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10. MAI 2019
Trumps Iran-Strategie
auf dem Prüfstand
Test Die Iran-Strategie von US-Präsident Donald Trump hat
Anhänger und Gegner, nun steht sie auf dem Prüfstand. Die
Spannungen zwischen Washington und Teheran eskalieren.
Dennoch scheinen beide zu Verhandlungen bereit zu sein.
VON NATALIE SCHUPP, AP
Der Iran drohte am Mittwoch damit,
seine Uranvorräte nach 60 Tagen so
anzureichern, dass sie sich Werten
annähern, die für die Herstellung
von Atomwaffen benötigt werden.
Um das zu verhindern, müssten
Deutschland, Grossbritannien,
Frankreich, Russland und China
neue Bedingungen für das Atomab-
kommen von 2015 aushandeln. Zu-
vor hatte die Trump-Regierung eine
Kampagne des «maximalen Drucks»
aus diplomatischen und wirtschaft-
lichen Massnahmen verfolgt, die
dem Iran schweren Schaden zuge-
fügt haben. «Wegen unserer Mass-
nahmen müht sich das iranische Re-
gime ab, seine Kampagne des ge-
walttätigen Terrors zu finanzieren,
während seine Wirtschaft in eine
beispiellose Depression steuert, die
Regierungseinnahmen austrocknen
und die Inflation ausser Kontrolle
gerät», sagte Trump am Mittwoch.
Da gab er zudem eine neue Sankti-
onsrunde bekannt, die sich diesmal
gegen die iranische Metallindustrie
richtet.
Eskalierende Aussenpolitik
Es ist abzuwarten, ob der Iran an
den Verhandlungstisch zurückkehrt
und neuen Bedingungen zustimmt,
die von der Trump-Regierung be-
stimmt werden. Dass viel auf dem
Spiel steht, wird von der Entschei-
dung der USA am Wochenende ver-
anschaulicht, eine Flugzeugträger-
gruppe und andere militärische Aus-
rüstung in den Nahen Osten zu ent-
senden, um mit einer nicht näher
beschriebenen iranischen Bedro-
hung fertig zu werden.
Die Demokraten haben die Ankündi-
gung des Irans vom Mittwoch als Ge-
legenheit genommen, Trump für sei-
nen Rückzug aus dem Atomabkom-
men zu kritisieren. Es sei ein Zei-
chen einer «blinden, schlängelnden,
eskalierenden» Aussenpolitik, sagte
der demokratische Senator Chris
Murphy. «Die Schritte Irans, sein
Atomprogramm wieder zu starten,
sind eine direkte Konsequenz da-
von, dass die Trump-Regierung sich
aus dem Iran-Abkommen zurückge-
zogen hat», sagte Murphy.
Der iranische Aussenminister Mo-
hammed Dschawad Sarif hatte bei
einem Besuch in New York im April
gesagt, dass er glaube, dass Trump
verhandeln wolle, aber auf Anwei-
sung ranghoher Berater und Verbün-
deter im Nahen Osten eine antago-
nistische Herangehensweise probie-
re. «Versuchen Sie die Sprache des
Respekts», forderte Sarif Trump auf.
«Es wird Sie nicht umbringen, glau-
ben Sie mir.»
Trump selbst sagte, er sei gewillt zu
verhandeln. Man fordere den Iran
auf, «mit guter Absicht an den Ver-
handlungstisch zurückzukehren»,
sagte Trump am Mittwoch.
Der US-Gesandte für den Iran, Brian
Hook, sagte im US-Aussenministeri-
um, die USA hätten im vergangenen
Jahr zwölf Forderungen für ein neu-
es Iranabkommen vorgegeben. Dazu
gehöre ein Ende sämtlicher Uranan-
reicherung, die vollständige Aufga-
be der Unterstützung von militanten
Gruppen im Nahen Osten und die
Freilassung aller US-Bürger, die im
Iran nach Ansicht der US-Regierung
aus unzulässigen Gründen festge-
nommen worden seien.
