Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2019)

DONNERSTAG 
6. JUNI 
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VON TERESA N. PINTO 
Während 
die Bilanz seiner 
ersten Amtszeit alles 
andere als gut ausfällt, 
gelang es dem 76-jäh- 
rigen Buhari in Bezug auf die beiden 
wichtigsten Wahlversprechen von 
2015, Korruptionsbekämpfung und 
Sicherheit, zumindest überschau- 
bare Ergebnisse zu liefern. 
Im Hinblick auf die Korruption wur- 
de eine nationale Strategie zur Kor- 
ruptionsbekämpfung umgesetzt; 
spezielle Anti-Korruptionsgerichte 
wurden geschaffen; hochkarätige 
Politiker wurden strafrechtlich ver- 
folgt und gestohlenes Vermögen wie- 
derbeschafft. Das Problem der gross- 
angelegten und   geringfügigen Be- 
stechung bleibt jedoch weiterhin in 
Nigeria bestehen, und während im 
Sicherheitsbereich die operativen 
Kapazitäten der berüchtigten dschi- 
hadistischen Terrororganisation Bo- 
ko Haram abgenommen haben, sind 
neue Bedrohungen aufgetaucht. 
Im «Middle Belt» sind 
beim Konfl ikt zwischen 
Bauern  (christlich) und 
Hirten (muslimisch) 2018 
mehr als 2000 Menschen 
getötet worden. 
Im Norden des Landes hat eine Spal- 
tung innerhalb von Boko Haram zur 
Entstehung des «Islamischen Staates 
Westafrika» (ISIS-WA) geführt, was 
die Sicherheitsprobleme mittel- bis 
langfristig verschärfen könnte. In 
der Region «Middle Belt» hat sich die 
Gewalt zwischen Berufs- und religiö- 
sen Gruppen (vorwiegend christli- 
chen Bauern und muslimischen Hir- 
ten) zu einem Konflikt ausgeweitet, 
bei dem 2018 mehr als 2000 Men- 
schen ums Leben kamen. 
Auch in wirtschaftlicher Hinsicht 
fällt Buharis Bilanz gemischt aus. Im 
Jahr 2016 schrumpfte die Wirtschaft 
des Landes zum ersten Mal seit 25 
Jahren um 1,5 Prozent – der kombi- 
nierte Effekt eines starken Wäh- 
rungsengpasses, des Einbruchs der 
Ölpreise, der sinkenden Kapazitäts- 
auslastung der nigerianischen Raffi- 
nerien sowie der zunehmenden Unsi- 
cherheit im ölproduzierenden Niger- 
Delta. Präsident Buharis Ansatz in 
dieser Situation war eine seltsame 
Kombination aus Tatenlosigkeit und 
staatlichen Massnahmen. 
Die staatslastige Tendenz Buharis 
zeigte sich in der Feindseligkeit ge- 
genüber Investoren (laut UNCTAD 
wurde Nigeria im Jahr 2018 von Gha- 
na als grösster Empfänger ausländi- 
scher Direktinvestitionen überholt) 
sowie in protektionistischen Mass- 
nahmen, in der Auferlegung von 
Währungs- und Kapitalkontrollen 
sowie der Weigerung, den Staats- 
haushalt belastende Treibstoffsub- 
ventionen zu streichen. Nach Anga- 
ben des National Bureau of Statistics 
in Nigeria stieg die Arbeitslosigkeit 
von 10,4 Prozent im Jahr 2016 auf 
23,8 Prozent im Jahr 2018. Laut dem 
globalen Netzwerk Poverty Clock hat 
Nigeria Indien als Weltranglisteners- 
ter bezüglich der extremen Armut 
abgelöst. Etwa die Hälfte der nigeri- 
anischen Bevölkerung – also rund 87 
Millionen Menschen – leben von we- 
niger als 1,90 US-Dollar pro Tag. 
Die Wirtschaft befindet sich derzeit 
jedoch im Aufschwung und der In- 
ternationale Währungsfonds (IWF) 
hat kürzlich seine Wachstumsprog- 
nose für das Land auf 2,1 Prozent 
nach oben revidiert. In jedem Fall 
bleibt jedoch der Kontext aus exzes- 
siver Regulierung, hoher Arbeitslo- 
sigkeit, weit verbreiteter Armut und 
starken Gewerkschaften bestehen. 
Die protektionistischen Reflexe der 
herrschenden Klasse und der Druck 
der gewerkschaftlich organisierten 
Arbeiterklasse scheinen auch die 
Hauptgründe für die Zurückhaltung 
Nigerias zu sein, der «Afrikanischen 
Kontinentalen Freihandelszone» 
(ACFTA) beizutreten. 
Im November 2018 gelang es dem 
«Nigerian Labour Congress», eine Er- 
höhung des nationalen Mindestlohns 
um 67 Prozent (auf 83 US-Dollar pro 
Monat) zu erreichen, die sowohl im 
öffentlichen als auch im privaten 
Sektor angewendet werden soll (aus- 
genommen sind Unternehmen mit 
weniger als 25 Beschäftigten). Ein 
weiteres entscheidendes Thema, mit 
dem sich Präsident Buhari in seiner 
zweiten Amtszeit konfrontiert sieht, 
sind die Treibstoffsubventionen, de- 
ren Auslaufen der IWF fordert. Offi- 
ziell ist davon die Rede, die Subventi- 
onen schrittweise zu streichen, aber 
es gibt bisher keinen unmittelbaren 
Plan, dies zu tun. 2019 sollen sich die 
Kosten für Treibstoffsubventionen 
laut Staatshaushalt auf 305 Milliar- 
den Nairas (etwa 1 Milliarde US-Dol- 
lar) summieren. 
