Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2019)

  
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18. JULI 2019 null 
weit abgesunken und auch seine 
Qualität leidet. Schon in 30 Jahren 
werden wir noch mehr Grundwasser 
zum Trinken benötigen, als es heute 
der Fall ist. Wir sind auf das sehr 
komplexe Zusammenspiel von Biolo- 
gie, Chemie und Physik angewiesen 
und haben es gleichzeitig zum Kip- 
pen gebracht, das kostet. Es kommt 
also ganz darauf an, in welchem 
Zeithorizont man denkt. Denkt man 
kurzfristig, spart man das Geld, län- 
gerfristig kommt uns – oder besser 
gesagt unseren Kindern – das Nicht- 
agieren aber wesentlich teurer. 
Wechseln wir vom Tal in die Berge: 
Einen Eingriff in die Natur stellen 
auch die von Liechtenstein Marke- 
ting und der Gemeinde Triesenberg 
aufgestellten Schaukeln dar. Die 
LGU hat erfolgreich Einspruch dage- 
gen erhoben. Warum sind Sie gegen 
Schaukeln? 
Die LGU hat nicht grundsätzlich et- 
was gegen Schaukeln, es kommt aller- 
dings darauf an, wo die Schaukeln 
stehen. Auf dem Spielplatz oder auch 
neben einer Alphütte haben wir 
nichts dagegen. Ausserhalb der Bau- 
zone und zudem in einem landschaft- 
lich sensiblen Pflanzenschutzgebiet 
gilt es jedoch, die verschiedenen Inte- 
ressen sorgfältig gegeneinander abzu- 
wägen. 
Handelt es sich um einzelne Stand- 
orte, oder ist das gesamte Bergge- 
biet schützenswert? 
Unser Berggebiet ist ein Pflanzen- 
schutzgebiet und natürlich eine sen- 
sible Landschaft. Soll dort etwas zu 
einem touristischen Zweck gebaut 
werden, um mehr Menschen in das 
Gebiet zu locken, ist per Natur- 
schutzgesetz eine Interessensabwä- 
gung verpflichtend. Das heisst, es 
muss belegt werden, dass der Ver- 
brauch bzw. der Verlust von Natur- 
und Landschaftswerten – so eine 
Schaukel benötigt rund 20 Quadrat- 
meter Bergwiese und stellt einen 
Fremdkörper in der Landschaft dar 
– einen entsprechend hohen Mehr- 
wert für den Tourismus generiert. 
Das muss professionell belegt wer- 
den. Es reicht nicht aus, dass die 
Bauherrschaft glaubt, dass die 
Schaukeln gut für den Tourismus 
seien. In einem zweiten Schritt ist 
dieser Mehrwert für den Tourismus 
gegen die Verluste für Natur und 
Landschaft abzuwägen. Das Amt für 
Umwelt hat in diesem Fall das Ge- 
setz etwas anders interpretiert als 
die LGU, doch der VGH hat uns 
Recht zugesprochen. Für die LGU 
geht es hier nicht nur um ein paar 
Schaukeln, sondern um Grundsätzli- 
ches:  Was ist wie zu prüfen und zu 
belegen, bevor wir Natur- und Land- 
schaftswerte schmälern. Mit dem 
Urteil des VGH gibt es diesbezüglich 
deutlich mehr Rechtssicherheit. 
Ein Thema, das aktuell auch für 
Emotionen sorgt, ist das Thema 
Wald und Wild. Förster und Jäger 
schieben sich gegenseitig den 
Schwarzen Peter zu. Wie ist Ihre 
Meinung dazu? 
Ein Urteil zu fällen, wo wer welche 
Versäumnisse in der Vergangenheit 
zu verantworten hat, ist heikel und 
nicht zielführend. Ich bin dafür, die 
Fakten auf den Tisch zu legen und 
zu tun, was notwendig ist, damit sich 
der Wald wieder verjüngen kann. 
Das ist sicher nicht einfach und mit 
vielen Emotionen belegt. Wir brau- 
chen aber einen intakten Schutz- 
wald, und das bedeutet, dass wir den 
Wildbestand auf einem Niveau hal- 
ten müssen, das Waldverjüngung zu- 
lässt. Dadurch rottet man die betrof- 
fenen Wildarten bestimmt nicht aus. 
Das Berggebiet wird als Freizeit- 
und Erholungsgebiet immer mehr 
genutzt – auch im Sommer. Welchen 
Einfluss hat eine intakte Umwelt auf 
die Gesundheit der Menschen? 
