Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2019)

FREITAG 
5. APRIL 
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VON DANIELA FRITZ 
«Volksblatt»: «Isch es an Buab oder a 
Matle?»: Mit diesem Satz kündigen 
Sie Ihren Vortrag an. Was steckt hin- 
ter diesem Satz? 
Claudia Heeb-Fleck: Bei der Geburt 
eines Kindes ist das eine der ersten 
Fragen. Es zeigt, dass es nach wie 
vor relevant ist, ob man als Junge 
oder Mädchen zur Welt kommt. Das 
Geschlecht hat den Verlauf und die 
Gestaltungsmöglichkeiten des Le- 
bens früher sehr stark geprägt und 
prägt es auch heute noch. 
Was können Eltern tun, um dem ent- 
gegenzuwirken und ihr Mädchen 
eben nicht als «typisches» Mädchen 
und ihren Jungen als «typischen» 
Jungen zu erziehen? 
Wichtig ist, zu erkennen, dass das 
Geschlecht nicht primär vom biolo- 
gischen Geschlecht bestimmt wird, 
sondern ganz entscheidend vom so- 
genannten sozialen Geschlecht. Ge- 
schlechterrollen werden von der Ge- 
sellschaft zugeschrieben. Je nach ge- 
sellschaftlichem Kontext und Zeit 
verbindet die Gesellschaft bestimm- 
te Erwartungen und Vorstellungen 
mit dem Mann- und Frausein. Diese 
Erwartungen und Vorstellungen 
werden vermittelt – durch Erzie- 
hung, Medien, Tradition, gesell- 
schaftliche Normen und Rollenbil- 
der. Als Eltern ist man Teil der Ge- 
sellschaft und kann versuchen, mög- 
lichst offene Rollenbilder zu vermit- 
teln. Der Einfluss der Gesellschaft 
ist aber sehr gross. 
Kritiker sprechen gerne von «Gen- 
der-Wahnsinn» und dass jegliche 
Unterschiede zwischen Männern 
und Frauen negiert werden. Welche 
angeborenen Unterschiede gibt es 
wirklich – abgesehen von den kör- 
perlichen Merkmalen? 
Ein zentraler Unterschied ist sicher, 
dass Frauen gebären können und 
Männer eben nicht. Die Genderfor- 
schung negiert aber nicht die Unter- 
schiede zwischen Männern und 
Frauen. Sie sagt nur, dass die Unter- 
schiede weniger durch die Biologie 
vorgegeben sind, sondern dass sie 
vor allem durch gesellschaftliche 
Zuschreibungen und Prägungen be- 
dingt sind. Ich zeige ja gerade in 
meinem Vortrag auf, wie prägend 
die Geschlechterrollen für den Ver- 
lauf und die Gestaltungsmöglichkei- 
ten des Lebens waren. Und der Blick 
in die Geschichte zeigt, dass Ge- 
schlechterrollen nichts Konstantes, 
Naturgegebenes sind, sondern sich 
im Laufe der letzten 300 Jahre geän- 
dert haben. In dieser Zeit gab es ei- 
nen grossen Wandel in den gesell- 
schaftlichen Vorstellungen über die 
Rollen von Mann und Frau. Dieser 
Wandel hat sich vor allem rechtlich 
niedergeschlagen. Zuerst war das 
Geschlechterverhältnis patriarchal 
und hierarchisch 
organisiert. Dann 
entwickelte sich 
der Grundsatz der 
Gleichberechti- 
gung der Ge- 
schlechter, der 
sich bei uns in 
Liechtenstein allerdings erst Ende 
des 20. Jahrhunderts durchgesetzt 
hat. Bis zur Gleichstellung der   Ge- 
schlechter waren Frauen den Män- 
nern untergeordnet und in ihren 
Handlungsmöglichkeiten einge- 
schränkt. 
Was auf Rollenbildern basierte und 
nicht auf dem biologischen Ge- 
schlecht. 
Genau. Das für Liechtenstein bis 
heute wirksame Geschlechterrollen- 
verständnis, die bürgerliche Ge- 
schlechterideologie, hat sich im 19. 
Jahrhundert entwickelt. Sie defi- 
niert die Rolle der Hausfrau, Gattin 
und Mutter als naturgegebene Rolle 
der Frau. Unabhängig davon, in wel- 
cher Schicht und unter welchen so- 
zialen Bedingungen Frauen gelebt 
haben, galt von da an, dass der Platz 
der Frau in der Familie und im Haus 
ist. Der Mann wurde für die bezahl- 
te Erwerbsarbeit zuständig erklärt, 
seine Rolle war die des Ernährers. 
Das sind Zuschreibungen, die sich 
nicht aus dem biologischen Ge- 
schlecht ergeben, sondern aus be- 
stimmten gesellschaftlichen und po- 
litischen Machtverhältnissen heraus 
definiert werden.   