«Schlimmstes Abkommen»
Das Atomabkommen von 2015 war
von den USA, Deutschland, Gross-
britannien, Frankreich, Russland,
China und der EU unterzeichnet
worden. Internationale Sanktionen
wurden dadurch aufgehoben, damit
der Iran sein Atomprogramm be-
schränkt. Dazu gehört eine Begren-
zung der Urananreicherung für
zehn Jahre. Trump zog sich am 8.
Mai 2018 aus dem Abkommen zu-
rück. Er bezeichnete es als
«schlimmstes Abkommen der Ge-
schichte». Er äusserte die Ansicht,
dass der Beschluss auch das ballisti-
sche Raketenprogramm des Irans,
bösartige Aktivitäten des Irans in
der Region und Unterstützung für
Terrornetzwerke hätte beschränken
sollen. Die Trump-Regierung führte
Sanktionen gegen den Iran wieder
ein, die durch das Inkrafttreten des
Abkommens aufgehoben worden
waren. Die Regierung hält das für ei-
nen Erfolg. Der Iran habe hinsicht-
lich des Ausbleibens eines Grossteils
seiner Öleinnahmen seine Gesamt-
militärausgaben um 28 Prozent ge-
kürzt, sagte Hook. «Wir haben unse-
ren Fokus um diplomatische Isolie-
rung und wirtschaftlichen Druck ge-
legt», sagte Hook. «Diese Politik
funktioniert.»
Trump lässt sich nicht aussitzen
Die anderen Länder hinter dem Ab-
kommen haben versucht, dem Iran
genug wirtschaftliche Anreize zu ge-
ben, damit es bestehen bleibt. Der
Iran beschwerte sich am Mittwoch,
dass das Abkommen ihm nicht die
wirtschaftlichen Vorteile einge-
bracht habe, die er sich von der Un-
terzeichnung erhofft habe. Wenn es
nach zwei Monaten kein neues Ab-
kommen gebe, werde man Uran hö-
her als 3,67 Prozent anreichern. Die-
ser Wert ist noch unter dem Abkom-
men erlaubt. «Sarif macht heute,
was Sarif sehr gut macht, nämlich
den Tisch für Verhandlungen zu de-
cken», sagte der Geschäftsführer
der Foundation for Defense of De-
mocracies, Mark Dubowitz, der das
Atomabkommen ablehnt. «Ich glau-
be, dass die Iraner jetzt bemerken,
dass sie möglicherweise nicht in der
Lage sind, Trump auszusitzen. Die
Wirtschaft ist in so schlechter Form
und wird schlechter, dass sie vor Ja-
nuar 2021 eine massive wirtschaftli-
che Krise erleben könnten», sagte
Dubowitz. Im Januar 2021 wird vor-
aussichtlich entweder Trump eine
zweite Amtszeit antreten oder ein
neuer Präsident oder eine neue Prä-
sidentin wird ins Amt eingeführt.
«Ich glaube, Sarif kann es nicht er-
warten, an den Tisch zurückzukeh-
ren», sagte Dubowitz.
Der Flugzeugträger USS Abraham Lincoln auf dem Weg in den Golf. (Foto: Keystone/AP/Suez Canal Authority)
Keine Aufbruchstimmung in EU:
«Erklärung von Sibiu» bleibt vage
Warteschleife Die EU-
Staats- und Regierungschefs
haben am Donnerstag an
einem informellen Gipfel im
rumänischen Sibiu über die
künftige strategische Ausrich-
tung der EU diskutiert. Doch
die «Erklärung von Sibiu» fiel
sehr vage aus. Dabei war das
Treffen als grosser Aufbruch
geplant.
