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SAMSTAG
20. APRIL 2019 null
ich solche Einladungen früher auch
angenommen. Aber etwas ist mir
heute bewusster: Es geht nicht dar-
um, den Leuten beziehungsweise
den Schülern zu sagen, was ich den-
ke, sondern ihnen zuzuhören – ihre
Anliegen aufzunehmen. Ich hoffe,
dass da viel kommt. Die Schüler sol-
len sich trauen, den Finger in die
Wunde zu legen. Ich muss unge-
schönt hören, was ihre Erwartungs-
haltung an die Politik ist.
Wenn Sie über Aussenpolitik reden,
merkt jeder, wie sehr Ihnen dieses
Ministerium am Herzen liegt. Ihnen
wird aber auch nachgesagt, dass
das Justizwesen hingegen das unge-
liebte Stiefkind ist. Stimmt das?
Nein, das würde ich nicht unter-
schreiben. Nur schon gemessen am
Zeitaufwand, den ich im Bereich Jus-
tiz betreibe. Schauen Sie sich die Ge-
setzesvorlagen an, die wir in den
Landtag bringen: Die sind dick und
inhaltlich einfach heftig. Das Prob-
lem ist: Es ist schwierig, Justizthemen
massentauglich zu kommunizieren.
Trotzdem interessiert mich als
Nichtjurist, wohin Sie mit Liechten-
steins Justizwesen wollen.
Effizienz ist das Ziel in dieser Legis-
laturperiode. Das heisst, wir wollen
unsere Verfahren besser und
schneller machen. Rechtsuchende –
egal ob arm oder reich – sollen
rasch zu einem Ergebnis kommen.
Genau hier wird es dann aber sehr
spezifisch. Es ist beispielsweise
schwierig, mit Personen ohne juris-
tischen Hintergrund über den Ins-
tanzenzug zu sprechen. Wie also
transportieren wir diese Themen in
eine breite Öffentlichkeit? Oftmals
beschäftigen uns auch Finanzplatz-
themen. Das ist dann schon sehr
technisch.
Stimmt. Und im Landtag geben sol-
che Vorlagen ja auch kaum zu dis-
kutieren, weil es offenbar ohnehin
nur einen gangbaren Weg gibt.
Genau, aber das heisst nicht, dass
diese nicht durchleuchtet werden.
Wir stimmen uns mit allen betroffe-
nen Branchenverbänden ab und ver-
suchen, den besten operativen Weg
zu finden. Aber ich bezweifle, dass
es Sinn machen würde, dies in der
breiten Öffentlichkeit zu tun. Direkt
betroffen ist schliesslich auch eher
eine Fachklientel. Eine Ausnahme
war vielleicht die Datenschutz-
grundverordnung. Die ist etwas nä-
her beim Bürger.
Aber nur dahingehend, dass sie uns
alle betrifft. Ich hatte das Gefühl,
auch diese Mammutvorlage war ex-
trem technisch. Das zeigte sich
dann ja auch im Landtag. Mir kam
vor, da wurden zum Teil Einwände
gebracht, weil das Thema gerade
populär war … Ich weiss nicht, ob
dabei das grosse Ganze wirklich er-
fasst wurde.
Ist es okay, wenn ich das unkom-
mentiert lasse?
Natürlich. Lassen Sie es mich anders
versuchen: Bei der Revision des
Strafgesetzbuches wollte der Land-
tag bei einem Artikel im Sexual-
strafrecht das Mindeststrafmass er-
höhen. Wenn man sich das Ganze
von einem Juristen erklären liess,
wurde schnell klar, dass das über-
haupt nicht nötig ist. Wie gehen Sie
damit um, wenn Abgeordnete ein-
zelne Bestimmungen herauspicken,
um sich damit zu profilieren?
Diese Entwicklung hängt stark von
der Zusammensetzung des Landta-
ges ab. Wo früher eher der grosse
Bogen diskutiert wurde, nimmt sich
der aktuelle Landtag gewisse Dinge
viel punktueller vor. Aber ich den-
ke, das ist das gute
Recht der Abge-
ordneten. Als Mi-
nisterin muss ich
Vorlagen einbrin-
gen, hinter denen
ich stehen kann.
