Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2013)

4 | Inland 
Schwerpunkt Auftakt zur Verkehrswoche 
Verling: «Es ist nur eine 
Frage der Zeit, bis das 
Verkehrssystem voll ist» 
Interview Markus Verling, Leiter des Amts für Bau und Infrastruktur (ABI), und Philipp 
Patsch, Abteilungsleiter Tiefbau, geben einen Überblick zu Problemen und Entschärfungsva- 
rianten im Verkehrsbereich. Sie sind sich einig: Das Strassensystem Liechtensteins stösst in 
absehbarer Zeit an seine Grenzen, eine Verlagerung ist unumgänglich. 
INTERVIEW: MARTIN HASLER 
FOTO: MICHAEL ZANGHELLINI 
«Volksblatt»: Die Rheinübergänge 
sind gemäss einer kürzlich erschie- 
nenen Studie überlastet, der Gross- 
kreisel in Schaan wird trotz Indust- 
riezubringer bald an seine Grenzen 
stossen, der Verkehr nimmt stetig zu 
– hat Liechtenstein ein Verkehrs- 
problem? 
Markus Verling: Grundsätzlich 
kann man das so nicht generell sa- 
gen, man muss differenzieren – wir 
haben kein Problem von morgens 
bis abends, 365 Tage im Jahr. Ein 
Problem haben wir aber in den Spit- 
zenzeiten morgens und abends vor 
allem mit dem inländischen und 
grenzüberschreitenden Pendlerver- 
kehr, was sich besonders an den 
Rheinübergängen manifestiert; des- 
halb wurden in diesem Bereich nun 
auch Massnahmen eingeleitet. 
Eine aktuelle Studie zeigt, dass die 
Probleme vor allem bei den Über- 
gänge in Vaduz–Sevelen und Ben- 
dern–Haag bestehen, die in den Spit- 
zenstunden jeweils ein Aufkommen 
von über 2000 Fahrzeugen abwi- 
ckeln müssen. Diese Zahlen waren 
der Anlass dafür, zu fragen: Was 
kann man organisatorisch und bau- 
lich optimieren? Dabei konnte nach- 
gewiesen werden, dass die Kapazität 
dieser Übergänge mittelfristig an ih- 
re Grenzen stossen. Die Handlungs- 
möglichkeiten sind begrenzt, vor al- 
lem, weil uns bei den Autobahnan- 
schlüssen die Hände gebunden sind. 
Bauliche Massnahmen sollten zu- 
dem immer die letzte Möglichkeit 
sein, deshalb gilt es vorderhand, das 
Verkehrssystem betrieblich zu opti- 
mieren und den 
Umstieg auf den 
ÖV und den Fahr- 
rad- und Fussver- 
kehr zu fördern. 
Philipp Patsch: 
Uns muss bewusst 
sein, dass die Au- 
tobahnanschluss- 
knoten in absehbarer Zeit an ihre 
Grenzen stossen werden, was uns 
den Zugang zur Autobahn erschwert. 
Unsere Verkehrszähldaten zeigen, 
dass die Zuwachsraten hoch sind. 
Wenn die Autobahn als Hochleis- 
tungsstrasse aufgrund der Überlas- 
tung der Anschlussknoten nicht 
mehr funktioniert, wird das massive 
Konsequenzen auf das ganze Ver- 
kehrsnetz Liechtensteins haben. Die 
Autobahn ist bei uns nicht nur eine 
Fernverkehrsstrecke, sondern ent- 
lastet als Umfahrungsstrasse auch 
den Binnenverkehr massiv. Funktio- 
niert diese Entlastungswirkung für 
den Binnenverkehr nicht mehr aus- 
reichend, wird das sehr schnell gra- 
vierende Probleme nach sich ziehen. 
Deshalb müssen wir den Fokus auf 
das gesamte Verkehrssystem legen – 
einerseits auf Optimierungen, ande- 
rerseits auf Alternativen. 
