Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2019)

  
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11. APRIL 
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ne so ziemlich alles bestellen. Für 
mich sieht das so aus, als ob das In- 
teresse an entsprechenden Finanz- 
produkten dann eben doch nicht so 
gross ist. 
Das würde ich so nicht sagen. Auch 
auf der Nachfrageseite hat sich eini- 
ges getan. Allein in der Schweiz wird 
die aktuelle Nachfrage auf rund 700 
Milliarden Franken geschätzt und 
übersteigt damit das Angebot bei 
Weitem. Die fortschreitende Digitali- 
sierung wird vieles vereinfachen. 
Zum einen wird sie uns helfen, die 
Prozesse zu automatisieren, Kosten 
zu senken und positive Skaleneffek- 
te zu erzielen. Zum anderen war lan- 
ge ein Hindernis, 
dass die effektive 
Wirkung eines In- 
vestments oder 
Portfolios hinsicht- 
lich der ESG-Fakto- 
ren nur schwer 
quantifizier- und 
messbar war. Mit- 
hilfe der Digitalisierung wird dies in 
naher Zukunft viel leichter und bes- 
ser gehen. 
Nun hat die Regierung in ihrer kürz- 
lich vorgestellten Finanzplatzstrate- 
gie das Thema Nachhaltigkeit aufge- 
nommen. Nachhaltiges Handeln sol- 
le als Bestandteil der Kultur auf 
dem Finanzplatz Liechtenstein be- 
reits jetzt etabliert werden, heisst es 
dort. Der LBV hat postwendend re- 
agiert und gefordert, dass die Regie- 
rung auch dieses Thema als wichti- 
gen zukünftigen Wettbewerbsfaktor 
sieht und sich für «optimale Rah- 
menbedingungen» einsetzt. Das 
klingt danach, als wäre Liechten- 
stein auf der politischen Ebene nicht 
so weit vorne dabei, wie Sie es gerne 
hätten. Was wiederum überrascht, 
wenn das Thema schon so lange auf 
dem Tisch liegt und die Wege so 
kurz sind, wie immer wieder gerne 
betont wird. 
Ähnlich wie bei den internationalen 
Standards in Steuersachen wird sich 
die Frage stellen, 
ob wir first mover, 
Mi tschwi mmer 
oder Nachzügler 
sein wollen. Letzte- 
res ist sicher keine 
Option. Bei der Di- 
gitalisierung hat 
Liechtenstein mit 
dem Blockchain-Gesetz eine Vorrei- 
terrolle übernommen. Dasselbe soll- 
ten wir gemeinsam im Nachhaltig- 
keitsbereich tun. Aus diesem Grund 
begrüssen wir, dass die Regierung 
das Thema Nachhaltigkeit in der Fi- 
nanzplatzstrategie aufgenommen 
hat. Das zeigt, dass ihr das Thema 
ebenfalls wichtig ist und sie unsere 
Ansicht in Bezug auf das Chancen- 
potenzial sowie den Handlungsbe- 
darf teilt. 
Wenn wir schon bei der Politik sind: 
Im Mai vergangenen Jahres hat die 
EU-Kommission einen Vorschlag für 
ein umfangreiches Regulierungspa- 
ket zur Finanzierung von nachhalti- 
gem Wachstum publiziert. Was pas- 
siert da in Brüssel? 
Die EU ist im Bereich nachhaltige 
Geldanlagen ganz klar Taktgeber. 
Das Regulierungspaket will dem Pa- 
riser Klimaabkommen und den 
nachhaltigen Entwicklungszielen 
der Vereinten Nationen Nachdruck 
verleihen. Es besteht aus vier kon- 
kreten Vorschlägen: Erstens einer 
einheitlichen Taxonomie bzw. einem 
EU-Klassifizierungssystem nachhal- 
tiger Finanzprodukte, um Klarheit 
zu schaffen, was als nachhaltig gilt 
und was nicht. Zweitens der Ver- 
pflichtungen für In- 
stitutionelle Inves- 
toren zur Integrati- 
on der ESG-Kriteri- 
en in ihre Anlage- 
entscheide. Drit- 
tens der Entwick- 
lung sogenannter 
low-carbon benchmarks sowie vier- 
tens Anpassungen sämtlicher Wert- 
papierregulierungen zwecks Be- 
rücksichtigung und Integration der 
ESG-Kriterien in den Anlage- und 
Beratungsprozess. In Bezug auf die- 
ses Teilpaket haben das Europäische 
Parlament und die EU-Mitgliedsstaa- 
ten gerade vor etwa einem Monat ei- 
ne weitreichende politische Eini- 
gung erzielt. Eine neue Verordnung 
wird alles regeln. 
