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9. SEPTEMBER 2019
Nie Fehler zugeben – Trump, der Hurrikan und ein Sharpie
Analyse Donald Trump
macht keine Fehler. Das ist
jedenfalls das, was er selbst
sagt. Jetzt hat der US-Prä-
sident tagelang versucht,
offenbar falsche Warnungen
über die Zielrichtung von
Hurrikan «Dorian» zu recht-
fertigen.
Das trieb er so weit, dass er eine Be-
hördenkarte präsentierte, die au-
genscheinlich mit einem Sharpie, ei-
nem Markierstift, manipuliert wor-
den war. Und das dürfte nur das
jüngste Beispiel für die geradezu no-
torische Abneigung Trumps zu sein,
einen Fehler zuzugeben, egal, wie
harmlos dieser auch gewesen sein
mag. Was spielt sich in ihm ab? «Ich
glaube, dass es eine grossartige Sa-
che ist, sich zu entschuldigen, aber
dafür muss man einen Fehler began-
gen haben», sagte er 2016 in einem
Interview. «Ich werde mich ganz si-
cher entschuldigen, irgendwann in
der hoffentlich fernen Zukunft,
wenn ich jemals Unrecht hatte.»
Konkret geht es diesmal um Trumps
Äusserung vom vergangenen Sonn-
tag, dass Hurrikan «Dorian» wahr-
scheinlich auch Alabama treffen
werde – eine Behauptung, die
prompt vom nationalen Wetter-
dienst in Birmingham, der grössten
Stadt in dem US-Staat, zurückgewie-
sen wurde. Aber noch bis zu diesem
Wochenende war Trump bemüht,
seine Warnung als faktisch begrün-
det darzustellen – und das auf eine
Weise, die viel Spott auslöste.
Trump sagt, wo der Sturm wütet
«Grosse Präsidenten geben zu, wenn
sie etwas vermasselt haben, sie kor-
rigieren es und gehen zu etwas an-
derem über», sagt Präsidentenhisto-
riker Jon Meacham. «In diesem Fall
dreht sich der Fehler um eine Be-
hauptung, welchen Staat ein Hurri-
kan treffen wird. Aber es kann auch
eine viel schwerwiegendere Sache
sein, Leben kosten und dazu beitra-
gen, dass ein Klima entsteht, in dem
die Menschen der Regierung nicht
mehr trauen können.» Der jüngste
Wirbel begann mit einem Tweet,
wie so häufig bei diesem Präsiden-
ten. Trump schrieb, dass Alabama,
South und North Carolina sowie
Georgia «wahrscheinlich (sehr viel)
härter als vorhergesagt» von «Dori-
an» getroffen würden. Dem nationa-
len Wetterdienst in Birmingham zu-
folge bestand zu diesem Zeitpunkt
aber keine Bedrohung für Alabama,
wie die Behörde sofort ebenfalls auf
Twitter klarstellte: «Alabama wird
nicht von #Dorian getroffen werden
(...). Das System bleibt zu weit öst-
lich.» Statt es nun auf sich beruhen
zu lassen, ging Trump in die Offensi-
ve, betonte über Tage hinweg immer
wieder, dass seine Darstellung «un-
ter bestimmten ursprünglichen Sze-
narien» tatsächlich korrekt gewesen
sei. Am Mittwoch präsentierte
Trump dann eine Karte mit der Vor-
hersage des nationalen Hurrikan-
Zentrums vom Donnerstag vergan-
gener Woche. Auf ihr war augen-
scheinlich per Hand mit einem Shar-
pie ein Halbkreis hinzugefügt wor-
den, der vorher nicht vorhanden
war – und einen Teil Alabamas in
das potenziell von «Dorian» bedroh-
te Gebiet einbezog.
Politsatiriker freuen sich
Von Journalisten nach einer Erklä-
rung dafür gefragt, antwortete der
Präsident, der für seine Vorliebe für
Sharpies bekannt ist, dass er keine
Ahnung habe. Aber danach beharrte
er weiter wiederholt darauf, dass be-
stimmte Vorhersagemodelle seine
Äusserungen stützten. Zur Unter-
mauerung twitterte er überholte
Karten. Am späten Donnerstag-
abend veröffentlichte das Weisse
Haus dann auch noch eine Erklä-
rung von Admiral Peter Brown, dem
Heimatschutzberater des Präsiden-
ten. Darin hiess es, er, Brown, sei es
gewesen, der Trump am Sonntag ge-
brieft und ihm dabei auch Karten
vorgelegt habe, die mögliche Sturm-
auswirkungen «sehr wohl ausser-
halb» des offiziell vorhergesagten
bedrohten Gebietes aufgezeigt hät-
ten. Die Kontroverse war bald ein ge-
fundenes Fressen für Politsatiriker
und ein Topthema in sozialen Medi-
en, warf zugleich aber für viele ein-
mal mehr die Frage nach Trumps
Amtsfähigkeit auf. «Ich bin wirklich
besorgt. Der Präsident tut mir leid»,
sagte etwa der demokratische Präsi-
dentschaftsbewerber Pete Buttigieg.
