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DONNERSTAG
17. OKTOBER 2019
Charlie Chaplins Appell an die
Menschlichkeit am Berner Theater
Hintergrund «The Great Dictator» ist eine Persiflage faschistischer Rhetorik. Das Berner Theater bringt den Film-
klassiker von Charlie Chaplin erstmals in deutscher Sprache auf die Bühne. Ein Gespräch mit dem Regisseur Cihan Inan.
VON ANDREA FIEDLER, KEYSTONE-SDA
Charlie Chaplin hat mit seiner Dar-
stellung des Diktators Adenoid Hyn-
kel, unschwer als Adolf Hitler zu er-
kennen, Filmgeschichte geschrie-
ben. Bereits 1940, rund ein Jahr
nach Beginn des Zweiten Weltkriegs,
hat Chaplin mit seiner Satire den
Machtwahn und die Unmenschlich-
keit der Nationalsozialisten im Be-
sonderen sowie faschistische Rheto-
rik generell entlarvt. Dem grossen
Diktator Hynkel hat Chaplin den
kleinen jüdischen Friseur aus dem
Ghetto entgegengestellt und damit
die Begriffe «gross» und «klein» un-
terlaufen. Beide Rollen spielt Chaplin
im Film selbst. Als Diktator bellt er
in unverständlicher fiktionaler Spra-
che seinen ganzen Hass auf die Mas-
se seiner Zuhörer nieder. Das letzte
Wort hat indes der Friseur, der we-
gen äusserlicher Ähnlichkeit mit
dem Diktator verwechselt wird und
sich am Schluss des Films seiner-
seits mit einer Rede an das Volk rich-
tet: «... Lasst uns kämpfen für eine
Welt der Vernunft – eine Welt, in der
Wissenschaft und Fortschritt zu un-
ser aller Glück führen sollen. Im Na-
men der Demokratie, lasst uns zu-
sammen stehen! ...»
«Dieses Stück gerade heute»
Das ist die durchaus pathetische
Botschaft, die Charlie Chaplin mit
dem Film vermittelt, in der Überset-
zung von Cihan Inan, Schauspieldi-
rektor am Konzert Theater Bern und
verantwortlich für die Regie und die
Bühnenfassung. Diesen Appell will
er mit seinem «Der grosse Diktator»
an sein Publikum richten. «Der Text
dieser Schlussrede
hat absolute Gültig-
keit. Diese Bot-
schaft ist mir wich-
tig», sagt er im Ge-
spräch mit Keysto-
ne-SDA. Und: «Als
Chaplin-Fan musste
ich dieses Stück ge-
rade in der heutigen Zeit machen.»
Insofern sei sein Bühnenstück «in
seiner Anlage politisch».
Inan hat bereits in der vergangenen
Spielzeit einen Film auf die Bühne ge-
bracht: «Beresina oder die letzten Ta-
ge der Schweiz», nach dem Film von
Daniel Schmid, mit dem Drehbuch
von Martin Suter. Bereits damit in-
szenierte er provokative politische
Satire und bereits damit hat er die
Grenze von Film und Theater über-
schritten. «Ich komme vom Film und
mache Theater wie Film als auch
Filme wie Theater», sagt Inan. «Bere-
sina» sei allerdings in der Interpreta-
tion weiter vom Film entfernt gewe-
sen als nun «Der grosse Diktator».
Von der Familie Chaplin hat Inan die
Rechte und das Drehbuch des Films
erhalten, das nur die Dialoge, aber
keine Regieanweisungen enthält. «Ei-
ne grosse Ehre», betont er. «Die Chap-
lins wollten aber wissen, wie wir den
Stoff umsetzen.» Er habe sich ent-
schieden, möglichst nahe am Film zu
bleiben. Der Film arbeitet mit vielen
Schnitten, Szenenwechsel zwischen
dem Machtzentrum um Hynkel und
dem jüdischen
Ghetto, der Welt
des Friseurs. Diese
schnellen Wechsel
lassen sich auf der
Bühne nicht reali-
sieren. Deshalb
sieht Inan längere
Szenen vor. Um
dennoch die Logik der Geschichte
beibehalten zu können, setzt er für
die Berner Inszenierung eine Erzäh-
lerin ein, die kommentierend durch
das Stück führt.