Nun wissen wir alle, dass vieles, was 
in Brüssel entschieden wird, irgend- 
wann in Vaduz ankommen wird. 
Können Sie bereits heute abschät- 
zen, welche politischen Entwicklun- 
gen hier in den kommenden Jahren 
zu erwarten sein werden? 
Ja. Wir können das zum Beispiel ge- 
rade konkret anhand der vorher er- 
wähnten EU-Verordnung durchspie- 
len. Sie passt zahlreiche zentrale EU- 
Erlasse im Finanzdienstleistungsbe- 
reich an – zum Beispiel die MiFID II 
– und erfasst damit sektorübergrei- 
fend die gesamte Finanzdienstleis- 
tungsbranche. Als Verordnung sind 
die neuen Vorschriften direkt an- 
wendbar. Es bedarf also keiner Um- 
setzung ins nationale Recht. Und sie 
ist von Relevanz für den EWR und 
damit auch für Liechtenstein. Be- 
reits 12 Monate nach Veröffentli- 
chung ist sie anzuwenden. Die Dyna- 
mik ist also enorm. Ich glaube, dass 
dies, sowohl in der Tragweite als 
auch was das Tempo betrifft, noch 
von vielen unterschätzt wird. 
Die Finanzindustrie stöhnt seit vie- 
len Jahren über immer mehr Regu- 
lationen. Glauben Sie wirklich, dass 
hier nun offene Türen eingerannt 
werden, sich mit neuen Regulatio- 
nen auseinanderzusetzen, in einem 
Themenbereich, der derzeit ver- 
gleichsweise nur ein Nischendasein 
fristet? 
Der Zyklus, in dem Gesetze überar- 
beitet oder neu geschrieben werden, 
hat sich in den letzten Jahren massiv 
verkürzt. Als Reaktion auf die Fi- 
nanzkrise kam es zu einer Überre- 
gulierung sondergleichen, die auch 
zu einem massiven Kostenanstieg 
bei den Instituten geführt hat. 
Nichtsdestotrotz haben wir uns nie 
grundsätzlich 
gegen Regulie- 
rung ausgespro- 
chen, sondern 
vielmehr gegen 
unnötige und für 
eine praxisori- 
entierte, mass- 
volle und proportionale Regulie- 
rung. Im Klimabereich hat die Poli- 
tik lange mit Regulierungen zuge- 
wartet. Wenn man sich die Dring- 
lichkeit und Wichtigkeit der gesetz- 
ten Ziele von Paris und der UNO vor 
Augen hält, dann kommt man zum 
Schluss, dass es jetzt Regulierung 
braucht. Oder in den Worten von 
Paul Achleitner am diesjährigen Fi- 
nance Forum: «Regulierung ist die 
Reaktion auf wahrgenommenes 
Marktversagen.» Regulierung bietet 
den nötigen Orientierungsrahmen 
und Rechtssicherheit. Nachhaltig- 
keit wird zudem immer mehr auch 
eine Frage der Glaubwürdigkeit. Es 
muss sichergestellt sein, dass, wo 
Nachhaltigkeit draufsteht, auch 
Nachhaltigkeit drin ist. Es hat kei- 
nen Platz mehr für green washing. 
Folglich braucht es Transparenz. 
Und die Renditen? Gehen nachhalti- 
ge Anlagen zulasten der Renditeer- 
wartungen? 
Nein, dieser Mythos hat sich zu lan- 
ge gehalten. Das Gegenteil ist der 
Fall. Untersuchungen haben gezeigt, 
dass es bereits in den vergangenen 
acht Jahren zwi- 
schen der Perfor- 
mance des MSCI 
World- und dem 
MSCI World ESG- 
Leader-Index nur 
geringe Unter- 
schiede gegeben 
hat. Gemäss der Bank von England 
haben in fast allen der von ihr unter- 
suchten 2000 Studien die nachhalti- 
gen Anlagen renditemässig genauso 
gut oder sogar besser abgeschnitten. 
Nicht nachhaltige Anlagen bergen 
also heute schon für langfristige In- 
vestoren höhere finanzielle Risiken, 
was über die Zeit zu einer geringe- 
ren Rendite führen wird. Künftig 
wird sich das aber noch verstärken, 
da ökologische und soziale Aspekte 
sowie die damit verbundenen Risi- 
ken noch mehr eingepreist werden, 
was sich negativ auf die Rendite aus- 
wirken wird. 
