. Dieses Modell wird im Übri-
gen in einigen schweizerischen Kan-
tonen bereits erfolgreich praktiziert.
Erstaunlich ist, dass viele An-
spruchsberechtigte gar keine Prämi-
enverbilligung beantragen. Woran
könnte das liegen?
Das ist schwer zu sagen. In den ver-
gangenen Wochen wurde viel über
Prämienverbilli-
gung berichtet, zu-
dem informieren
auch die Amtsstel-
len. Wenn jemand
die Prämienverbil-
ligung nicht in An-
spruch nimmt,
liegt es wohl weni-
ger an Unwissenheit. Ich glaube eher,
dass diese Menschen die Prämienver-
billigung nicht brauchen oder nicht
in Anspruch nehmen wollen.
Zwei Drittel der Bezüger von Prämi-
enverbilligungen haben Zusatzversi-
cherungen abgeschlossen. Passt das
zusammen?
Man muss die OKP-Grundversiche-
rung und die Zusatzversicherung
voneinander entkoppelt sehen: Der
eine entscheidet sich für eine Zu-
satzversicherung, der andere will
lieber ein neues Auto oder geht mit
dem Geld in die Ferien. Das ist eine
freiwillige Konsumentscheidung. Ei-
ne Zusatzversicherung leisten sich
die Leute gerne, was aus meiner
Sicht auch sinnvoll ist.
Fehlt es vielleicht einfach an Infor-
mation seitens der Kassen, die ja an
Zusatzversicherungen verdienen?
Im Beratungsgespräch wird natür-
lich auch darauf eingegangen, wel-
che Zusatzversicherungen vorhan-
den sind. Es empfiehlt sich, regelmäs-
sig zu prüfen, ob die Versicherungen
noch die Bedürfnisse decken.
Generell zeigt sich, dass sich vor al-
lem Ältere eine Zusatzversicherung
leisten, während Jüngere vermehrt
darauf verzichten. Um die Finanzie-
rung des Systems nachhaltiger zu
gestalten, schlagen die Kassen al-
tersbezogene Tarife vor. Ging hier
bereits etwas vorwärts?
Man kann ein System nicht von heu-
te auf morgen ändern. Dazu braucht
es Übergangsfristen und flankieren-
de Massnahmen. Wir werden hier si-
cherlich tragfähige Lösungen vor-
schlagen, entscheiden müssen da-
nach die Politik
und die Versicher-
ten. Irgendwann
werden wir bei der
Zusatzversiche-
rung aber auf
Schwierigkeiten
stossen. Es ist bes-
ser, die Probleme
heute anzugehen. Unser Ziel ist es,
die Finanzierbarkeit der Zusatzver-
sicherungen für Alt und Jung nach-
haltig zu sichern.
Von der Freien Liste werden immer
wieder einkommensabhängige
Krankenkassenprämien gefordert.
Wie sehen Sie das?
Das wäre eine riesige Systemumstel-
lung. Ich halte nichts davon, weil es
«Es ist der richtige Weg, Geld für die
Prämienverbilligung zu verwenden»
Interview Das Gesundheitswesen ist derzeit wieder in aller Munde. Das «Volksblatt» hat sich mit Thomas Hasler, dem
Geschäftsführer des Liechtensteinischen Krankenkassenverbands (LKV), über die Gesundheitskosten und an welchen Schrau-
ben noch gedreht werden kann, Prämienverbilligung und natürlich einen allfälligen Neubau des Landesspitals unterhalten.
«Irgendwann werden wir
bei der Zusatzversicherung
auf Schwierigkeiten stossen.
Es ist besser, die Probleme
heute anzugehen.»
«Lange war es in
Liechtenstein durch tiefe
Prämien nicht attraktiv,
eine höhere Franchise
zu wählen.»
«Liechtenstein wird immer
auf eine Zusammenarbeit
mit ausländischen Spitälern
angewiesen sein.»