Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2019)

FREITAG 
31. MAI 
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VON ZVI MAZEL 
Viele 
Jahre lang blieb die 
Grenze zwischen dem Li- 
banon und Israel friedlich. 
Es gab keine gegenseitigen 
territorialen Ansprüche und viele 
prognostizierten, dass der Libanon 
das erste arabische Land sein wer- 
de, das Frieden mit dem jüdischen 
Staat schliesst. Nach der Gründung 
der Hisbollah durch den Iran im Jahr 
1982 ist diese Grenze jedoch zu einer 
der instabilsten Israels geworden. 
Dies dürfte sich auf absehbare Zeit 
nicht ändern. 
Die von Teheran finanzierte und be- 
waffnete schiitische Hisbollah-Be- 
wegung wird von grossen westli- 
chen Ländern wie den Vereinigten 
Staaten, Kanada, den Niederlanden 
und dem Vereinigten Königreich so- 
wie Japan, der Arabischen Liga und 
dem Golf-Kooperationsrat als Ter- 
rororganisation gebrandmarkt. 
Die Hisbollah plant wohl 
weiterhin den Durchbruch 
der Grenze zu Israel, ein 
Eindringen in die Region 
Galiläa. Israel warnt nun, 
dass es dem Libanon dann 
einen tödlichen Schlag 
versetzen werde. 
In jüngster Zeit haben sich die Span- 
nungen noch weiter verschärft, was 
den neuen Chef der «Israelischen 
Verteidigungsstreitkräfte», General- 
major Yoel Strick, dazu veranlasste, 
am 18. April eine Warnung herauszu- 
geben. Ihm zufolge plant die Hisbol- 
lah weiterhin den Durchbruch der 
Grenze und ein Eindringen in die 
Region Galiläa – doch sollte sie das 
versuchen, würde man dem Libanon 
einen tödlichen Schlag versetzen. 
«Im nächsten Krieg», fügte General 
Strick hinzu, «wäre es für uns ein 
Fehler, eine Unterscheidung zwi- 
schen dem libanesischen Staat und 
der Hisbollah vorzunehmen, da die 
Hisbollah ein politischer Akteur und 
Teil der Regierung ist.» 
Die Warnung erfolgte im Zuge der 
Entdeckung von nicht weniger als 
sechs unterirdischen Tunneln im 
Rahmen der von der israelischen Ar- 
mee durchgeführten «Operation 
North Shield». Die Tunnel, behaup- 
teten israelische Beamte, wurden 
von libanesischem Territorium aus 
unter der Grenze errichtet, um Hun- 
derte von Hisbollah-Kämpfern nach 
Israel zu schleusen, die dann den 
Überraschungsmoment ausnutzen 
und die nördliche Stadt Metula so- 
wie die umliegenden Dörfer einneh- 
men könnten. 
Das sollte nur die Speerspitze einer 
Invasion Galiläas sein – dem erklär- 
ten Ziel der Hisbollah seit vielen Jah- 
ren –, begleitet von gleichzeitigen 
Raketenstarts aus dem Libanon und 
aus Syrien, anderen Bodenangriffen 
sowie Überfällen auf israelische Off- 
shore-Gas-Plattformen. Diese Bedro- 
hung durch die Hisbollah hat den Li- 
banon gegen dessen eigene Interes- 
sen zu einem Hauptziel der israeli- 
schen Armee werden lassen. 
Die israelisch-libanesischen Bezie- 
hungen begannen sich zu verschlech- 
terten, nachdem König Hussein von 
Jordanien Yasser Arafat und dessen 
«Palästinensische Befreiungsorgani- 
sation» (PLO) nach dem Aufstand der 
Terrorgruppe «Schwarzer Septem- 
ber» 1970 aus dem Land geworfen 
hatte. Arafat und seine «Fedayeen»- 
Kämpfer zogen in den Libanon weiter 
und bald darauf kam es zum libanesi- 
schen Bürgerkrieg, der 1976 zu einer 
syrischen Intervention führte. 