Es dürfte weitestgehend Einigkeit 
darüber bestehen, dass die nachhal- 
tigen Entwicklungsziele der Verein- 
ten Nationen und die Pariser Klima- 
ziele nur mittels nachhaltiger Anla- 
gen finanziert werden können. Vie- 
lerorts demonstrieren Schüler mitt- 
lerweile regelmässig für den Klima- 
schutz. Entsteht hier nicht bereits 
eine Generation von Digital Natives, 
für die nachhaltige Anlagen künftig 
zum absoluten Standard gehören 
werden, woraus sich für uns heute 
bereits der Handlungsbedarf er- 
klärt? 
Absolut. Gemäss dem Global Impact 
Investing Network (GIIN), welchem 
1300 sogenannte Impact Investoren 
angehören, hat sich das Volumen der 
wirkungsbezogenen Anlagen in den 
vergangenen Jahren mehr als ver- 
doppelt und beträgt schätzungswei- 
se 502 Milliarden US-Dollar. Diese 
Zunahme wird in erster Linie den 
Millennials zugeschrieben. Darüber 
hinaus werden in den nächsten 20 
Jahren rund 460 Milliardäre rund 2,1 
Billionen US-Dollar an die nächste 
Generation vererben. Dies bedeutet, 
dass auch die sogenannten High Net 
Worth Individuals (HNWI) und ins- 
besondere die junge Generation eine 
tragende Rolle spielen werden. Diese 
Generation wird weniger durch ma- 
teriellen Reichtum angetrieben, als 
vielmehr durch Werte. Sie möchte 
Umwelt und Gesellschaft verändern. 
So interessiert die Millennials nicht 
bloss die kurzfristige Performance, 
sondern auch die Frage, ob ihr Geld 
sinnstiftend und verantwortungsvoll 
investiert wird. Im Übrigen kann 
auch die jüngere 
Generation rech- 
nen. Ökologische 
und soziale As- 
pekte und die da- 
mit verbundenen 
Risiken werden 
in Zukunft mehr 
eingepreist werden müssen. Länger- 
fristig orientierte Anleger sind sich 
bewusst, dass die nicht nachhaltigen 
Anlagen finanzielle Risiken bergen 
und somit auch ökonomisch weniger 
rentieren werden. Und hier schliesst 
sich der Kreis zur Digitalisierung. Es 
ist nämlich diese Generation, für die 
der tägliche Gebrauch der digitalen 
Technologien eine Selbstverständ- 
lichkeit ist. 
Sie haben nun vereinfacht ausge- 
drückt aufgezeigt, dass sowohl Be- 
dürfnisse und Notwendigkeiten be- 
stehen, dass das Geld grundsätzlich 
vorhanden ist und dass Bewegung 
in die Politik kommt, um mit nach- 
haltigen Anlagen sprichwörtlich et- 
was zu bewegen. Es scheint so, als 
ob all diese Gegebenheiten nun 
«nur» noch zusammengeführt wer- 
den müssten. Was also, glauben Sie, 
muss nun geschehen, damit das The- 
ma nachhaltige Anlagen tatsächlich 
künftig nicht nur zu einem strategi- 
schen Hauptpfeiler des Bankenver- 
bandes, sondern des gesamten Fi- 
nanzplatzes wird? 
Gelebtes und glaubwürdiges, verant- 
wortungsvolles Handeln ist nicht 
nur eine Pflicht, sondern auch ein 
Differenzierungsmerkmal. Insbe- 
sondere dann, wenn es uns gelingt, 
dies noch besser als einen integra- 
len Bestandteil der Kultur auf dem 
gesamten Finanzplatz zu etablieren. 
Hierfür braucht es eine partner- 
schaftliche, koordinierte Zusam- 
menarbeit zwischen Staat, Wirt- 
schaft, den Verbänden und der Wis- 
senschaft sowie einen strukturier- 
ten Prozess. 
«Diese Generation wird weniger durch 
materiellen Reichtum angetrieben 
als vielmehr durch Werte. Sie möchte 
Umwelt und Gesellschaft verändern», 
sagt LBV-Geschäftsführer 
Simon Tribelhorn. (Foto: ZVG) 
«Aus diesem Grund 
begrüssen wir, dass die 
Regierung das Thema 
Nachhaltigkeit in der 
Finanzplatzstrategie 
aufgenommen hat.» 
«Ich glaube, dass dies 
sowohl in der Tragweite 
als auch, was das Tempo 
betriff t, noch von vielen 
unterschätzt wird.» 
«Es muss sichergestellt 
sein, dass, wo Nachhaltigkeit 
draufsteht, auch 
Nachhaltigkeit drin ist.»
	        

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