Nach
dem für Ende März
geplanten EU-Austritt
Grossbritanniens und vor
der Europawahl in zwei
Wochen wollten die verbleibenden
27 Staaten an diesem 9. Mai – dem
Europatag – ihre Einheit demons-
trieren. Und sie wollten umreissen,
wie die Union ohne Grossbritannien
weitermachen soll. «Der Sibiu-Gipfel
ist der Moment, in dem wir allen
Europäerinnen und Europäern eine
klare Perspektive für die Zukunft
bieten müssen», hatte EU-Kommis-
sionspräsident Jean-Claude Juncker
im vergangenen Jahr als Ziel für das
Treffen ausgegeben. Es kam aber
anders als erwartet. Die Briten sind
noch immer in der EU. Unklar ist
zudem, wann und ob sie überhaupt
aus der Union austreten werden.
Das Gezerre um den Brexit hat die
EU ein Stück weit gelähmt und den
Blick in die Zukunft zunächst einmal
verstellt.
EU bekräftigt Grundwerte
Entsprechend allgemein gehalten
fiel dann auch die «Erklärung von Si-
biu» aus. Darin bekräftigen die 27
EU-Chefs die EU-Grundwerte wie
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
Gerechtigkeit. Der bereits nach ei-
ner guten Stunde verabschiedete
Text betont darüber hinaus die enge
und faire Zusammenarbeit sowie ei-
ne stärkere Rolle für Europa auf der
Weltbühne. Die deutsche Kanzlerin
Angela Merkel betonte vor Beginn
des Treffens die symbolische Bedeu-
tung des Gipfels dreissig Jahre nach
der Wende in Osteuropa. Unbescha-
det aller politischen Unterschiede
seien alle in der EU überzeugt, dass
gemeinsames Handeln besser sei.
Die EU müsse sich im internationa-
len Wettbewerb behaupten. «Wir
müssen innovativ sein, wir müssen
stark sein, wir müssen geeint sein.
Und dafür werden wir heute wer-
ben», sagte die deutsche Kanzlerin.
Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron forderte seinerseits, Europa
müsse vor allem in Wachstumstrei-
ber wie künstliche Intelligenz inves-
tieren. Er pochte abermals auf einen
besseren Grenzschutz und einen ge-
meinsamen Kampf gegen den Klima-
wandel.
Macron hatte schon vorab mit Belgi-
en, Luxemburg, den Niederlanden,
Dänemark, Schweden, Portugal und
Spanien in einem gemeinsamen Pa-
pier neue ehrgeizige Ziele gefordert:
Die EU solle spätestens bis 2050 un-
ter dem Strich keine Klimagase
mehr in die Atmosphäre blasen.
Sondergipfel nach Europawahl
Trotz aller Appelle der Einigkeit
wurden auch in Sibiu Streitpunkte
offenbar. Österreichs Kanzler Sebas-
tian Kurz bekräftigte seine eigene
Forderung nach einer Überarbei-
tung der EU-Verträge. Uneins sind
sich die Staats- und Regierungschefs
auch über die Besetzung der EU-
Spitzenposten nach der Wahl. Sie
streiten unter anderem darüber, ob
der Spitzenkandidat der stärksten
Fraktion im EU-Parlament auch Chef
der EU-Kommission werden soll.
Um dies zu klären, verkündete EU-
Ratspräsident Donald Tusk in Sibiu,
am 28. Mai – unmittelbar nach der
Europawahl – einen Sondergipfel
durchzuführen. Bei dem Treffen in
knapp drei Wochen dürfte es erste
Hinweise geben, ob der konservati-
ve Politiker Manfred Weber aus
Deutschland eine Chance hat, Chef
der mächtigen EU-Behörde zu wer-
den.
Die Europawahl läuft vom 23. bis 26.
Mai. Weber macht sich Hoffnungen,
dass seine Europäische Volkspartei
stärkste Fraktion im neuen EU-Par-
lament wird.
