DONNERSTAG
6. JUNI
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VON TERESA N. PINTO
Während
die Bilanz seiner
ersten Amtszeit alles
andere als gut ausfällt,
gelang es dem 76-jäh-
rigen Buhari in Bezug auf die beiden
wichtigsten Wahlversprechen von
2015, Korruptionsbekämpfung und
Sicherheit, zumindest überschau-
bare Ergebnisse zu liefern.
Im Hinblick auf die Korruption wur-
de eine nationale Strategie zur Kor-
ruptionsbekämpfung umgesetzt;
spezielle Anti-Korruptionsgerichte
wurden geschaffen; hochkarätige
Politiker wurden strafrechtlich ver-
folgt und gestohlenes Vermögen wie-
derbeschafft. Das Problem der gross-
angelegten und geringfügigen Be-
stechung bleibt jedoch weiterhin in
Nigeria bestehen, und während im
Sicherheitsbereich die operativen
Kapazitäten der berüchtigten dschi-
hadistischen Terrororganisation Bo-
ko Haram abgenommen haben, sind
neue Bedrohungen aufgetaucht.
Im «Middle Belt» sind
beim Konfl ikt zwischen
Bauern (christlich) und
Hirten (muslimisch) 2018
mehr als 2000 Menschen
getötet worden.
Im Norden des Landes hat eine Spal-
tung innerhalb von Boko Haram zur
Entstehung des «Islamischen Staates
Westafrika» (ISIS-WA) geführt, was
die Sicherheitsprobleme mittel- bis
langfristig verschärfen könnte. In
der Region «Middle Belt» hat sich die
Gewalt zwischen Berufs- und religiö-
sen Gruppen (vorwiegend christli-
chen Bauern und muslimischen Hir-
ten) zu einem Konflikt ausgeweitet,
bei dem 2018 mehr als 2000 Men-
schen ums Leben kamen.
Auch in wirtschaftlicher Hinsicht
fällt Buharis Bilanz gemischt aus. Im
Jahr 2016 schrumpfte die Wirtschaft
des Landes zum ersten Mal seit 25
Jahren um 1,5 Prozent – der kombi-
nierte Effekt eines starken Wäh-
rungsengpasses, des Einbruchs der
Ölpreise, der sinkenden Kapazitäts-
auslastung der nigerianischen Raffi-
nerien sowie der zunehmenden Unsi-
cherheit im ölproduzierenden Niger-
Delta. Präsident Buharis Ansatz in
dieser Situation war eine seltsame
Kombination aus Tatenlosigkeit und
staatlichen Massnahmen.
Die staatslastige Tendenz Buharis
zeigte sich in der Feindseligkeit ge-
genüber Investoren (laut UNCTAD
wurde Nigeria im Jahr 2018 von Gha-
na als grösster Empfänger ausländi-
scher Direktinvestitionen überholt)
sowie in protektionistischen Mass-
nahmen, in der Auferlegung von
Währungs- und Kapitalkontrollen
sowie der Weigerung, den Staats-
haushalt belastende Treibstoffsub-
ventionen zu streichen. Nach Anga-
ben des National Bureau of Statistics
in Nigeria stieg die Arbeitslosigkeit
von 10,4 Prozent im Jahr 2016 auf
23,8 Prozent im Jahr 2018. Laut dem
globalen Netzwerk Poverty Clock hat
Nigeria Indien als Weltranglisteners-
ter bezüglich der extremen Armut
abgelöst. Etwa die Hälfte der nigeri-
anischen Bevölkerung – also rund 87
Millionen Menschen – leben von we-
niger als 1,90 US-Dollar pro Tag.
Die Wirtschaft befindet sich derzeit
jedoch im Aufschwung und der In-
ternationale Währungsfonds (IWF)
hat kürzlich seine Wachstumsprog-
nose für das Land auf 2,1 Prozent
nach oben revidiert. In jedem Fall
bleibt jedoch der Kontext aus exzes-
siver Regulierung, hoher Arbeitslo-
sigkeit, weit verbreiteter Armut und
starken Gewerkschaften bestehen.
Die protektionistischen Reflexe der
herrschenden Klasse und der Druck
der gewerkschaftlich organisierten
Arbeiterklasse scheinen auch die
Hauptgründe für die Zurückhaltung
Nigerias zu sein, der «Afrikanischen
Kontinentalen Freihandelszone»
(ACFTA) beizutreten.
Im November 2018 gelang es dem
«Nigerian Labour Congress», eine Er-
höhung des nationalen Mindestlohns
um 67 Prozent (auf 83 US-Dollar pro
Monat) zu erreichen, die sowohl im
öffentlichen als auch im privaten
Sektor angewendet werden soll (aus-
genommen sind Unternehmen mit
weniger als 25 Beschäftigten). Ein
weiteres entscheidendes Thema, mit
dem sich Präsident Buhari in seiner
zweiten Amtszeit konfrontiert sieht,
sind die Treibstoffsubventionen, de-
ren Auslaufen der IWF fordert. Offi-
ziell ist davon die Rede, die Subventi-
onen schrittweise zu streichen, aber
es gibt bisher keinen unmittelbaren
Plan, dies zu tun. 2019 sollen sich die
Kosten für Treibstoffsubventionen
laut Staatshaushalt auf 305 Milliar-
den Nairas (etwa 1 Milliarde US-Dol-
lar) summieren.