Das zweigeschlechtliche Modell hat 
sich erst mit dem Bürgerlichen ent- 
wickelt. Liechtenstein war aber sehr 
lange ein Agrarstaat – dauerte es 
hier also entsprechend länger, bis 
sich die «typischen» Rollenbilder 
von Mann und Frau entwickelten? 
In meinem Vortrag beziehe ich mich 
auf eine Untersuchung des Wandels 
der Geschlechterrollen in Europa. In 
Europa hat sich die bürgerliche Ge- 
schlechterideologie im 19. Jahrhun- 
dert durchgesetzt. Zumindest auf 
der ideologischen Ebene – gelebt 
wurde sie damals in der Schweiz 
oder Deutschland auch nur in den 
Städten. Auch bei uns hat sich die 
bürgerliche Geschlechterideologie 
spätestens zu Beginn des 20. Jahr- 
hunderts als Norm durchgesetzt, ob- 
wohl wir damals noch eine Agrarge- 
sellschaft waren. 
Die bürgerliche 
Ideologie wirkte 
sich beispielswei- 
se bei der Wahr- 
nehmung und Be- 
wertung der Ar- 
beit der Bäuerin 
aus. Wirklich gelebt wurde das bür- 
gerliche Ideal aber erst, als Woh- 
nung und Arbeitsplatz getrennt wa- 
ren. Das ist bei uns erst nach dem 
Zweiten Weltkrieg der Fall. Auf- 
grund des enormen wirtschaftli- 
chen Aufschwungs in Liechtenstein 
konnte man es sich dann aber sehr 
schnell leisten, dass der Mann für 
die Erwerbsarbeit und die Frau für 
Haushalt und Kinder zuständig wa- 
ren. Man orientierte sich also schon 
länger am bürgerlichen Ideal, von ei- 
ner Mehrheit gelebt wurde es aber in 
Europa in den 1950er- und 60er-Jah- 
ren, in Liechtenstein vielleicht et- 
was später, dafür aber auch ein biss- 
chen länger. 
Welche geschichtlichen Ereignisse 
waren denn wichtig für die Gleich- 
berechtigung? 
Die 1960er- und 70er-Jahre brachten 
in Liechtenstein einen Aufbruch 
und eine Aufweichung der bürgerli- 
chen Ideologie, indem Frauen auf 
den Arbeits- 
markt strömten, 
obwohl die Er- 
werbsarbeit mit 
ihrer Rolle in 
Konflikt stand. 
Die Erwerbstä- 
tigkeit von Frau- 
en – auch von 
verheirateten – 
stieg in dieser Zeit massiv. Den 
nächsten grossen Wandel in Liech- 
tenstein brachten die 80er- und 
90er-Jahre, in denen die politische 
Gleichstellung, und Ende der 90er- 
Jahre auch die rechtliche Gleichstel- 
lung umgesetzt wurde. 
Ein wesentlicher Schritt in Richtung 
Gleichberechtigung war sicher auch 
die Einführung des Frauenstimm- 
rechts. Aber haben sich damit auch 
die Rollenbilder aufgeweicht? 
Ja, aufgeweicht schon, aber das Ge- 
schlechterverhältnis hat sich vor al- 
lem rechtlich geändert. Rechtlich ist 
die Dominanz und Vormachtstel- 
lung des Mannes abgeschafft wor- 
den und durch eine grundsätzliche 
Gleichstellung der Geschlechter er- 
setzt worden. In Bezug auf die ge- 
schlechtsspezifische Arbeitsteilung 
hat sich nur auf der einen Seite et- 
was geändert. Die Arbeitsteilung, in 
der Frauen die unbezahlte Haus- 
und Betreuungsarbeit zugeordnet 
wird, ist bis heute kaum aufgebro- 
chen. Das bringt eine Schieflage mit 
sich: Frauen sind zwar in die Er- 
werbstätigkeit vorgestossen, recht- 
lich und politisch gleichberechtigt, 
aber auf der anderen Seite immer 
noch mehrheitlich für die Betreu- 
ungsarbeit zuständig. Das behindert 
die Gleichberechtigung. Darum 
muss man bei den Rollenbildern an- 
setzen. Historisch zeigt sich, dass 
Rollenbilder stark mit sozialer Un- 
gleichheit verbunden sind. Diese Un- 
gleichheiten gilt es zu erkennen und 
abzuschaffen. 
Oft ist es gar nicht so leicht, zu er- 
kennen, was der Sozialisation ge- 
schuldet ist und was nun tatsächlich 
naturgegeben ist, so fest haben sich 
die sozialen Geschlechter in den 
Köpfen verankert. 
Rollenbilder sind für unsere Identi- 
tät wichtig. Problematisch sind sie 
nur dort, wo sie mit Einschränkun- 
gen und Minderbewertung verbun- 
den sind und Un- 
gleichheit legiti- 
mieren. Es geht 
darum, die Rol- 
lenbilder kri- 
tisch zu hinter- 
fragen und dar- 
auf hinzuwir- 
ken, dass sie of- 
fen sind und in- 
dividuelle Entfaltung ermöglichen. 
