FREITAG
5. APRIL
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VON DANIELA FRITZ
«Volksblatt»: «Isch es an Buab oder a
Matle?»: Mit diesem Satz kündigen
Sie Ihren Vortrag an. Was steckt hin-
ter diesem Satz?
Claudia Heeb-Fleck: Bei der Geburt
eines Kindes ist das eine der ersten
Fragen. Es zeigt, dass es nach wie
vor relevant ist, ob man als Junge
oder Mädchen zur Welt kommt. Das
Geschlecht hat den Verlauf und die
Gestaltungsmöglichkeiten des Le-
bens früher sehr stark geprägt und
prägt es auch heute noch.
Was können Eltern tun, um dem ent-
gegenzuwirken und ihr Mädchen
eben nicht als «typisches» Mädchen
und ihren Jungen als «typischen»
Jungen zu erziehen?
Wichtig ist, zu erkennen, dass das
Geschlecht nicht primär vom biolo-
gischen Geschlecht bestimmt wird,
sondern ganz entscheidend vom so-
genannten sozialen Geschlecht. Ge-
schlechterrollen werden von der Ge-
sellschaft zugeschrieben. Je nach ge-
sellschaftlichem Kontext und Zeit
verbindet die Gesellschaft bestimm-
te Erwartungen und Vorstellungen
mit dem Mann- und Frausein. Diese
Erwartungen und Vorstellungen
werden vermittelt – durch Erzie-
hung, Medien, Tradition, gesell-
schaftliche Normen und Rollenbil-
der. Als Eltern ist man Teil der Ge-
sellschaft und kann versuchen, mög-
lichst offene Rollenbilder zu vermit-
teln. Der Einfluss der Gesellschaft
ist aber sehr gross.
Kritiker sprechen gerne von «Gen-
der-Wahnsinn» und dass jegliche
Unterschiede zwischen Männern
und Frauen negiert werden. Welche
angeborenen Unterschiede gibt es
wirklich – abgesehen von den kör-
perlichen Merkmalen?
Ein zentraler Unterschied ist sicher,
dass Frauen gebären können und
Männer eben nicht. Die Genderfor-
schung negiert aber nicht die Unter-
schiede zwischen Männern und
Frauen. Sie sagt nur, dass die Unter-
schiede weniger durch die Biologie
vorgegeben sind, sondern dass sie
vor allem durch gesellschaftliche
Zuschreibungen und Prägungen be-
dingt sind. Ich zeige ja gerade in
meinem Vortrag auf, wie prägend
die Geschlechterrollen für den Ver-
lauf und die Gestaltungsmöglichkei-
ten des Lebens waren. Und der Blick
in die Geschichte zeigt, dass Ge-
schlechterrollen nichts Konstantes,
Naturgegebenes sind, sondern sich
im Laufe der letzten 300 Jahre geän-
dert haben. In dieser Zeit gab es ei-
nen grossen Wandel in den gesell-
schaftlichen Vorstellungen über die
Rollen von Mann und Frau. Dieser
Wandel hat sich vor allem rechtlich
niedergeschlagen. Zuerst war das
Geschlechterverhältnis patriarchal
und hierarchisch
organisiert. Dann
entwickelte sich
der Grundsatz der
Gleichberechti-
gung der Ge-
schlechter, der
sich bei uns in
Liechtenstein allerdings erst Ende
des 20. Jahrhunderts durchgesetzt
hat. Bis zur Gleichstellung der Ge-
schlechter waren Frauen den Män-
nern untergeordnet und in ihren
Handlungsmöglichkeiten einge-
schränkt.
Was auf Rollenbildern basierte und
nicht auf dem biologischen Ge-
schlecht.
Genau. Das für Liechtenstein bis
heute wirksame Geschlechterrollen-
verständnis, die bürgerliche Ge-
schlechterideologie, hat sich im 19.