Nach Afghanistan und
dem Irak ist Nigeria am
dritthäufi gsten von Terror-
anschlägen betroff en.
In Bezug auf die innere Sicherheit
steht Präsident Muhammadu Buhari
vor zwei grossen Herausforderun-
gen. Die erste ist eine Zunahme der
Gewalt zwischen Bauern und Hirten
in der Middle-Belt-Region. Während
die Spannungen zwischen diesen
Gruppen über den Zugang zu Land
und Wasser kein neues Phänomen
sind, hat die Gewalt in den vergange-
nen Jahren aus mehreren Gründen
zugenommen. Dazu zählen die Um-
weltzerstörung und die Unsicherheit
im Norden (die die nomadischen Hir-
ten weiter nach Süden trieb), das Ver-
sagen der Sicherheitskräfte sowie die
Auswirkungen neuer Gesetze, die in
einigen Bundesstaaten die freie Nut-
zung von Weideland verbieten. Ähn-
lich wie im Norden reagieren die lo-
kalen Bevölkerungsgruppen auf die
Untätigkeit der Regierung, indem sie
ihre eigenen Milizen bilden.
Die zweite Herausforderung für den
wiedergewählten Präsidenten ist das
Aufkommen neuer Sicherheitsbedro-
hungen in den nordöstlichen Bun-
desstaaten. Seit 2013 forderte der
Aufstand der Boko Haram Zehntau-
sende Opfer und löste eine gewaltige
humanitäre Krise aus, seit deren
Ausbruch 1,9 Millionen Menschen
vertrieben wurden und 4,5 Millionen
auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen
sind. Laut dem «Global Terrorism In-
dex» von 2018 bleibt Nigeria nach Af-
ghanistan und dem Irak das am
dritthäufigsten von Terroranschlä-
gen betroffene Land der Welt.
Im Jahr 2016 spaltete sich Boko Ha-
ram dann in zwei verschiedene
Fraktionen auf: in «Jama’atu Ahlis
Sunna Lidda’awati Wal-Dschihad»,
angeführt von Abubakar Shekau (ge-
meinhin wird diese Gruppe weiter-
hin als Boko Haram bezeichnet),
und in den «Islamischen Staat West-
afrika» (ISIS-WA) unter dem Kom-
mando von Abu Musab al-Barnawi,
der vom IS unterstützt wird.
Nigeria ist ein Riese auf tönernen
Füssen. Im höchstwahrscheinlichen
Szenario wird Präsident Buhari eini-
ge seiner politischen Massnahmen
anpassen, sich jedoch bedeutender
Reformen enthalten, was bedeutet,
dass das Land seinen Weg der wirt-
schaftlichen Rückständigkeit fortset-
zen wird. Zwei Indikatoren für die-
ses Szenario sind die Beibehaltung
der Treibstoffsubventionen und die
unbefristete Verzögerung des ACF-
TA-Abkommens (nach der Ratifizie-
rung Gambias hat der Pakt seine
Schwelle von 22 Mitgliedern erreicht
– und die Freihandelszone beginnt,
zu funktionieren). Während Ent-
scheidungen wie die kürzliche Anhe-
bung des Mindestlohns und die Sub-
ventionen für Brennstoffe (Benzin
kostet die Nigerianer weniger als
0,48 US-Dollar pro Liter) der Regie-
rung eine gewisse Zeit der sozialen
Stabilität verschaffen können, dürfte
sich dieses Szenario langfristig nega-
tiv auf die Stabilität und Sicherheit
des Landes auswirken.
Doch selbst unter einem günstigen
Szenario mit Wirtschaftsreformen
und Liberalisierungen verspräche
der Beginn einer wirtschaftlichen
Renaissance in Nigeria nur langsam
und ungleichmässig zu verlaufen.
Nigeria – Ein Riese auf tönernen Füssen
Im Februar 2019 wurde Muhammadu Buhari erneut zum Präsidenten von Nigeria gewählt, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, das zwar reich
an natürlichen Ressourcen ist, das in sozialer Hinsicht jedoch vor Herausforderungen steht und wirtschaftlich unterdurchschnittlich abschneidet.
Über die GIS-Expertin
Expertin für
afri ka ni sche
Angelegenheiten
Teresa Nogueira Pinto ist Expertin für
afrikanische Angelegenheiten. Sie ist Be-
raterin für internationale Beziehungen
bei Gaporsul Ltd. – einem Unternehmen
im Bereich Business Intelligence und Un-
ternehmensberatung, das einige der
grössten Banken und Firmen Portugals
zu seinem Kundenkreis zählt.
Das «Volksblatt» gibt Gastautoren Raum,
ihre Meinung zu äussern. Diese muss nicht
mit jener der Redaktion übereinstimmen.
Copyright: Geopolitical Intelligence
Services AG, GIS, Vaduz. 2019.
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Nigerias Präsident, Muhammadu Buhari, gilt grundsätzlich als
zögerlich. Am Wahlabend Ende Februar zeigte er sich jedoch
von seiner leichtfüssigen Seite. (Foto: Keystone/AP/Jerome Delay)