Es ist mehr Sensibilisierung nötig für 
das, was an Bewertung mit dem sozi- 
alen Geschlecht verbunden wird. 
Wie weit ist Liechtenstein noch von 
der Gleichberechtigung zwischen 
Frau und Mann entfernt? 
Die rechtliche Gleichstellung ist er- 
reicht. Die grossen Herausforderun- 
gen liegen bei der   Arbeitsteilung. 
Für eine wirkliche Gleichberechti- 
gung muss die unbezahlte Arbeit an- 
ders verteilt werden. Männer und 
Frauen müssen dafür gleichermas- 
sen zuständig sein. Erst dann kann 
Gleichberechtigung wirklich so um- 
gesetzt werden, dass sie auch Chan- 
cengleichheit im Erwerbsleben, im 
politischen Leben, im gesellschaftli- 
chen Leben mit sich bringt. 
Heeb-Fleck: «Rollenbilder sind stark 
mit sozialer Ungleichheit verbunden» 
Interview Die Historikerin Claudia Heeb-Fleck geht in einem Vortrag der Frage nach, wie sich Rollenbilder und das 
Geschlechterverhältnis zwischen Mann und Frau in Liechtenstein im Laufe der letzten Jahrhunderte verändert hat. 
VORTRAG 
Claudia Heeb-Fleck hält am Don- 
nerstag, 11. April, um 19 Uhr im SAL 
in Schaan einen Vortrag zum Thema 
«Frau und Mann». Die Historikerin 
geht dabei unter anderem den Fra- 
gen nach, wie die Geschlechterrollen 
in Liechtenstein definiert wurden 
und wie sich das Geschlechterver- 
hältnis zwischen Mann und Frau im 
Laufe der letzten zwei- bis dreihun- 
dert Jahre in Liechtenstein verän- 
dert hat. Der Vortrag findet im Rah- 
men der Reihe «Gestern – Heute – 
Morgen: Perspektiven auf Liechten- 
stein» des Liechtenstein-Instituts 
statt. Der Eintritt ist frei. 
Weitere Informationen unter www. 
liechtenstein-institut.li. 
«Der Blick in die Geschichte zeigt, dass Geschlechterrollen nichts Konstantes, Naturgegebenes sind», betont Claudia Heeb- 
Fleck. In einem Vortrag am 11. April wird die Historikerin dies näher aufzeigen. (Foto: Lucia Kind) 
«Die Genderforschung 
negiert die Unterschiede 
zwischen Männern und 
Frauen nicht.» 
«Die Arbeitsteilung, 
in der Frauen die unbezahlte 
Haus- und Betreuungsarbeit 
zugeordnet wird, ist bis 
heute kaum aufgebrochen.» 
www.kleininserate.li 
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Junge FBP 
Vorstandswahlen 
Wann 
6. April, 18 Uhr 
Wo 
Weinstube Nendeln 
Was 
Die Junge FBP wählt einen 
neuen Vorstand. Dazu sind al- 
le Mitglieder herzlichst einge- 
laden. Für Speis und Trank 
wird gesorgt. Anmeldung per 
E-Mail an junge@fbp.li. 
FBP Schaan, Planken 
11. FBP-Senioren-Treff 
der Orts gruppen Schaan 
und Planken 
Wann 
Montag, 8. April, 18.30 Uhr 
Wo 
Domus, Schaan 
Themen 
  Die Zukunft unseres 
Landesspitals. 
  Rückblick auf die Gemein- 
dewahlen in unseren Ge- 
meinden. 
Gast 
Dr. Mauro Pedrazzini, 
Regierungsrat 
FBP 
Parteitag 
Wann 
Dienstag, 9. April, 19 Uhr 
Wo 
Gemeindesaal Eschen 
Treffpunkte der FBP- 
Ortsgruppen am 
Wahlsonntag, 2. Wahlgang, 
14. April 2019 
FBP Triesen 
13.30 Uhr, Gasthaus Linde 
FBP Vaduz 
13 Uhr, Restaurant Luce 
FBP Eschen-Nendeln 
13 Uhr, Restaurant Fago 
FBP Schaan 
«Einblick in ...» Raum- 
entwicklung Liechtenstein 
Wann 
Dienstag, 7. Mai, 19 Uhr 
Wo 
SAL, Schaan 
Was 
Gestalten statt nur geschehen 
lassen – Die neue Studie der 
Stiftung Zukunft.li: Wir laden 
euch zu unserer Informati- 
onsveranstaltung ein. «Ein- 
blick in ...» ist eine Veranstal- 
tungsreihe über Strategien in 
unserer Gemeinde und Liech- 
tenstein, um künftige Ent- 
wicklungen zu gestalten. Un- 
ser Referent: Peter Beck, Stif- 
tung Zukunft.li. 
Kontakt 
E-Mail: info@fbp.li 
Internet: www.fbp.li 
LIECHTENSTEIN FBP-TERMINE
	        

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