Und ich verteidige meine Position
auch mit Herzblut. Aber wenn der
Landtag etwas anderes will, dann
akzeptiere ich das. Alles, was ich
tun kann, ist, zu versuchen, den Ab-
geordneten eine gute Grundlage für
ihre Entscheidungen zu liefern.
Ein Justiz-Thema, das ebenfalls
gros se Aufmerksamkeit fand, war
der Fall des ehemaligen StGH-Präsi-
denten, der in seiner hauptberufli-
chen Tätigkeit kriminell war und
deswegen verurteilt wurde. Dies
hat bei mir eine Frage aufgeworfen:
Sollte es überhaupt nebenamtliche
Richter geben? Auch bei Rechtsan-
wälten, die nebenamtlich Richter
sind, besteht hier doch ein Interes-
senskonflikt.
Ich glaube nicht, dass das ein Prob-
lem ist. Es ist Aufgabe der Gerichte,
darauf zu achten, dass es keine Be-
fangenheit gibt. Wer befangen ist,
muss in den Ausstand treten. Diese
Regelung wird sehr strikt ange-
wandt. Laien- oder eben nebenamt-
liche Richter sind in unserem Sys-
tem tief verankert. Ein Gedanke da-
hinter ist, dass wir viele hauptamtli-
che Richter aus dem Ausland haben.
Die Menschen müssen sich aber mit
einem Gericht, das über sie urteilt,
identifizieren können. Deshalb
braucht es auch Liechtensteiner, die
dem Gericht angehören.
Diese Regelung hat also – wie so oft
– einen kulturellen Hintergrund.
Brauchtum, Kunst, dokumentiertes
Wissen – all das formt und verän-
dert die Regeln, die wir uns aufer-
legen. Sie sind auch Ministerin für
Kultur. Was lernen Sie von Künst-
lern?
Kunst ist lehrreich, wenn sie Gren-
zen überschreitet. Ich mag es, pro-
voziert zu werden. Das tut mir als
Mensch gut und ich
glaube, das über-
trägt sich dann
auch manchmal
auf meine Arbeit.
Aus der Kultur her-
aus entsteht eine Diskussion, ein Di-
alog. Ich habe es am Anfang ange-
sprochen: Diesen Dialog müssen wir
in der Gesellschaft wieder stärker
suchen und führen. Dem Bereich
Kultur kommt dabei eine wichtige
Aufgabe zu.
Aber ist nicht gerade die Kunstszene
dafür zu abgehoben? Ich glaube,
diese Gruppe der Gesellschaft, die
Sie als Politikerin wieder mehr er-
reichen müssen, geht nicht an Ver-
nissagen im Kunstmuseum oder ins
Theater im TAK, aber auch nicht
zum Kabarett in den Schlösslekeller.
Ich glaube nicht, dass die Kunstsze-
ne abgehoben ist. Aber wenn Sie mir
diesen Spiegel vorhalten wollen: Wir
hatten und haben ja diverse Veran-
staltungen zum 300-Jahr-Jubiläum.
Da ist und war es mir ein so grosses
Anliegen, dass die Leute merken:
Das ist für alle! Wenn ich dann sehe,
dass zur Vernissage der Jubilä-
umsausstellung im Landesmuseum
so viele Menschen kommen, dass
wir die Veranstaltung in den Vadu-
zer Saal verlegen müssen, denke ich:
Diese Botschaft ist durchaus ange-
kommen.
Eine Redakteurin schrieb nach der
Geburtstagsfeier Liechtensteins im
Januar einen Kommentar im
«Volksblatt» mit dem Titel: «Wo
bleibt das ‹Wir›?». Glauben Sie
nicht, das «Wir» ist ein Stück weit
abhandengekommen?
Wichtig ist, dass wir das Jubiläum
nutzen, um unser Land besser zu
verstehen. Wie sind wir dahin ge-
kommen, wo wir heute stehen? Ich
durfte dabei einiges über unsere Ge-
schichte lernen. Aber auch über das
Heute. Doch es
bringt nichts,
wenn wir uns fra-
gen, «wo bleibt
das Wir?». Um ei-
ne Gemeinschaft
zu sein, muss jede
und jeder aktiv etwas dafür tun. In
diesem Zusammenhang denke ich
zum Beispiel an den Zukunftswork-
shop, den Liechtenstein Marketing
organisiert. Ich hoffe, dass sich dort
viele Menschen einbringen werden.