«Und so sollten wir nicht über die
mächtigste Person in unserem Land
empfinden – jemanden, von dessen
Weisheit und Urteilsfähigkeit unser
Leben buchstäblich abhängt.»
«Alternative Fakten»
Viele Kritiker sagen, dass es eine Sa-
che sei, zu behaupten, dass der
Trump-Tower in Manhattan 68
Stockwerke habe (er hat 58). Etwas
ganz anderes sei es aber, den eige-
nen Mitarbeiterstab zu veranlassen,
etwas zu sagen oder sogar zu fabri-
zieren, das falsche Behauptungen
als richtig erscheinen lassen solle.
So witterten Skeptiker denn auch
Unrat, als die nationale Wetterbe-
hörde NOAA am Freitagabend – also
Tage nach dem Beginn der Saga –
plötzlich eine Erklärung herausgab,
in der ein namentlich nicht genann-
ter Sprecher Trumps Darstellung
stützte. Aber was der Namenlose
sagte, widerspricht Angaben von
NOAA-Sprecher Chris Vaccaro, de-
nen zufolge es am vergangenen
Sonntag keine Bedrohung für Alaba-
ma gab. Tatsächlich wäre es nicht
das erste Mal, dass Trump Offizielle
dazu bringt, von ihm geschaffene
«alternative Fakten» zu bestätigen –
ein Begriff, den seine Beraterin Kel-
lyanne Conway prägte. Nachdem er
beispielsweise 2018 lautstark vor
den Gefahren durch eine sogenann-
te Migranten-Karawane gewarnt hat-
te, führten Regierungsbeamte eine
Statistik zu Terroristenfestnahmen
an, die sich als falsch erwies. Trumps
damaliger Pressesprecher Sean
Spicer war gezwungen, Trumps fal-
sche Darstellung einer Rekordmen-
ge bei seiner Vereidigung zu vertei-
digen. Sogar, als Trump versehent-
lich in einer späten Nacht das nicht
existierende Wort «covfefe» twitter-
te, war der Präsident nicht bereit,
schlicht einen Tippfehler oder so zu-
zugeben. Stattdessen liess er Spicer
erklären: «Ich denke, der Präsident
und eine kleine Gruppe von Leuten
wissen genau, was er meinte.» Und
nun Alabama und der Sharpie.
Meacham, der Präsidentenhistori-
ker, fasst seine Empfindungen so zu-
sammen: «Es wäre lustig, wenn es
nicht so ernst wäre.» (ap)
Premierminister Johnson
will Neuwahl durchdrücken
Chaos Der britische Premierminister Boris Johnson verliert mit seinem kompromisslosen Brexit-Kurs zunehmend an Rück-
halt im Kabinett. Und dem Regierungschef droht noch mehr Ärger.
Nach
dem Rücktritt von Ar-
beitsministerin Amber
Rudd wird in Grossbritan-
nien gerätselt, wie sich
Premierminister Boris Johnson um
eine weitere Brexit-Verschiebung
drücken will. Rudd hatte ihr Amt in
der Regierung und ihre Fraktions-
mitgliedschaft am Samstagabend
aus Protest gegen den Brexit-Kurs
Johnsons niedergelegt. Der Rück-
tritt der als gemässigt geltenden
Politikerin ist ein schwerer Schlag
für den Regierungschef. Als Nach-
folgerin ernannte er am Sonntag die
bisherige Umweltstaatssekretärin
Thérèse Coff ey. An diesem Montag
droht Johnson eine weitere Abstim-
mungsniederlage, wenn er im Par-
lament Zustimmung für eine Neu-
wahl sucht. Johnson will sein Land
am 31. Oktober aus der Staatenge-
meinschaft führen, «komme, was
wolle». Ein am vergangenen Freitag
verabschiedetes Gesetz sieht jedoch
vor, dass die Regierung eine Verlän-
gerung der Brexit-Frist beantragen
muss, wenn bis zum 19. Oktober kein
Abkommen ratifi ziert ist. Bei einem
No Deal drohen schwere Schäden
für die Wirtschaft und andere Le-
bensbereiche.