Jahrhundert entwickelt. Sie defi-
niert die Rolle der Hausfrau, Gattin
und Mutter als naturgegebene Rolle
der Frau. Unabhängig davon, in wel-
cher Schicht und unter welchen so-
zialen Bedingungen Frauen gelebt
haben, galt von da an, dass der Platz
der Frau in der Familie und im Haus
ist. Der Mann wurde für die bezahl-
te Erwerbsarbeit zuständig erklärt,
seine Rolle war die des Ernährers.
Das sind Zuschreibungen, die sich
nicht aus dem biologischen Ge-
schlecht ergeben, sondern aus be-
stimmten gesellschaftlichen und po-
litischen Machtverhältnissen heraus
definiert werden.
Das zweigeschlechtliche Modell hat
sich erst mit dem Bürgerlichen ent-
wickelt. Liechtenstein war aber sehr
lange ein Agrarstaat – dauerte es
hier also entsprechend länger, bis
sich die «typischen» Rollenbilder
von Mann und Frau entwickelten?
In meinem Vortrag beziehe ich mich
auf eine Untersuchung des Wandels
der Geschlechterrollen in Europa. In
Europa hat sich die bürgerliche Ge-
schlechterideologie im 19. Jahrhun-
dert durchgesetzt. Zumindest auf
der ideologischen Ebene – gelebt
wurde sie damals in der Schweiz
oder Deutschland auch nur in den
Städten. Auch bei uns hat sich die
bürgerliche Geschlechterideologie
spätestens zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts als Norm durchgesetzt, ob-
wohl wir damals noch eine Agrarge-
sellschaft waren.
Die bürgerliche
Ideologie wirkte
sich beispielswei-
se bei der Wahr-
nehmung und Be-
wertung der Ar-
beit der Bäuerin
aus. Wirklich gelebt wurde das bür-
gerliche Ideal aber erst, als Woh-
nung und Arbeitsplatz getrennt wa-
ren. Das ist bei uns erst nach dem
Zweiten Weltkrieg der Fall. Auf-
grund des enormen wirtschaftli-
chen Aufschwungs in Liechtenstein
konnte man es sich dann aber sehr
schnell leisten, dass der Mann für
die Erwerbsarbeit und die Frau für
Haushalt und Kinder zuständig wa-
ren. Man orientierte sich also schon
länger am bürgerlichen Ideal, von ei-
ner Mehrheit gelebt wurde es aber in
Europa in den 1950er- und 60er-Jah-
ren, in Liechtenstein vielleicht et-
was später, dafür aber auch ein biss-
chen länger.
Welche geschichtlichen Ereignisse
waren denn wichtig für die Gleich-
berechtigung?
Die 1960er- und 70er-Jahre brachten
in Liechtenstein einen Aufbruch
und eine Aufweichung der bürgerli-
chen Ideologie, indem Frauen auf
den Arbeits-
markt strömten,
obwohl die Er-
werbsarbeit mit
ihrer Rolle in
Konflikt stand.
Die Erwerbstä-
tigkeit von Frau-
en – auch von
verheirateten –
stieg in dieser Zeit massiv. Den
nächsten grossen Wandel in Liech-
tenstein brachten die 80er- und
90er-Jahre, in denen die politische
Gleichstellung, und Ende der 90er-
Jahre auch die rechtliche Gleichstel-
lung umgesetzt wurde.
Ein wesentlicher Schritt in Richtung
Gleichberechtigung war sicher auch
die Einführung des Frauenstimm-
rechts. Aber haben sich damit auch
die Rollenbilder aufgeweicht?