Diese unruhigen Zeiten erleichter- 
ten die Absicht des Irans, die Hisbol- 
lah als Stellvertreter-Organisation zu 
etablieren, und sie trieben sein Ziel, 
den jüdischen Staat zu beseitigen, 
voran. Die einst friedliche Grenze 
wurde zur Konfliktzone. Eine endlo- 
se Reihe von Terroranschlägen führ- 
te zu Vergeltungsmassnahmen Isra- 
els, die zu ausgewachsenen Kriegen 
eskalierten: Der erste vertrieb die 
PLO 1982 aus dem Libanon. 1993, 
1996 und 2006 kam es dann zu Kon- 
frontationen mit der Hisbollah. 
Unterdessen verfolgte die Terroror- 
ganisation ein weiteres Ziel: ein 
wichtiger Akteur in der libanesi- 
schen Politik zu werden. Bereits 
1992 wurden mehrere Abgeordnete 
ins Parlament gewählt. Von da an er- 
zielte die Hisbollah immer grössere 
Erfolge – zusammen mit ihren bei- 
den Verbündeten, der schiitischen 
«Amal-Partei» und der «Freien Patri- 
otischen Bewegung» von Michel 
Aoun, einem maronitischen Chris- 
ten, der Präsident des Landes ist. Im 
Mai 2018 gewannen die Hisbollah 
und ihre beiden Verbündeten bei 
den Parlamentswahlen 72 von insge- 
samt 128 Sitzen. 
Die Hisbollah ist der 
libanesische Königsmacher. 
Sie ist immer in der Lage, 
der Regierung ihren Willen 
aufzuzwingen. Und sie 
verfügt über eine mächtige 
und bedrohliche Armee. 
Von den 30 Ministern der neuen Re- 
gierung kommen 18 aus dem Hisbol- 
lah-Lager und 12 aus der sunniti- 
schen Fraktion von Premierminister 
Saad al-Hariri. Kurz gesagt, die His- 
bollah ist der libanesische Königs- 
macher – sie ist in der Lage, der Re- 
gierung bei jeder Angelegenheit ih- 
ren Willen aufzuzwingen, und sie 
verfügt über eine mächtige und be- 
drohliche Armee. 
Innerhalb des Libanons half der Iran 
seiner Stellvertreter-Organisation, 
die Anzahl ihrer Raketen und die Fä- 
higkeit, sie vor Ort zu produzieren, 
zu erhöhen. Die Hisbollah besitzt 
jetzt schätzungsweise 150 000 Rake- 
ten, die meisten ohne Leitsystem, 
obwohl derzeit Anstrengungen un- 
ternommen werden, um sie präziser 
fliegen zu lassen. Der Iran versucht 
unablässig, Leitsysteme und die Ma- 
terialien zu ihrer Herstellung durch 
Syrien zu schleusen. Zu diesem 
Zweck scheint er eine Fabrik in der 
Nähe des russischen Hmeimim-Luft- 
waffenstützpunktes in Latakia (Sy- 
rien) errichtet zu haben – und ver- 
liess sich dabei wohl auf die Zurück- 
haltung Israels, einen derartig sen- 
siblen Ort anzugreifen. 
In seinen Ausführungen auf der UN- 
Generalversammlung im vergange- 
nen September hat der israelische 
Ministerpräsident Benjamin Netan- 
jahu die Existenz von drei verborge- 
nen Fabriken im Libanon und deren 
genaue Lage im Herzen von Beirut 
aufgedeckt. US-Aussenminister Mike 
Pompeo hatte vor seinem Besuch im 
Libanon Mitte März Einzelheiten 
über einen vierten Standort erfah- 
ren und das Problem bei den libane- 
sischen Machthabern angesprochen. 
Pompeo: «Der Libanon und das liba- 
nesische Volk stehen vor einer Wahl: 
mutig als unabhängige und stolze 
Nation nach vorne zu blicken, oder 
sich die eigene Zukunft von den fins- 
teren Ambitionen des Irans und der 
Hisbollah diktieren zu lassen.» 