Kritiker aufgeschreckt
Spekuliert wird, die Regierung kön-
ne mangels Alternativen versuchen,
das Gesetz zu ignorieren. Aussenmi-
nister Dominic Raab sprach in ei-
nem Interview mit dem Sender Sky
News von einem «miserablen Ge-
setz», das Johnson sehr genau über-
prüfen werde. Der Premierminister
sagte Reportern bereits am Freitag,
das Gesetz sehe nur «theoretisch»
eine Brexit-Verschiebung vor – und
schreckte damit seine Kritiker auf.
Es wird erwartet, dass das Gesetz
am Montag mit Billigung von Köni-
gin Elizabeth II. in Kraft tritt. John-
son will am selben Tag im Unterhaus
über eine Neuwahl am 15. Oktober
abstimmen lassen, um das Gesetz
mit einer Parlamentsmehrheit recht-
zeitig zu ändern. Doch die Oppositi-
on hat klar gemacht, dass sie das
nicht zulassen wird. Für eine Neu-
wahl ist die Zustimmung von zwei
Dritteln aller Abgeordneten notwen-
dig. Fraglich ist, ob der Premiermi-
nister das Parlament bereits am
Montag in die geplante Zwangspause
schickt. Theoretisch wäre bis Don-
nerstag Zeit, um noch einen dritten
Anlauf zu wagen. Experten warnten,
Johnson könnte im Extremfall im
Gefängnis landen, sollte er sich über
das Gesetz stellen. «Er ist genauso
an das Rechtsstaatsprinzip gebun-
den wie jeder andere in diesem
Land», sagte der ehemalige General-
staatsanwalt Dominic Grieve der
BBC am Samstag. «Wenn er sich
nicht daran (an das Gesetz) hält,
kann er vor Gericht verklagt wer-
den. Das Gericht würde nötigenfalls
eine Verfügung erlassen, die ihn da-
zu verpflichtet (...), hält er sich nicht
an die Verfügung, könnte er ins Ge-
fängnis geschickt werden.»
Scharfe Kritik von Rudd
Scharfe Kritik an Johnson übte auch
Rudd bei ihrem Rücktritt. Sie glaube
nicht mehr daran, dass ein geregel-
ter EU-Austritt das Hauptziel der Re-
gierung sei, schrieb sie in einem
Brief an den Premier. «Die Regie-
rung steckt viel Energie in die Vor-
bereitungen für einen No Deal, aber
ich habe nicht das gleiche Mass an
Intensität in den Gesprächen mit der
Europäischen Union gesehen (...).»
Sie habe von der Downing Street auf
ihre Frage, wie der Plan für einen
Deal denn nun aussehe, lediglich ei-
ne einseitige Zusammenfassung be-
kommen, berichtete Rudd am Sonn-
tag in einem BBC-Interview. Auch
der Rauswurf von Tory-Rebellen
durch Johnson aus der Tory-Frakti-
on am Dienstag hat zum Rücktritt
beigetragen. «Ich kann nicht zuse-
hen, wie gute, loyale, moderate Kon-
servative ausgeschlossen werden»,
schrieb Rudd. «Ich kann diesen poli-
tischen Vandalismus nicht mittra-
gen.» Daher trete sie auch aus der
Fraktion aus. Johnson hatte am
Dienstag 21 Tory-Rebellen aus der
Fraktion geworfen, die im Streit um
den Brexit-Kurs des Premiers gegen
die eigene Regierung gestimmt hat-
ten. Darunter sind so prominente
Mitglieder wie der Alterspräsident
und ehemalige Schatzkanzler Ken
Clarke und der Enkel des Kriegspre-
miers Winston Churchill, Nicholas
Soames. Rudd galt einst als aus-
sichtsreiche Kandidatin für das Amt
der Regierungschefin. Sie hatte im
Kabinett von Theresa May bereits
den Posten der Arbeitsministerin in-
ne. Auch das Innenministerium lei-
tete sie zeitweise. Die proeuropäi-
sche Politikerin galt zusammen mit
anderen lange Zeit als Gegengewicht
zu den Brexit-Hardlinern im Kabi-
nett. Doch die meisten ihrer Mit-
streiter waren nach der Wahl John-
sons zum Premier ausgeschieden.
Trotzdem gelten einige Kabinetts-
mitglieder als Wackelkandidaten,
die Rudd folgen könnten.
