Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2013)

  Hintergrund | 21 
MITTWOCH 
12. JUNI 2013 
(Foto: RM) 
VON MEHDI KHALAJI * 
Der 
bevorzugte Nachfolger 
des iranischen Präsidenten 
Mahmud Ahmadined- 
schad, Esfandiar Rahim 
Mashai, wird bei der Wahl am 14. 
Juni nicht kandidieren. Gleiches 
gilt für den ehemaligen Präsidenten 
Akbar Haschemi Rafsandschani. 
Die Nichtzulassung der beiden ist 
eine deutliche Botschaft des Obers- 
ten Rechtsgelehrten, Ayatollah Ali 
Hosseini Khamenei. Einfach ausge- 
drückt: Khamenei wird keine Minde- 
rung seiner Macht hinnehmen, und 
er ist entschlossen, jene Art von Rei- 
bungen zu vermeiden, die seine Be- 
ziehungen zu früheren Präsidenten 
geprägt haben, insbesondere zu 
Ahmadinedschad. 
Zweigleisige politische Struktur 
Die Nichtzulassung von Mashai und 
Rafsandschani zeigt einmal mehr 
das durch die zweigleisige Exekutive 
aus Oberstem 
Rechtsgelehrten 
und Präsidenten 
im Herzen der po- 
litischen Struktur 
Irans eingebettete 
Schisma. Als Kha- 
menei 2009 Ahmadinedschads kont- 
roverse Wiederwahl unterstützte, 
hätte niemand die beispiellosen 
Spannungen vorhersagen können, 
die in der Folge zwischen den bei- 
den wichtigsten Autoritäten des Lan- 
des aufkommen sollten. 
Doch die Unterstützung Ahmadi- 
nedschads erwies sich für Khamenei 
– und für die Islamische Republik – 
als teure Entscheidung. Statt sich 
wie erwartet an Khamenei anzuleh- 
nen, begann Ahmadinedschad, eine 
nationalistische, klerusfeindliche 
Agenda zu verfolgen. Er nutzte dabei 
faktisch Khameneis Ressourcen, um 
die Autorität des Obersten Rechtsge- 
lehrten herauszufordern und sich 
sein eigenes wirtschaftliches Netz- 
werk und seine eigene Einflusssphä- 
re zu schaffen. 
Während der letzten vier Jahre hat 
Ahmadinedschad wiederholt ver- 
sucht, die Kontrolle der herrschen- 
den Kleriker über politische und 
strategische Entscheidungen zu un- 
tergraben. Im Jahre 2011 versuchte 
er, Heider Moslehi, einen Verbünde- 
ten Khameneis, als Geheimdienst- 
chef zu entlassen, scheiterte damit 
jedoch schnell. Er verringerte zu- 
dem die bestimmten religiösen Ein- 
richtungen zugehenden Geldmittel 
und half jenen in seinem Zirkel, pri- 
vate Banken zu gründen, indem er 
die entsprechenden Regeln lockerte. 
Und er hat die mächtigste wirt- 
schaftliche und militärische Institu- 
tion des Iran, das Korps der Islami- 
schen Revolutionsgarden (IRGC), he- 
rausgefordert. Doch mit zunehmen- 
den Differenzen zwischen Khamenei 
und Ahmadinedschad hat der Präsi- 
dent deutlich an Unterstützung ver- 
loren, und selbst 
staatseigene Me- 
dien haben Ahma- 
dinedschads An- 
hänger als «Kreis 
von Abweichlern» 
bezeichnet. Und 
nichtstaatliche Medien kritisieren 
anders als während seiner ersten 
Amtszeit Ahmadinedschads wirt- 
schaftliche und politische Agenda 
jetzt öffentlich. 
Destabilisierung weiterführen 
Angesichts des in Kürze anstehenden 
Endes von Ahmadinedschads zweiter 
und letzter Amtszeit scheint es un- 
wahrscheinlich, dass der in Ungnade 
gefallene, unbeliebte Präsident seine 
Versuche der Destabilisierung des 
herrschenden Establishments Irans 
aufgeben wird. Tatsächlich hatte er 
Mashai schon lange als seinen Nach- 
folger gefördert, doch Khamenei 
schränkte ihn in seinen ungesetzli- 
chen Bemühungen ein – und hat Mas- 
hais Kandidatur jetzt gänzlich ge- 
stoppt. Mashai ist eine der kontrover- 
sesten Persönlich- 
keiten Irans. Un- 
ter konservativen 
Führern wird er 
wegen seiner re- 
formistischen, kle- 
rusfeindlichen An- 
sichten weithin geschmäht. Im Jahre 
2009, nachdem Khamenei Ahmadi- 
nedschads Entscheidung, Mashai zu 
seinem Ersten Stellvertreter zu er- 
nennen, abgelehnt hatte, ernannte 
ihn Ahmadinedschad dreist zum 
Stabschef – ein Schritt, der Khamenei 
aufs Äusserste erboste. 
Mit Führung überworfen 
Ahmadinedschad ist nicht der erste 
hochrangige Funktionsträger, der 
den Obersten Rechtsgelehrten her- 
ausgefordert hat. Grossayatollah Hos- 
sein Ali Montazeri, einer der hoch- 
rangigsten iranischen Kleriker, wäre 
selbst Oberster Rechtsgelehrter ge- 
worden, wenn er sich nicht mit Gross- 
ayatollah Ruhollah Khomeini, dem 
Gründer der Islamischen Republik, 
wenige Monate vor dessen Tode 
überworfen hätte. Montazeri, eine 
der einflussreichsten Persönlichkei- 
ten im Iran während des ersten Jahr- 
zehnts der Republik, verfasste eine 
umfassende Rechtfertigung für die 
absolute Autorität des Obersten 
Rechtsgelehrten, die viele Ayatollahs 
als ketzerisch betrachteten. Doch er 
begann rasch, die Hardliner in der 
Führung der Islamischen Republik 
herauszufordern – und tat dies bis zu 
seinem Tod im Jahr 2009. 