Der Nutzen ist riesig. Ein intakter, 
funktionsfähiger Naturhaushalt erle- 
digt sehr viele Aufgaben für uns Men- 
schen und generiert beispielsweise 
sauberes Trinkwasser und gesunde 
Atemluft. Die natürliche Vielfalt ist 
eine unserer wichtigsten Lebens- 
grundlagen. Die meisten Medikamen- 
te stammen aus der grossen Apothe- 
ke namens Naturvielfalt und die Be- 
stäubungsleistungen der Insekten 
sorgen für einen Grossteil unserer 
Nahrung. Das sind nur wenige Bei- 
spiele, bei denen sofort klar wird, 
dass all das natürlich unsere Gesund- 
heit beeinflusst. Die Natur ist aber 
auch ein sehr wichtiger Rückzugsort 
für die Menschen, um Abstand vom 
Alltag zu gewinnen. Da aber immer 
mehr Menschen auf der Suche nach 
Ruhe, Abenteuer oder körperlicher 
Ertüchtigung in der Natur unterwegs 
sind – vom Falknis bis in die Südsee – 
bedeutet das, dass diese gigantischen 
Touristenströme möglichst natur- 
und landschaftsfreundlich kanali- 
siert werden sollten. Das kommt 
nicht nur der Umwelt, sondern auch 
den Natursuchenden selbst zugute, 
denn sie wollen ja Zeit in möglichst 
intakten Natur- und Kulturlandschaf- 
ten verbringen. 
«Die Natur hat immer weniger Platz» 
ist ein Satz, den ich oft von der LGU 
höre. Haben insbesondere die Wild- 
tiere das Nachsehen? 
Wir breiten uns immer weiter aus, 
konsumieren Landschaft zur Frei- 
zeitnutzung, zum Wohnen, für unse- 
re Mobilität oder zum Wirtschaften. 
Wildtiere – vom Käfer bis zum Hirsch 
– brauchen aber ebenfalls Platz und 
sie brauchen vernetzte Lebensräu- 
me. Es ist eine Illusion, ein kleines 
Naturschutzgebiet auszuscheiden 
und sich vorzustellen, dass wir da- 
mit die Artenvielfalt retten können. 
Das funktioniert nicht. Populatio- 
nen benötigen geeignete, genügend 
grosse und miteinander vernetzte 
Lebensräume. «Biodiversität» um- 
fasst die Vielfalt der Lebensräume, 
die Vielfalt der Arten und die geneti- 
sche Vielfalt. Aufgrund der vielen 
isolierten Räume, die durch Stras- 
sen, Flüsse, Zäune, Wohn- und In- 
dustriegebiete oder auch durch gros- 
se landwirtschaftliche Kulturen ent- 
stehen, wird der genetische Aus- 
tausch zwischen Teilpopulationen 
behindert. Sie verarmen genetisch 
und gehen irgendwann kaputt. 
Wie kann die Vernetzung hergestellt 
werden? 
Es benötigt eine räumliche Vernet- 
zung, die Tiere müssen von A nach B 
gelangen. Je nachdem, welche Arten 
man wohin vernetzen möchte, müs- 
sen die entsprechenden Strukturen 
geschaffen werden. Ist ein Lebens- 
raum einer Schmetterlingsart von 
der Nachbarpopulation abgeschnit- 
ten, hilft vielleicht ein Krautsaum 
als verbindendes Element. Eine Au- 
tobahn, zum Beispiel, ist für einen 
Vogel ein kleineres Problem, der 
kann darüber hinwegfliegen, aber 
für viele verschiedene Tierarten ist 
sie ein fast unüberwindliches Hin- 
dernis. Wildtierbrücken können die 
Situation verbessern, wenn sie so ge- 
staltet werden, dass sie möglichst 
vielen Tierarten dienen. Eine solche 
Brücke ist über die Autobahn im Be- 
reich Haag – im Perimeter eines 
rheintalquerenden Wildtierkorri- 
dors – geplant. Wildtiere sollen von 
einer Bergflanke zur nächsten wan- 
dern können. Mit einer Brücke allei- 
ne ist es dabei natürlich nicht getan. 
Es benötigt auch den entsprechen- 
den Anschluss, sprich wir müssen in 
Liechtenstein dafür sorgen, dass die 
Tiere vom angrenzenden Ried bis 
zur Bergflanke in Nendeln und 
 Schaanwald gelangen können. Das ist 
eine wichtige Aufgabe der Raumpla- 
nung – und die fehlt bisher. Die Stif- 
tung Zukunft.li hat in ihrer Studie 
etliche Defizite aufgezeigt und 
mahnt dazu, endlich zu gestalten 
und nicht nur geschehen zu lassen. 
Die Regierung arbeitet seit 2018 an 
einem neuen Raumkonzept. Ist die 
LGU hier involviert? 
Wir sind bisher nicht involviert. Öf- 
ter war schon die Rede vom Ent- 
wicklungskonzept Unterland, aber 
auch dort sind wir zum jetzigen Zeit- 
punkt zwar informiert, aber nicht 
involviert. 
Zuerst werden die Strassen geplant? 