Besuch in Dublin
Johnson steht heute ein heikles Ge-
spräch bevor. Er besucht in Dublin
seinen irischen Amtskollegen Leo Va-
radkar, um einen der umstrittensten
Punkte beim Brexit – die irische
Grenzfrage – zu besprechen. Die EU
und ihr Mitglied Irland wollen Kon-
trollposten an der Grenze zu Nordir-
land vermeiden, weil eine neue Tei-
lung der Insel Unruhen auslösen
könnte. Bis eine andere Lösung ge-
funden wird, sollen für Nordirland
weiter einige EU-Regeln gelten und
Grossbritannien in der EU-Zollunion
bleiben. Diese Lösung («Backstop»)
lehnt Johnson ab. Angesichts der Bre-
xit-Streitereien machte Frankreichs
Aussenminister deutlich, dass er von
einer erneuten Verschiebung des EU-
Austritts nichts hält. Jean-Yves Le
Drian sagte am Sonntag in einem In-
terview des Senders CNEWS, man
werde nicht alle drei Monate erneut
anfangen, eine Verschiebung des
Austritts Grossbritanniens aus der
EU zu diskutieren. Die Briten hätten
Alternativlösungen angekündigt.
«Wir haben sie nicht gesehen», sagte
Le Drian. Bei Protesten für und gegen
den EU-Austritt Grossbritanniens
war es am Samstag in London zu be-
drohlichen Szenen gekommen. Wie
die britische Nachrichtenagentur PA
berichtete, musste die Polizei Grup-
pen mit jeweils mehreren Hundert
Menschen am Parliament Square aus-
einanderhalten. Es kam laut Scotland
Yard zu Festnahmen wegen Gewalt-
delikten. Berichten zufolge gingen ei-
nige der Übergriffe von Mitgliedern
der als rechtsextremistisch gelten-
den Fussballfan-Vereinigung Football
Lads Alliance (FLA) aus. Die FLA hat-
te ihre Anhänger zur Pro-Brexit-De-
mo aufgerufen. (sda/dpa)
Der britische Premierminister Boris Johnson hat sich mit seinem kompromisslo-
sen Brexit-Kurs in eine schier ausweglose Lage manövriert. (Foto: RM)
Trotz Zugeständnissen
Hongkonger
protestieren weiter
HONGKONG Trotz Zugeständnissen
der Regierung ist es in Hongkong am
Wochenende erneut zu Protesten
für Demokratie und Rechtsstaatlich-
keit gekommen. Zehntausende De-
monstranten zogen am Sonntag zum
US-Konsulat in der chinesischen
Sonderverwaltungszone, um für Un-
terstützung der Amerikaner zu wer-
ben. Demonstranten trugen die US-
Flagge, auch die Nationalhymne der
USA war zu hören. Zuvor hatten De-
monstranten am Samstag Einkaufs-
zentren sowie U-Bahn-Stationen be-
setzt, wobei es auch zu Zusammen-
stössen mit der Polizei der china-
treuen Regierung kam. Allerdings
gab es zunächst deutlich weniger
Gewalt als eine Woche zuvor, als die
frühere britische Kronkolonie die
bislang wohl schwersten Ausschrei-
tungen im Zuge der seit drei Mona-
ten andauernden regierungskriti-
schen Proteste erlebt hatte. Als Zei-
chen der Entspannung in Richtung
der Protestbewegung hatte Hong-
kongs Regierungschefin Carrie Lam
am Mittwoch den Entwurf für ein
umstrittenes Gesetz für Auslieferun-
gen nach China komplett zurückge-
zogen, das die Proteste ursprünglich
ausgelöst hatte. Mit dem formellen
Rückzug erfüllt Lam eine Hauptfor-
derung der Demonstranten. Aktivis-
ten machten aber deutlich, dass ih-
nen das nicht reiche. (sda/dpa)
Drohkulisse klares Signal
Iran eskaliert
Atomstreit
TEHERAN Der Iran hat den Streit um
sein Atomprogramm weiter eskaliert
und leistungsstärkere Zentrifugen
für eine schnellere und effektivere
Urananreicherung in Betrieb genom-
men. Die Führung in Teheran ver-
letzt damit eine weitere Vereinba-
rung aus dem Wiener Atomabkom-
men von 2015. Zugleich warnte der
Sprecher der iranischen Atomorga-
nisation (AEOI), Behrus Kamalwan-
di, am Samstag in Teheran, dass die
für November geplante nächste Stufe
des Teilausstiegs das Ende des Atom-
abkommens bedeuten könnte. «Be-
sonders für die europäischen Ver-
tragspartner bleibt bis dahin nur
noch wenig Zeit, den Deal zu retten»,
fügte er hinzu. Mit diesem bewuss-
ten Bruch des Atomdeals will der
Iran in erster Linie die europäischen
Vertragspartner Frankreich, Gross-
britannien und Deutschland weiter
unter Druck setzen. (sda/dpa)