Montazeri, dessen Status als Grossa- 
yatollah (der höchste Rang unter 
schiitischen Theologen) ihm mehr re- 
ligiöse Autorität verlieh als Kha- 
menei, stellte Khameneis Qualifikati- 
onen zur Ausgabe von Fatwas (isla- 
mischen religiösen Entscheidungen) 
und zur Nachfolge Khomeinis als 
Oberster Rechtsgelehrter infrage. 
Montazeri wurde sechs Jahre unter 
Hausarrest gestellt; Demonstrationen 
zu seiner Unter- 
stützung wurden 
unterdrückt, und 
viele seiner An- 
hänger und engen 
Freunde wurden 
inhaftiert, gefol- 
tert, ermordet oder gezwungen, aus 
dem Lande zu fliehen. 
In ähnlicher Weise überwarf sich 
Abulhassan Banisadr, der erste Prä- 
sident der Islamischen Republik, mit 
Khomeini über die Teilung der Auto- 
rität. Nach nur einjähriger Amtszeit 
wurde 1981 ein Enthebungsverfah- 
ren gegen ihn eingeleitet, und er 
floh nach Frankreich, wo er heute 
noch lebt. Gewaltsame Strassen- 
kämpfe zwischen den Anhängern 
und Gegnern Banisadrs führten zu 
Toten auf beiden Seiten. 
Zahlreiche Parallelen 
Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen 
Ahmadinedschads Geschichte und 
der Banisadrs. Beide waren vor ih- 
rer Präsidentschaft relativ unbe- 
kannt; beide waren, um an die 
Macht zu kommen, von der Unter- 
stützung des Obersten Rechtsgelehr- 
ten abhängig, und beide verloren 
diese Unterstützung allmählich, als 
sie versuchten, den 
Einfluss von Kle- 
rushierarchie und 
IRGC zurückzu- 
drängen. Vor allem 
scheiterten beide 
bei dem Versuch, 
eine externe Organisation zu errich- 
ten, auf die sie sich verlassen konn- 
ten, falls der Schutz ihres Amtes 
nicht ausreichen sollte. 
Die Tatsache, dass Ahmadinedschad 
seine gesamte zweite Amtszeit ab- 
leisten durfte – ein Ergebnis, das die 
Medien oft angezweifelt hatten – 
zeigt, wie wichtig es Khamenei ist, 
das Bild eines stabilen Irans zu wah- 
ren. Doch um dieses Ziel zu errei- 
chen, muss Khamenei Ahmadined- 
schads Unberechenbarkeit im Blick 
behalten. 
Konfrontation möglich 
Da er nichts mehr zu verlieren hat, 
könnte sich Ahmadinedschad ent- 
schliessen, die Islamische Republik 
zu destabilisieren, falls er dies für 
sein Überleben als wichtig erachtet. 
Tatsächlich dürfte sich Ahmadined- 
schads Groll nun, da der Wächterrat 
Mashai von der Kandidatur ausge- 
schlossen hat, etwa dadurch mani- 
festieren, dass er vor und nach der 
Wahl Informationen über Korrupti- 
on auf höherer Ebene öffentlich 
macht. Er könnte sich Khamenei 
auch direkt entgegenstellen und sich 
selbst als patriotische, klerusfeindli- 
che Persönlichkeit darstellen. Doch 
ein derartiger Ansatz wäre gefähr- 
lich und könnte Ahmadinedschad 
sogar das Leben kosten. 
Die Streitigkeiten zwischen den ver- 
schiedenen Gruppen, die die Politik 
im Iran schon so lange lähmen, dürf- 
ten sich nach der Wahl fortsetzen. 
Doch das Patt in Bezug auf die Nukle- 
arpolitik des Landes könnte ernste 
Folgen haben. Tatsächlich könnte 
das Fehlen einer starken, geeinten 
Regierung, die imstande ist, einen 
Konsens herbeizu- 
führen, es selbst 
Khamenei unmög- 
lich machen, Kurs 
zu ändern, und 
dem Iran keine Al- 
ternative lassen, als 
seine diplomatische Konfrontation 
mit dem Westen fortzusetzen. 
*  Mehdi Khalaji ist Senior Fellow am Washing- 
ton Institute for Near East Policy. 
Aus dem Englischen von Jan Doolan. 
Copyright: Project Syndicate, 2013. 
www.project-syndicate.org 
Nach Ahmadinedschad 
Vor der Abdankung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad zeichnet sich im Iran ein Konflikt zwischen ihm und der religiösen Führung ab. Auch 
nach der Wahl dürften sich die innenpolitischen Spannungen fortsetzen – mit fatalen Folgen für die Atomverhandlungen mit dem Westen. 
«Die Unterstützung 
Ahmadinedschads erwies 
sich für Khamenei als 
teure Entscheidung.» 
«Ahmadinedschad 
hat wiederholt versucht, 
die Kontrolle der Kleriker 
zu untergraben.» 
«Khamenei muss 
Ahmadinedschads 
Unberechenbarkeit 
im Blick behalten.»
	        

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