Die Gefahr ist gross, dass die natur- 
raumplanerischen Bedürfnisse nicht 
von Beginn an mitberücksichtigt 
werden, sondern bestenfalls erhal- 
ten sollen, was noch übrig ist. Im- 
mer wieder intervenieren wir des- 
halb auch bei den zuständigen Stel- 
len. Denn auch nach dem Natur- und 
dem Gewässerschutzgesetz beste- 
hen riesige raumplanerische Defizi- 
te. So steht bereits seit 1996 im Na- 
turschutzgesetz, dass rund um Na- 
turschutzgebiete Pufferzonen ausge- 
schieden werden müssen. Das ist bis 
heute nicht passiert. Ebenso wenig 
wurden Gewässerräume gemäss Ge- 
wässerschutzgesetz ausgeschieden, 
oder gemäss Landesrichtplan Wild- 
tierkorridore freigehalten, resp. wie- 
derhergestellt. 
Stichwort Gewässerräume: Geht es 
hier auch um die geplanten Rhein- 
aufweitungen? 
Partielle Aufweitungen des Alpen- 
rheins sind aus ökologischer Sicht 
unverzichtbar. Sie dienen aber auch 
der Versorgung mit Grundwasser 
guter Qualität, der verbesserten 
Hochwassersicherheit und als Nah- 
erholungsräume. Die Anrainerstaa- 
ten des Alpenrheins haben sich 2005 
auf das sogenannte Entwicklungs- 
konzept Alpenrhein geeinigt. Jedes 
Anrainerland muss Beiträge leisten, 
damit der Alpenrhein ein lebendi- 
ger, sicherer Fluss mit grossem Er- 
holungspotential wird. Kritiker gibt 
es natürlich viele, dabei stellt eine 
Rheinaufweitung einen uner- 
messlichen Wert dar. Wenn die Auf- 
weitungen gut geplant und in ange- 
messener Grösse umgesetzt werden, 
bieten sie wertvollen Raum für 
Mensch und Natur. 
  
Sie sagen, der Rhein gleicht einer 
ökologischen Katastrophe. Kann sich 
der Fluss so einfach regenerieren? 
Es ist ja nicht die Wasserqualität, die 
schlecht ist, sondern der Alpenrhein 
bietet praktisch keinen Lebensraum 
mehr, sondern ist vielmehr zur Au- 
tobahn für schwimmstarke Fische 
degradiert worden. Dazu kommt die 
von den Kraftwerksbetrieben verur- 
sachte Sunk-Schwall-Problematik, 
welche die Schweiz jedoch bis 2030 
saniert haben will. Wenn entlang 
des Rheins mehrere Aufweitungen 
realisiert, also Lebensräume ge- 
schaffen werden und die Abstände 
zueinander nicht zu gross sind, fin- 
det eine, wie schon vorher erwähn- 
te, Vernetzung dieser Lebensräume 
statt. Würden wir so etwas zustande 
bringen, hätten wir wieder einen le- 
bendigen Fluss durch das Tal, der 
für die Landschaft, die Menschen, 
die Wasserversorgung und auch die 
Biodiversität einen unglaublichen 
Mehrwert bringt. 
Die Fülle der Themen zeigt die 
Dringlichkeit, der Natur zur Seite zu 
stehen. Schenkt die Politik der LGU 
offene Ohren? 
Grundsätzlich stossen unsere Anlie- 
gen zumindest auf Interesse und 
werden angehört. Heute weiss aber 
auch schon fast jeder, dass die Situa- 
tion prekär ist, es gibt gesetzliche 
Grundlagen und es gibt natürlich 
Umweltorganisationen wie die LGU, 
die immer wieder ihre Finger in die 
Wunden legen. Allein durchs Reden 
und Zuhören werden wir aber weder 
die Natur noch das Klima retten. 
Insgesamt – und da sind wir wieder 
beim Beginn unseres Interviews – 
hat es mit unserer Lebensweise, un- 
serem Konsum und unserer Be- 
quemlichkeit zu tun. Und damit, 
dass Politiker häufig im Vierjahres- 
zyklus denken. Die LGU wird sich je- 
denfalls weiterhin für unsere natür- 
liche Umwelt stark machen und opti- 
mistisch bleiben. Wir freuen uns, 
dass wir achtsame Mitglieder und 
Förderer haben, die uns den Rücken 
stärken und darüber, dass es mitt- 
lerweile einige beispielhafte Initiati- 
ven gib, die zum Nachdenken und 
Mitmachen anregen. 
Weitere Infos zur LGU unter www.lgu.li 
Monika Gstöhl im Gespräch mit 
dem «Volksblatt» am Ellhorn in 
Balzers. Solche partiellen Rheinauf- 
weitungen stellen laut der Biologin 
einen unermesslichen Wert dar – 
sowohl für die Natur als auch für 
den Menschen.   
(Foto: Michael Zanghellini) 
Zur Person 
Monika Gstöhl leitete seit Mai 2014 zu- 
nächst interimistisch die Geschäftsstelle 
der Liechtensteinischen Gesellschaft für 
Umweltschutz (LGU), bis sie im August de- 
finitiv mit der Führung beauftragt wurde. 
Zuvor betreute die diplomierte Biologin in 
der Organisation die Fachbereiche Um- 
weltbildung und Naturschutz.
	        

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