«Chaplins Idee neu denken»
Eine Hürde, die Inan mit der Insze-
nierung für das Berner Theater
überwinden muss, liegt darin be-
gründet, dass Chaplin mit seinem
Film Bilder und Szenen geschaffen
hat, die im kollektiven Gedächtnis
verankert sind. Darauf trifft nun
Inans Bühnenfassung. «Ich will eine
Hommage an Charlie Chaplin und
gleichzeitig dessen Idee neu den-
ken», sagt Inan.
Vor diesem Hintergrund ist die Dop-
pelrolle von Hynkel und Friseur eine
besondere Herausforderung für den
Schauspieler und Hauptdarsteller
Gabriel Schneider. Er ist konfrontiert
mit dem Vorbild Chaplin. «Wir wol-
len nicht Chaplin nachahmen, son-
dern Schneider hat zu einer bewusst
eigenen Darstellung gefunden.»
Assoziation mit heutigen Verführern
Inan setzt in seiner Inszenierung
fast durchgängig auf die Farbgebung
Schwarz-Weiss, vom Bühnenbild
über die Beleuchtung bis zu den
Kostümen. Farbig wird das Gesche-
hen auf der Berner Bühne erst wäh-
rend der Schlussrede des Friseurs,
wenn er seinen flammenden Appell
an das Volk richtet, der getragen ist
von der Hoffnung auf eine neue
Welt. Grün wird etwa das Kleid von
Hannah, der Mitstreiterin und
Freundin des Friseurs, und farbig
das Licht – «dann, wenn wir ins Heu-
te kommen». Denn, so Inan, auch
wenn er mit seiner Inszenierung na-
he an Chaplins Vorlage bleibe, so
werde die Zuschauerin, der Zu-
schauer mit Hynkel-Hitlers Hassrhe-
torik auch heutige Redner wie Do-
nald Trump, Kim Jong-un, den deut-
schen AfD-Politiker Björn Höcke
oder den einen oder anderen
Schweizer assoziieren. «Es geht dar-
um, wie Populisten mit ihrer Spra-
che verführen und was wir dem ent-
gegensetzen; wir müssen uns den
Anstand im Umgang miteinander
zurückholen», sagt Inan.
Premiere feiert «Der grosse Diktator» am
Stadttheater Bern am Freitag dieser Woche.
«Wir müssen uns den
Anstand im Umgang mit-
einander zurückholen.»
CIHAN INAN
SCHAUSPIELDIREKTOR AM
KONZERT THEATER BERN
Sybille Berg
«Hass-Triptychon»
mit Nestroy-Preis
ausgezeichnet
WIEN Wenn am 24. November in
Wien die Theaterpreise Nestroy
verliehen werden, dann wird
auch die deutsch-schweizerische
Autorin Sybille Berg geehrt. Sie
erhält den Autorenpreis für ihr
«Hass-Triptychon – Wege aus der
Krise», eine Koproduktion der
Wiener Festwochen mit dem Ma-
xim Gorki Theater Berlin. Sibylle
Bergs «Hass-Triptychon spielt in
einer Kleinstadt an einem Auto-
bahnzubringer. Die Bewohner
sind einfache Menschen mit ge-
wöhnlichen Problemen. Ihr Le-
ben wird werktags von der Arbeit
strukturiert, den Sonntag bestim-
men Langeweile und Ideenlosig-
keit. In diese Tristesse platzt ein
sogenannter Hassmaster, der zur
Therapiesitzung einlädt. Uraufge-
führt wurde das Stück Ende Mai
an den Wiener Festwochen. (sda)
(Foto: Keystone/Laurent Gillieron)
El-Greco-Schau in Paris
Meisterwerke
aus aller Welt
PARIS El Greco gehört zu den be-
deutendsten Malern der Kunstge-
schichte. Im Pariser Grand Palais
wird dem Künstler (1541–1614)
jetzt eine grosse Retrospektive ge-
widmet. Mehr als 70 Werke wer-
den bis 10. Februar präsentiert,
darunter Werke aus den bedeu-
tendsten Museen weltweit, Leih-
gaben von Privatsammlern und
selten vereinte Serien. Die Aus-
stellung illustriert die Entwick-
lung des Malers, der als Domíni-
kos Theotokópoulos auf Kreta ge-
boren wurde und als El Greco,
Meister des Goldenen Zeitalters
Spaniens, in Toledo starb. Die
Werkschau ist in Zusammenarbeit
mit dem Louvre und dem Art Ins-
titute of Chicago entstanden, wo
sie vom 8. März bis 21. Juni 2020
zu sehen sein wird. (sda/dpa)
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