Eine
Ausnahme von dieser
Faustregel kann gemacht
werden, wenn ein Völker-
mord oder eine massive Un-
terdrückung religiöser oder ethni-
scher Minderheiten stattfindet. In-
teressen stehen nicht notwendiger-
weise im Widerspruch zu den Wer-
ten. Länder sollten jedoch gegen
staatlich geförderte Aggressionen
und Terrorismus sowie unfaire Han-
delspraktiken Massnahmen ergrei-
fen. Die Aussenpolitik europäischer
Länder wurde jedoch durch wech-
selnde Werte diffus. Diese Werte
werden als Vorbilder gestellt, aber
uneinheitlich angewendet.
Die Ansätze unterscheiden sich be-
reits zwischen den drei grössten eu-
ropäischen Ländern – dem Vereinig-
ten Königreich, Deutschland und
Frankreich – und der Europäischen
Kommission, die eher eine fiktive
als reale Rolle spielt. Für ausländi-
sche Partner ist diese Haltung un-
zuverlässig.
Eine Folge einer solchen wertorien-
tierten Politik ist das europäische
Geflecht von Beschränkungen für
Rüstungsexporte. Diese Einschrän-
kungen machen die Entwicklung ei-
ner effizienten europäischen Vertei-
digungsindustrie unmöglich und
behindern damit die Fähigkeit Eu-
ropas, sich selbst zu verteidigen. In-
folgedessen mangelt es dem Konti-
nent an internationaler Glaubwür-
digkeit.
Iran: Ein Weckruf
Unter der Vernachlässigung ihrer
eigenen Werte und ihrer langfristi-
gen Interessen lehnen die meisten
europäischen Länder die Politik der
Trump-Administration gegenüber
dem Iran ab und wollen das Atom-
abkommen mit Teheran aus dem
Jahr 2015 beibehalten.
Washingtons Kritik an dem Abkom-
men bezieht sich auf die folgenden
zwei Punkte. Zuerst meinte das
Weisse Haus, dass der Vertrag nicht
ausreichend ist, um zu verhindern,
dass der Iran eine Atommacht wird.
Zweitens, und vor allem was am
wichtigsten ist, hat das Abkommen
die politische Strategie des Iran,
Konflikte in der gesamten Region
zu provozieren und Terrorismus zu
fördern, nicht behandelt.
Teheran bleibt dabei, dass Israel
vernichtet werden muss und unter-
stützt terroristische Aktivitäten im
Ausland durch Hisbollah und ande-
re Organisationen.
Es hat den katastrophalen Bürger-
krieg im Jemen ausgelöst und unter-
stützt weiterhin die Houthi-Rebel-
len vor Ort, die auch Saudi-Arabien
bedrohen und zu einer Eskalation
des Konflikts führten.
Die europäische Aussenpolitik hat
sich darauf konzentriert, das Ab-
kommen unter Missachtung der
oben genannten Bedenken zu ret-
ten, obwohl iranisch gesponserte
Terroristen mehrere Anschläge in
europäischen Ländern wie Däne-
mark und den Niederlanden geplant
haben. Stattdessen haben es die eu-
ropäischen Regierungen vorgezo-
gen, Saudi-Arabien zu kritisieren.
Die schreckliche Menschenrechts-
situation im Iran findet bei den
europäischen Medien und politi-
schen Entscheidungsträgern weni-
ger Beachtung. Jedoch werden die
Menschenrechtsverletzungen in
Saudi-Arabien verurteilt.
Im Gegensatz zu Teheran hat Riad
den Krieg im Jemen nicht begon-
nen. Saudi-Arabien ist aus defensi-
ven Gründen in den Konflikt verwi-
ckelt, wird aber ständig wegen sei-
ner Rolle kritisiert. Während es
Raum für Kritik an den Aktionen
Saudi-Arabiens im Jemen gibt, ver-
dient das fundamentalistische Re-
gime in Teheran mindestens eben-
so viel Missbilligung.
