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11. APRIL
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ne so ziemlich alles bestellen. Für
mich sieht das so aus, als ob das In-
teresse an entsprechenden Finanz-
produkten dann eben doch nicht so
gross ist.
Das würde ich so nicht sagen. Auch
auf der Nachfrageseite hat sich eini-
ges getan. Allein in der Schweiz wird
die aktuelle Nachfrage auf rund 700
Milliarden Franken geschätzt und
übersteigt damit das Angebot bei
Weitem. Die fortschreitende Digitali-
sierung wird vieles vereinfachen.
Zum einen wird sie uns helfen, die
Prozesse zu automatisieren, Kosten
zu senken und positive Skaleneffek-
te zu erzielen. Zum anderen war lan-
ge ein Hindernis,
dass die effektive
Wirkung eines In-
vestments oder
Portfolios hinsicht-
lich der ESG-Fakto-
ren nur schwer
quantifizier- und
messbar war. Mit-
hilfe der Digitalisierung wird dies in
naher Zukunft viel leichter und bes-
ser gehen.
Nun hat die Regierung in ihrer kürz-
lich vorgestellten Finanzplatzstrate-
gie das Thema Nachhaltigkeit aufge-
nommen. Nachhaltiges Handeln sol-
le als Bestandteil der Kultur auf
dem Finanzplatz Liechtenstein be-
reits jetzt etabliert werden, heisst es
dort. Der LBV hat postwendend re-
agiert und gefordert, dass die Regie-
rung auch dieses Thema als wichti-
gen zukünftigen Wettbewerbsfaktor
sieht und sich für «optimale Rah-
menbedingungen» einsetzt. Das
klingt danach, als wäre Liechten-
stein auf der politischen Ebene nicht
so weit vorne dabei, wie Sie es gerne
hätten. Was wiederum überrascht,
wenn das Thema schon so lange auf
dem Tisch liegt und die Wege so
kurz sind, wie immer wieder gerne
betont wird.
Ähnlich wie bei den internationalen
Standards in Steuersachen wird sich
die Frage stellen,
ob wir first mover,
Mi tschwi mmer
oder Nachzügler
sein wollen. Letzte-
res ist sicher keine
Option. Bei der Di-
gitalisierung hat
Liechtenstein mit
dem Blockchain-Gesetz eine Vorrei-
terrolle übernommen. Dasselbe soll-
ten wir gemeinsam im Nachhaltig-
keitsbereich tun. Aus diesem Grund
begrüssen wir, dass die Regierung
das Thema Nachhaltigkeit in der Fi-
nanzplatzstrategie aufgenommen
hat. Das zeigt, dass ihr das Thema
ebenfalls wichtig ist und sie unsere
Ansicht in Bezug auf das Chancen-
potenzial sowie den Handlungsbe-
darf teilt.
Wenn wir schon bei der Politik sind:
Im Mai vergangenen Jahres hat die
EU-Kommission einen Vorschlag für
ein umfangreiches Regulierungspa-
ket zur Finanzierung von nachhalti-
gem Wachstum publiziert. Was pas-
siert da in Brüssel?
Die EU ist im Bereich nachhaltige
Geldanlagen ganz klar Taktgeber.
Das Regulierungspaket will dem Pa-
riser Klimaabkommen und den
nachhaltigen Entwicklungszielen
der Vereinten Nationen Nachdruck
verleihen. Es besteht aus vier kon-
kreten Vorschlägen: Erstens einer
einheitlichen Taxonomie bzw. einem
EU-Klassifizierungssystem nachhal-
tiger Finanzprodukte, um Klarheit
zu schaffen, was als nachhaltig gilt
und was nicht. Zweitens der Ver-
pflichtungen für In-
stitutionelle Inves-
toren zur Integrati-
on der ESG-Kriteri-
en in ihre Anlage-
entscheide. Drit-
tens der Entwick-
lung sogenannter
low-carbon benchmarks sowie vier-
tens Anpassungen sämtlicher Wert-
papierregulierungen zwecks Be-
rücksichtigung und Integration der
ESG-Kriterien in den Anlage- und
Beratungsprozess. In Bezug auf die-
ses Teilpaket haben das Europäische
Parlament und die EU-Mitgliedsstaa-
ten gerade vor etwa einem Monat ei-
ne weitreichende politische Eini-
gung erzielt. Eine neue Verordnung
wird alles regeln.