Mit der Verschärfung der Wirt- 
schaftssanktionen gegen den Iran hat 
sich die Unterstützung Teherans für 
die Hisbollah, die jedes Jahr 700 Mil- 
lionen US-Dollar umfasste, erheblich 
verringert. Die finanziell angeschla- 
gene Organisation bittet um öffentli- 
che Spenden, stellt Sammelboxen in 
ganz Beirut auf und fordert die Bür- 
ger in sozialen Medien auf, «der Or- 
ganisation, die den Libanon schützt», 
so viel wie möglich zu geben. Die 
Aufdeckung ihres wichtigsten strate- 
gischen Vorteils, nämlich der Tun- 
nel, die am Beginn einer lang ge- 
planten Invasion Israels Panik auslö- 
sen sollten, war ein schwerer Schlag 
für die Hisbollah. Hassan Nasrallah, 
ihr Anführer, der normalerweise 
schnell auf Entwicklungen reagiert, 
schwieg monatelang. 
Der Erfolg der Hisbollah bei den 
Wahlen 2018 war ebenfalls ein zwei- 
schneidiges Schwert. Die Terrororga- 
nisation ist jetzt an der Führung des 
Landes beteiligt und wird für dessen 
wirtschaftliche und soziale Entwick- 
lung zur Rechenschaft gezogen. Eine 
bewaffnete Konfrontation mit Israel 
würde massive Zerstörungen nach 
sich ziehen und den Libanon um vie- 
le Jahre zurückwerfen. In der Tat be- 
eilte sich Nasrallah, Vorwürfe, wo- 
nach er im Sommer einen Krieg be- 
ginnen würde, zu widerlegen. 
Israel, Iran, der Libanon: 
Ein Funke aus einem kleinen 
Zwischenfall könnte einen 
Krieg entzünden, den keine 
Seite möchte. 
Obwohl die US-Sanktionen das Land 
und seine Bevölkerung in Mitleiden- 
schaft ziehen, bleibt der Iran eine 
klare Bedrohung für Israel, solange 
die Ayatollahs an der Macht sind. 
Ein Funke aus einem kleinen Zwi- 
schenfall könnte einen Krieg ent- 
zünden, den keine Seite möchte. 
Aus israelischer Sicht gefährdet 
die Hisbollah den Libanon 
 Bei den Wahlen im Vorjahr wurde die bewaffnete schiitische Hisbollah-Bewegung in die libanesische Regierung geschickt. In den USA, Kanada, Gross- 
britannien, im Vereinigten Königreich, in Japan und bei der Arabischen Liga und dem Golf-Kooperationsrat gilt sie weiterhin als Terrororganisation. 
Über den GIS-Experten 
Ehemaliger 
Botschafter 
Zvi Mazel (1939 geboren, verheiratet, 
Vater zweier Kinder) ist ein ehemaliger 
israelischer Diplomat. Er war von 1993 
bis 1996 stellvertretender Generaldirek- 
tor im israelischen Aussenministerium 
und als solcher mit afrikanischen Ange- 
legenheiten betraut. Er war Botschafter 
in Rumänien (1989 bis 1992), in Ägypten 
(1996 bis 2001) und in Schweden (2002 
bis 2004). Im Ministerium hatte er neben 
anderen Positionen auch die des Direk- 
tors der ägyptischen und nordafrikani- 
schen Abteilung (1983–1984) sowie der 
Osteuropa-Abteilung (1992–1993) inne. 
Er ist ein führender Experte in Angele- 
genheiten des Nahen Ostens und ein 
Mitglied des Jerusalem Center for Public 
Affairs (JCPA), einem Thinktank, der sich 
auf israelische Sicherheit, Diplomatie 
und Völkerrecht spezialisiert. Er war Re- 
dakteur der arabischen Webseite des 
JCPA und hat zahlreiche Publikationen 
zu Fragen des Nahen Ostens verfasst. 
Etwa in Hebräisch, Englisch, Französisch 
und Arabisch auf verschiedenen 
Medienkanälen. 
Das «Volksblatt» gibt Gastautoren Raum, 
ihre Meinung zu äussern. Diese muss nicht 
mit jener der Redaktion übereinstimmen. 
Copyright: Geopolitical Intelligence 
Services AG, GIS, Vaduz. 2019. 
Mehr auf www.gisreportsonline.com. 
Ist er der Kopf einer Terroror- 
ganisation? Hisbollah-Chef Say- 
yed Hassan Nasrallah, gefi lmt 
bei einer am 22. April vor Pfad- 
fi ndern in Beirut gehaltenen Rede. 
(Foto: Keystone/EPA/AL-Manar-TV)
	        

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