Ja, aufgeweicht schon, aber das Ge-
schlechterverhältnis hat sich vor al-
lem rechtlich geändert. Rechtlich ist
die Dominanz und Vormachtstel-
lung des Mannes abgeschafft wor-
den und durch eine grundsätzliche
Gleichstellung der Geschlechter er-
setzt worden. In Bezug auf die ge-
schlechtsspezifische Arbeitsteilung
hat sich nur auf der einen Seite et-
was geändert. Die Arbeitsteilung, in
der Frauen die unbezahlte Haus-
und Betreuungsarbeit zugeordnet
wird, ist bis heute kaum aufgebro-
chen. Das bringt eine Schieflage mit
sich: Frauen sind zwar in die Er-
werbstätigkeit vorgestossen, recht-
lich und politisch gleichberechtigt,
aber auf der anderen Seite immer
noch mehrheitlich für die Betreu-
ungsarbeit zuständig. Das behindert
die Gleichberechtigung. Darum
muss man bei den Rollenbildern an-
setzen. Historisch zeigt sich, dass
Rollenbilder stark mit sozialer Un-
gleichheit verbunden sind. Diese Un-
gleichheiten gilt es zu erkennen und
abzuschaffen.
Oft ist es gar nicht so leicht, zu er-
kennen, was der Sozialisation ge-
schuldet ist und was nun tatsächlich
naturgegeben ist, so fest haben sich
die sozialen Geschlechter in den
Köpfen verankert.
Rollenbilder sind für unsere Identi-
tät wichtig. Problematisch sind sie
nur dort, wo sie mit Einschränkun-
gen und Minderbewertung verbun-
den sind und Un-
gleichheit legiti-
mieren. Es geht
darum, die Rol-
lenbilder kri-
tisch zu hinter-
fragen und dar-
auf hinzuwir-
ken, dass sie of-
fen sind und in-
dividuelle Entfaltung ermöglichen.
Es ist mehr Sensibilisierung nötig für
das, was an Bewertung mit dem sozi-
alen Geschlecht verbunden wird.
Wie weit ist Liechtenstein noch von
der Gleichberechtigung zwischen
Frau und Mann entfernt?
Die rechtliche Gleichstellung ist er-
reicht. Die grossen Herausforderun-
gen liegen bei der Arbeitsteilung.
Für eine wirkliche Gleichberechti-
gung muss die unbezahlte Arbeit an-
ders verteilt werden. Männer und
Frauen müssen dafür gleichermas-
sen zuständig sein. Erst dann kann
Gleichberechtigung wirklich so um-
gesetzt werden, dass sie auch Chan-
cengleichheit im Erwerbsleben, im
politischen Leben, im gesellschaftli-
chen Leben mit sich bringt.
Heeb-Fleck: «Rollenbilder sind stark
mit sozialer Ungleichheit verbunden»
Interview Die Historikerin Claudia Heeb-Fleck geht in einem Vortrag der Frage nach, wie sich Rollenbilder und das
Geschlechterverhältnis zwischen Mann und Frau in Liechtenstein im Laufe der letzten Jahrhunderte verändert hat.
VORTRAG
Claudia Heeb-Fleck hält am Don-
nerstag, 11. April, um 19 Uhr im SAL
in Schaan einen Vortrag zum Thema
«Frau und Mann». Die Historikerin
geht dabei unter anderem den Fra-
gen nach, wie die Geschlechterrollen
in Liechtenstein definiert wurden
und wie sich das Geschlechterver-
hältnis zwischen Mann und Frau im
Laufe der letzten zwei- bis dreihun-
dert Jahre in Liechtenstein verän-
dert hat. Der Vortrag findet im Rah-
men der Reihe «Gestern – Heute –
Morgen: Perspektiven auf Liechten-
stein» des Liechtenstein-Instituts
statt. Der Eintritt ist frei.
Weitere Informationen unter www.
liechtenstein-institut.li.
«Der Blick in die Geschichte zeigt, dass Geschlechterrollen nichts Konstantes, Naturgegebenes sind», betont Claudia Heeb-
Fleck. In einem Vortrag am 11. April wird die Historikerin dies näher aufzeigen. (Foto: Lucia Kind)
«Die Genderforschung
negiert die Unterschiede
zwischen Männern und
Frauen nicht.»
«Die Arbeitsteilung,
in der Frauen die unbezahlte
Haus- und Betreuungsarbeit
zugeordnet wird, ist bis
heute kaum aufgebrochen.»
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