Nun wissen wir alle, dass vieles, was
in Brüssel entschieden wird, irgend-
wann in Vaduz ankommen wird.
Können Sie bereits heute abschät-
zen, welche politischen Entwicklun-
gen hier in den kommenden Jahren
zu erwarten sein werden?
Ja. Wir können das zum Beispiel ge-
rade konkret anhand der vorher er-
wähnten EU-Verordnung durchspie-
len. Sie passt zahlreiche zentrale EU-
Erlasse im Finanzdienstleistungsbe-
reich an – zum Beispiel die MiFID II
– und erfasst damit sektorübergrei-
fend die gesamte Finanzdienstleis-
tungsbranche. Als Verordnung sind
die neuen Vorschriften direkt an-
wendbar. Es bedarf also keiner Um-
setzung ins nationale Recht. Und sie
ist von Relevanz für den EWR und
damit auch für Liechtenstein. Be-
reits 12 Monate nach Veröffentli-
chung ist sie anzuwenden. Die Dyna-
mik ist also enorm. Ich glaube, dass
dies, sowohl in der Tragweite als
auch was das Tempo betrifft, noch
von vielen unterschätzt wird.
Die Finanzindustrie stöhnt seit vie-
len Jahren über immer mehr Regu-
lationen. Glauben Sie wirklich, dass
hier nun offene Türen eingerannt
werden, sich mit neuen Regulatio-
nen auseinanderzusetzen, in einem
Themenbereich, der derzeit ver-
gleichsweise nur ein Nischendasein
fristet?
Der Zyklus, in dem Gesetze überar-
beitet oder neu geschrieben werden,
hat sich in den letzten Jahren massiv
verkürzt. Als Reaktion auf die Fi-
nanzkrise kam es zu einer Überre-
gulierung sondergleichen, die auch
zu einem massiven Kostenanstieg
bei den Instituten geführt hat.
Nichtsdestotrotz haben wir uns nie
grundsätzlich
gegen Regulie-
rung ausgespro-
chen, sondern
vielmehr gegen
unnötige und für
eine praxisori-
entierte, mass-
volle und proportionale Regulie-
rung. Im Klimabereich hat die Poli-
tik lange mit Regulierungen zuge-
wartet. Wenn man sich die Dring-
lichkeit und Wichtigkeit der gesetz-
ten Ziele von Paris und der UNO vor
Augen hält, dann kommt man zum
Schluss, dass es jetzt Regulierung
braucht. Oder in den Worten von
Paul Achleitner am diesjährigen Fi-
nance Forum: «Regulierung ist die
Reaktion auf wahrgenommenes
Marktversagen.» Regulierung bietet
den nötigen Orientierungsrahmen
und Rechtssicherheit. Nachhaltig-
keit wird zudem immer mehr auch
eine Frage der Glaubwürdigkeit. Es
muss sichergestellt sein, dass, wo
Nachhaltigkeit draufsteht, auch
Nachhaltigkeit drin ist. Es hat kei-
nen Platz mehr für green washing.
Folglich braucht es Transparenz.
Und die Renditen? Gehen nachhalti-
ge Anlagen zulasten der Renditeer-
wartungen?
Nein, dieser Mythos hat sich zu lan-
ge gehalten. Das Gegenteil ist der
Fall. Untersuchungen haben gezeigt,
dass es bereits in den vergangenen
acht Jahren zwi-
schen der Perfor-
mance des MSCI
World- und dem
MSCI World ESG-
Leader-Index nur
geringe Unter-
schiede gegeben
hat. Gemäss der Bank von England
haben in fast allen der von ihr unter-
suchten 2000 Studien die nachhalti-
gen Anlagen renditemässig genauso
gut oder sogar besser abgeschnitten.
Nicht nachhaltige Anlagen bergen
also heute schon für langfristige In-
vestoren höhere finanzielle Risiken,
was über die Zeit zu einer geringe-
ren Rendite führen wird. Künftig
wird sich das aber noch verstärken,
da ökologische und soziale Aspekte
sowie die damit verbundenen Risi-
ken noch mehr eingepreist werden,
was sich negativ auf die Rendite aus-
wirken wird.