Der jüngste Angriff auf eine saudi-
sche Aramco-Raffinerie sollte ein
Weckruf sein. Dieser wurde mit
grösster Wahrscheinlichkeit vom
Iran gesponsert. Vielleicht däm-
mert es jetzt den europäischen aus-
senpolitischen Strategen, dass die
Haltung der Trump-Administration
nicht so fehl am Platz war, wie eini-
ge angedeutet hatten.
China: Ignorierte Werte
Der Handelsstreit zwischen den
USA und China ist ein weiterer der-
artiger Fall. Politiker und Medien
auf der östlichen Seite des Atlantiks
(und einige in den USA) vertreten
die Meinung, dass der Konflikt eher
ein Hobby von US-Präsident Donald
Trump sei als eine gültige Antwort
auf Chinas Preisdumping, Wirt-
schaftsspionage, Diskriminierung
beim Marktzugang und Nichteinhal-
tung der Rechte an geistigem Eigen-
tum. Manche hatten die engstirnige
Hoffnung, dass Europa von diesem
Konflikt der Giganten profitieren
und seinen Handel mit China stei-
gern könnte. Die stets präsentierten
Werte der europäischen Regierun-
gen wurden «verdrängt».
Über die Situation der Uiguren und
die Verfolgung der Christen in der
Volksrepublik wurde zu wenig be-
achtet. Die jüngsten Ereignisse in
Hongkong, obwohl sie im Vergleich
zu den oben genannten Menschen-
rechtsverletzungen geringfügig wa-
ren, haben die europäische Öffent-
lichkeit etwas aufgerüttelt. Viel-
leicht wird eventuell Europa erken-
nen, dass auch in Bezug auf China
die US-Position nicht so falsch
gewesen wäre und sie die US-
Politik ernst nehmen.
Sicherlich muss Europa nicht in al-
len Aspekten der US-Politik folgen.
Die Direktheit der Trump-Administ-
ration mit ihrem unkonventionellen
Kommunikationsstil schockiert
zwar etablierte Diplomaten, jedoch
ist das nicht der Kern des Problems.
Die europäischen und US-amerika-
nischen Interessen sind nicht im-
mer gleich.
Ein wirklich negativer Aspekt
dieser Situation ist jedoch, dass ei-
nige europäische Regierungen – mit
starker Unterstützung der amerika-
nischen Opposition, und zwar teil-
weise in beiden Parteien – zu glau-
ben scheinen, dass es wichtiger ist,
Entscheidungen der Trump-Admi-
nistration zu bekämpfen, als eine
realistische Aussenpolitik zu füh-
ren, welche die Interessen und
Werte in Einklang bringt.
Europas diff use Aussen-
und Sicherheitspolitik
«Nachhaltige Aussen-und Sicherheitspolitik wird vor allem von Interessen bestimmt. Sicherlich mögen Staaten Wertfragen berücksichtigen, aber eine Einmi-
schung in interne politische und wirtschaftliche Systeme anderer Länder sollte vermieden werden»: Ein Kommentar von Prinz Michael von Liechtenstein.
Übersieht die EU gefl issentlich Schandtaten des Iran? Unser Foto zeigt dessen Präsidenten Hassan Rohani (r.). Auf dem Bild: Irans geistlicher Führer Ali Khamenei. (Foto: Keystone)
Über den Experten
GIS-Gründer und IUF-VR-Präsident
Prinz Michael von und zu Liechtenstein (Foto) ist VR-Präsident des Industrie- und Finanzkontor Ets.,
einem liechtensteinischen Treuhandunternehmen, das im Bereich der langfristigen Vermögenssiche-
rung tätig ist. Er ist zudem Gründer und Chairman der Geopolitical Intelligence Services, GIS, einem
geopolitischen Beratungs- und Informationsdienst mit Sitz in Vaduz. Seine Ausbildung als Magister
in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften schloss er an der Wirtschaftsuniversität Wien
ab. Prinz Michael ist auch Vorstandsmitglied der Treuhandkammer und Präsident des
Thinktanks European Center of Austrian Economics Foundation.
Das «Volksblatt» gibt Gastautoren Raum,
ihre Meinung zu äussern. Diese muss nicht
mit jener der Redaktion übereinstimmen.
Copyright: Geopolitical Intelligence
Services AG, GIS, Vaduz. 2019.
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FREITAG
18. OKTOBER
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