Aber auch die vielen anderen Veran-
staltungen bieten dazu Gelegenheit.
Ich wünsche mir wirklich sehr, dass
wir es hinbekommen, Begegnung zu
schaffen.
Ich glaube, das Jubiläum wird in
dieser Hinsicht überbewertet. Mei-
ne Wahrnehmung ist, dass vielen
die Lust zum Feiern bereits im Vor-
aus vergangen war.
Wirklich?
Das ist meine Wahrnehmung.
Selbst habe ich mich sehr darauf ge-
freut. Ich glaube, wir dürfen stolz
darauf sein, was unser Land er-
reicht hat. Ich verspüre eine tiefe
Dankbarkeit gegenüber unseren
Vorfahren. Zum Beispiel gegenüber
meiner Grosstante, die in den 80er-
Jahren für das
Frauenwahlrecht
demonstriert hat.
Auch dank ihr sitze
ich heute auf die-
sem Stuhl. Aber
vielleicht sind bei mir solche Ge-
danken so ausgeprägt, dass ich es
zu wenig wahrnehme, wenn ande-
ren die Lust vergeht. Ich fände es
jedenfalls unheimlich schade, wenn
die Leute das Gefühl hätten, es gä-
be kein «Wir».
Ich glaube, es ist kein Wunder, dass
dieses Gefühl entstehen kann. Neh-
men wir das Kino in Schaan: Drei
von elf Gemeinden unterstützen es.
Acht Gemeinderäte wollten nicht
mal ein Ticket für ihre Einwohner
kaufen, um einen Beitrag zu leisten.
Wo soll das Wir-Gefühl entstehen,
wenn es elf Gemeinden auf 160
km2
nicht hinkriegen, als ein Land zu
denken?
Ja, ich denke durchaus, dass wir es
wieder schaffen müssen, unser Land
als Einheit zu sehen. Das hängt für
mich vor allem damit zusammen,
worüber wir am Anfang unseres Ge-
spräches gesprochen haben. Die Po-
litik muss Projekte mutiger angehen
und auch die ganzen emotionalen,
gesellschaftspolitisch schwierigen
Themen diskutieren.
Ja, das sehe ich auch so. Aber wenn
ein Gemeinderat sich dagegen
sträubt, sich an einem Projekt zu
beteiligen, weil dessen Standort in
einer anderen Gemeinde liegt,
dann sind wir davon doch meilen-
weit entfernt. Wo sollen wir anset-
zen? Wer soll das «Wir» vorleben?
Das ist eine unheimlich schwierige
Frage. Ich hoffe, dass es weiterhin
so viele Menschen und Institutionen
gibt, die die Initiative ergreifen. Alle
zusammen müssen wir dabei darauf
achten, nicht all das im Keim zu er-
sticken. Gerade beim Kino bin ich
überzeugt, dass wir dieses als Ge-
sellschaft brauchen. Daher hoffe
ich, dass es auch ohne die Unterstüt-
zung sämtlicher Gemeinden finan-
ziert werden kann.
2019 ist nicht nur ein Jubiläums-
jahr für Liechtenstein. Es ist Ihr
zehntes Jahr als Regierungsrätin.
Wenn Sie heute daran denken, dass
diese Zeit in zwei Jahren ein Ende
nehmen wird: Was ist das Erste,
was Sie tun werden, als «ganz nor-
male» Bürgerin?
Diese Frage kann ich Ihnen nicht be-
antworten. Wie bereits gesagt: Ich
kann mir hier und heute das Leben
ohne Politik nicht vorstellen.
«Ich mag es,
provoziert zu werden.»
«Um eine Gemeinschaft zu
sein, muss jede und jeder
aktiv etwas dafür tun.»
«In den Mund gelegt ...»: Scannen Sie dieses Foto mit der Xtend-App auf Ihrem
Smartphone, um das Video anzusehen. (Screenshot)