Es dürfte weitestgehend Einigkeit
darüber bestehen, dass die nachhal-
tigen Entwicklungsziele der Verein-
ten Nationen und die Pariser Klima-
ziele nur mittels nachhaltiger Anla-
gen finanziert werden können. Vie-
lerorts demonstrieren Schüler mitt-
lerweile regelmässig für den Klima-
schutz. Entsteht hier nicht bereits
eine Generation von Digital Natives,
für die nachhaltige Anlagen künftig
zum absoluten Standard gehören
werden, woraus sich für uns heute
bereits der Handlungsbedarf er-
klärt?
Absolut. Gemäss dem Global Impact
Investing Network (GIIN), welchem
1300 sogenannte Impact Investoren
angehören, hat sich das Volumen der
wirkungsbezogenen Anlagen in den
vergangenen Jahren mehr als ver-
doppelt und beträgt schätzungswei-
se 502 Milliarden US-Dollar. Diese
Zunahme wird in erster Linie den
Millennials zugeschrieben. Darüber
hinaus werden in den nächsten 20
Jahren rund 460 Milliardäre rund 2,1
Billionen US-Dollar an die nächste
Generation vererben. Dies bedeutet,
dass auch die sogenannten High Net
Worth Individuals (HNWI) und ins-
besondere die junge Generation eine
tragende Rolle spielen werden. Diese
Generation wird weniger durch ma-
teriellen Reichtum angetrieben, als
vielmehr durch Werte. Sie möchte
Umwelt und Gesellschaft verändern.
So interessiert die Millennials nicht
bloss die kurzfristige Performance,
sondern auch die Frage, ob ihr Geld
sinnstiftend und verantwortungsvoll
investiert wird. Im Übrigen kann
auch die jüngere
Generation rech-
nen. Ökologische
und soziale As-
pekte und die da-
mit verbundenen
Risiken werden
in Zukunft mehr
eingepreist werden müssen. Länger-
fristig orientierte Anleger sind sich
bewusst, dass die nicht nachhaltigen
Anlagen finanzielle Risiken bergen
und somit auch ökonomisch weniger
rentieren werden. Und hier schliesst
sich der Kreis zur Digitalisierung. Es
ist nämlich diese Generation, für die
der tägliche Gebrauch der digitalen
Technologien eine Selbstverständ-
lichkeit ist.
Sie haben nun vereinfacht ausge-
drückt aufgezeigt, dass sowohl Be-
dürfnisse und Notwendigkeiten be-
stehen, dass das Geld grundsätzlich
vorhanden ist und dass Bewegung
in die Politik kommt, um mit nach-
haltigen Anlagen sprichwörtlich et-
was zu bewegen. Es scheint so, als
ob all diese Gegebenheiten nun
«nur» noch zusammengeführt wer-
den müssten. Was also, glauben Sie,
muss nun geschehen, damit das The-
ma nachhaltige Anlagen tatsächlich
künftig nicht nur zu einem strategi-
schen Hauptpfeiler des Bankenver-
bandes, sondern des gesamten Fi-
nanzplatzes wird?
Gelebtes und glaubwürdiges, verant-
wortungsvolles Handeln ist nicht
nur eine Pflicht, sondern auch ein
Differenzierungsmerkmal. Insbe-
sondere dann, wenn es uns gelingt,
dies noch besser als einen integra-
len Bestandteil der Kultur auf dem
gesamten Finanzplatz zu etablieren.
Hierfür braucht es eine partner-
schaftliche, koordinierte Zusam-
menarbeit zwischen Staat, Wirt-
schaft, den Verbänden und der Wis-
senschaft sowie einen strukturier-
ten Prozess.
«Diese Generation wird weniger durch
materiellen Reichtum angetrieben
als vielmehr durch Werte. Sie möchte
Umwelt und Gesellschaft verändern»,
sagt LBV-Geschäftsführer
Simon Tribelhorn. (Foto: ZVG)
«Aus diesem Grund
begrüssen wir, dass die
Regierung das Thema
Nachhaltigkeit in der
Finanzplatzstrategie
aufgenommen hat.»
«Ich glaube, dass dies
sowohl in der Tragweite
als auch, was das Tempo
betriff t, noch von vielen
unterschätzt wird.»
«Es muss sichergestellt
sein, dass, wo Nachhaltigkeit
draufsteht, auch
Nachhaltigkeit drin ist.»