Nach Afghanistan und 
dem Irak ist Nigeria am 
dritthäufi gsten von Terror- 
anschlägen betroff en. 
In Bezug auf die innere Sicherheit 
steht Präsident Muhammadu Buhari 
vor zwei grossen Herausforderun- 
gen. Die erste ist eine Zunahme der 
Gewalt zwischen Bauern und Hirten 
in der Middle-Belt-Region. Während 
die Spannungen zwischen diesen 
Gruppen über den Zugang zu Land 
und Wasser kein neues Phänomen 
sind, hat die Gewalt in den vergange- 
nen Jahren aus mehreren Gründen 
zugenommen. Dazu zählen die Um- 
weltzerstörung und die Unsicherheit 
im Norden (die die nomadischen Hir- 
ten weiter nach Süden trieb), das Ver- 
sagen der Sicherheitskräfte sowie die 
Auswirkungen neuer Gesetze, die in 
einigen Bundesstaaten die freie Nut- 
zung von Weideland verbieten. Ähn- 
lich wie im Norden reagieren die lo- 
kalen Bevölkerungsgruppen auf die 
Untätigkeit der Regierung, indem sie 
ihre eigenen Milizen bilden. 
Die zweite Herausforderung für den 
wiedergewählten Präsidenten ist das 
Aufkommen neuer Sicherheitsbedro- 
hungen in den nordöstlichen Bun- 
desstaaten. Seit 2013 forderte der 
Aufstand der Boko Haram Zehntau- 
sende Opfer und löste eine gewaltige 
humanitäre Krise aus, seit deren 
Ausbruch 1,9 Millionen Menschen 
vertrieben wurden und 4,5 Millionen 
auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen 
sind. Laut dem «Global Terrorism In- 
dex» von 2018 bleibt Nigeria nach Af- 
ghanistan und dem Irak das am 
dritthäufigsten von Terroranschlä- 
gen betroffene Land der Welt. 
Im Jahr 2016 spaltete sich Boko Ha- 
ram dann in zwei verschiedene 
Fraktionen auf: in «Jama’atu Ahlis 
Sunna Lidda’awati Wal-Dschihad», 
angeführt von Abubakar Shekau (ge- 
meinhin wird diese Gruppe weiter- 
hin als Boko Haram bezeichnet), 
und in den «Islamischen Staat West- 
afrika» (ISIS-WA) unter dem Kom- 
mando von Abu Musab al-Barnawi, 
der vom IS unterstützt wird. 
Nigeria ist ein Riese auf tönernen 
Füssen. Im höchstwahrscheinlichen 
Szenario wird Präsident Buhari eini- 
ge seiner politischen Massnahmen 
anpassen, sich jedoch bedeutender 
Reformen enthalten, was bedeutet, 
dass das Land seinen Weg der wirt- 
schaftlichen Rückständigkeit fortset- 
zen wird. Zwei Indikatoren für die- 
ses Szenario sind die Beibehaltung 
der Treibstoffsubventionen und die 
unbefristete Verzögerung des ACF- 
TA-Abkommens (nach der Ratifizie- 
rung Gambias hat der Pakt seine 
Schwelle von 22 Mitgliedern erreicht 
– und die Freihandelszone beginnt, 
zu funktionieren). Während Ent- 
scheidungen wie die kürzliche Anhe- 
bung des Mindestlohns und die Sub- 
ventionen für Brennstoffe (Benzin 
kostet die Nigerianer weniger als 
0,48 US-Dollar pro Liter) der Regie- 
rung eine gewisse Zeit der sozialen 
Stabilität verschaffen können, dürfte 
sich dieses Szenario langfristig nega- 
tiv auf die Stabilität und Sicherheit 
des Landes auswirken. 
Doch selbst unter einem günstigen 
Szenario mit Wirtschaftsreformen 
und Liberalisierungen verspräche 
der Beginn einer wirtschaftlichen 
Renaissance in Nigeria nur langsam 
und ungleichmässig zu verlaufen. 
Nigeria – Ein Riese auf tönernen Füssen 
 Im Februar 2019 wurde Muhammadu Buhari erneut zum Präsidenten von Nigeria gewählt, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, das zwar reich 
an natürlichen Ressourcen ist, das in sozialer Hinsicht jedoch vor Herausforderungen steht und wirtschaftlich unterdurchschnittlich abschneidet. 
Über die GIS-Expertin 
Expertin für 
afri ka ni sche 
Angelegenheiten 
Teresa Nogueira Pinto ist Expertin für 
afrikanische Angelegenheiten. Sie ist Be- 
raterin für internationale Beziehungen 
bei Gaporsul Ltd. – einem Unternehmen 
im Bereich Business Intelligence und Un- 
ternehmensberatung, das einige der 
grössten Banken und Firmen Portugals 
zu seinem Kundenkreis zählt. 
Das «Volksblatt» gibt Gastautoren Raum, 
ihre Meinung zu äussern. Diese muss nicht 
mit jener der Redaktion übereinstimmen. 
Copyright: Geopolitical Intelligence 
Services AG, GIS, Vaduz. 2019. 
Mehr auf www.gisreportsonline.com. 
Nigerias Präsident, Muhammadu Buhari, gilt grundsätzlich als 
zögerlich. Am Wahlabend Ende Februar zeigte er sich jedoch 
von seiner leichtfüssigen Seite. (Foto: Keystone/AP/Jerome Delay)
	        

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