Tusk will Gesamtpaket
In dem Fall will er Anspruch auf den
Posten des Kommissionspräsidenten
erheben und Nachfolger des Luxem-
burgers Jean-Claude Juncker wer-
den. Weber wäre der erste Deutsche
an der Spitze der Kommission seit
Walter Hallstein in den 1960er-Jah-
ren. Es wird mit einem wochenlan-
gen Streit gerechnet. Denn gesucht
werden neben dem EU-Kommissi-
onspräsidenten auch ein neuer Rats-
präsident und Kandidaten für meh-
rere weitere Spitzenposten.
EU-Ratspräsident Tusk betonte, sein
Ziel sei, bis Juni ein Gesamtpaket zu
schnüren, das ausgewogen die Regi-
onen der EU, die Parteien und Män-
ner und Frauen berücksichtige. Er
wolle schnell und entschieden vor-
gehen. Sollte sich kein Konsens ab-
zeichnen, werde er eine Mehrheits-
entscheidung einleiten. Die EU-
Staats- und Regierungschefs haben
das Vorschlagsrecht, bei dem sie die
neuen Mehrheiten im Parlament be-
rücksichtigen sollen. Ob Weber im
Kreis der 27 Länder genug Rückhalt
findet, ist offen. (sda/dpa/afp)
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela
Merkel am Gipfel in Sibiu. (Foto: Keystone/AP)
Türkische Gasbohrungen
EU steht Zypern
im Streit bei
SIBIU Der Präsident von Zypern hat
türkische Aktivitäten für Gasboh-
rungen im Mittelmeer verurteilt.
«Dies ist bei Weitem die schwerste
Verletzung der Hoheitsrechte Zy-
perns in einer sehr langen Zeit und
wir sind nun mit einer beispiellosen
Eskalation des illegalen Handelns
der Türkei im östlichen Mittelmeer
konfrontiert», sagte Nicos Anastasi-
ades am Donnerstag über die Aktivi-
täten in Gewässern, die zu Zyperns
Wirtschaftszone gehören. EU-Rats-
präsident Donald Tusk sicherte Zy-
pern den Beistand der Union zu.
Nach zyprischen Angaben liegt das
türkische Bohrschiff «Fatih» 68 Ki-
lometer vor der Stadt Paphos im
Südwesten Zyperns vor Anker. Dort
befänden sich auch Unterstützungs-
schiffe und eine türkische Marine-
fregatte, hiess es. Die «Fatih» habe
aber noch nicht mit Bohrungen be-
gonnen. Tusk sagte, die Europäi-
sche Union stehe «geeint» hinter Zy-
pern. Die EU erwarte, dass die Tür-
kei die Hoheitsrechte ihres Mit-
gliedslands respektiere und werde
die Situation aufmerksam verfolgen,
sagte er nach einem informellen EU-
Gipfel in Rumänien. Anastasiades
sagte, er habe die EU-Politiker auf
dem Gipfel über die Lage informiert
und sie hätten positiv reagiert. «Im
Grunde kommen diese Handlungen
einer neuen Invasion der Türkei in
Zypern nach den tragischen Ereig-
nissen von 1974 gleich», sagte Anas-
tasiades vor dem Gipfel. Die Zeit sei
reif für gemeinsames Handeln, das
über wirkungslose Aussagen hin-
ausgehe. Die Türkei war 1974 in Zy-
pern einmarschiert und besetzte
das nördliche Drittel der Mittel-
meerinsel. Sie beansprucht einen
Teil der ausschliesslichen Wirt-
schaftszone Zyperns als eigenes
Kontinentalschelf. Der türkische
Aussenminister Mevlüt Cavusoglu
hatte am Dienstag gesagt, sein Land
agiere im Einklang mit internationa-
lem Recht, um seine und die Rechte
türkischer Zyprer an fossilen Ener-
gieträgern zu schützen. Die Türkei
werde ein zweites Bohrschiff in das
Gebiet entsenden. (ap)