Verling: Beim Grosskreisel Schaan 
war uns von Beginn an klar, dass wir 
eine maximale Kapazitätsreserve von 
20 Prozent haben – bei einem jährli- 
chen Verkehrswachstum von 2 Pro- 
zent ist diese in rund 10 Jahren ausge- 
schöpft. Optimierungen lassen sich 
nur noch beim Durchfluss verbun- 
den mit einer verbesserten gegensei- 
tigen Rücksichtnahme der Verkehrs- 
teilnehmer erreichen. Wenn aber die 
Gemeinde Schaan nun auf den Quar- 
tierstrassen Massnahmen umsetzen 
will, die den Verkehr massiv in Rich- 
tung der Landstrassen zurückverla- 
gert, dann wird die Überlastung des 
Zentrums um einiges früher der Fall 
sein: Sollte die harte Massnahme um- 
gesetzt werden, ganze Quartierstras- 
sen zu sperren, wird die Kapazitäts- 
grenze des Grosskreisels noch deut- 
lich früher erreicht. 
Mit den langen Vorlaufzeiten im Ver- 
kehrsbereich muss also schon bald 
über Lösungen 
nachgedacht wer- 
den. 
Patsch: Man 
muss sehen, dass 
ein Horizont von 
zehn Jahren für 
ein Infrastruk- 
turprojekt nicht 
wirklich viel ist: Diese Zeit geht sehr 
schnell vorbei. Wenn wir ein entste- 
hendes Problem sehen, dann müs- 
sen wir jetzt handeln, da Infrastruk- 
turmassnahmen eine Vorlaufzeit 
von mindestens fünf, wahrscheinli- 
cher aber von zehn Jahren haben – 
sonst sind wir deutlich zu spät dran. 
Verling: Das sieht man gut am In- 
dustriezubringer Schaan: Als ich 
2002 zum Tiefbauamt gekommen 
bin, haben wir das Projekt gerade 
übernommen – in diesem Jahr wird 
er eröffnet. Und davor wurden schon 
in der Gemeinde 20 Jahre lang Dis- 
kussionen geführt. Von der Umwelt- 
verträglichkeitsprüfung mit allen 
Gerichtsverfahren über den Land- 
tagsentscheid bis zum Referendum: 
Diese 1,4 Kilometer lange Strasse 
brauchte für diesen Weg über 10 Jah- 
re. Dementspre- 
chend müssen wir 
heute schon über 
die Situation im 
Schaaner Zent- 
rum nachdenken 
– denn darauf hat 
der Industriezu- 
bringer nur einen 
geringen Effekt. Er hat primär zwei 
Ziele: Einerseits die Entlastung der 
Wohnquartiere vom Schleichver- 
kehr, der in das Industriegebiet 
muss. Andererseits die Entlastung 
des Grosskreisels vom Schwerver- 
kehr – das gibt eine gewisse Entlas- 
tung für das Zentrum, aber quantita- 
tiv ist der Effekt allein für das Zent- 
rum nicht sehr gross. 
Mit den Rheinübergängen und dem 
Schaaner Zentrum sind schon zwei 
wichtige Themen angesprochen. Wo 
sehen Sie derzeit innerhalb des 
liechtensteinischen Strassennetzes 
weitere Baustellen? 
Patsch: Da sind drei Punkte zu nen- 
nen: Erstens das Verkehrssystem bei 
der Rheinbrücke in Bendern mit sei- 
nen zwei Kreiseln, das in seiner jet- 
zigen Konstellation am Limit ist – da 
müssen wir Massnahmen setzen. 
Zweitens der Knoten bei der Rhein- 
brücke Vaduz – vom Autobahnan- 
schluss über die Abzweigung nach 
Triesen bis zum Kreisel in Richtung 
Vaduz. Drittens die Engelkreuzung 
in Nendeln, wo wir in Kombination 
mit dem Bahnübergang Probleme 
haben. Diese müssen wir entflech- 
ten und die Bahnquerung niveaufrei 
gestalten. 
Verling: Die Notwendigkeit dieser 
Unterführung sehen wir unabhängig 
vom S-Bahn-Projekt. Sie ist ein Be- 
dürfnis des MIV genauso wie des ÖV 
und gibt Nendeln die Möglichkeit zu 
einer aktiven Zentrumsgestaltung 
und Entlastung der Quartiere vom 
Schleichverkehr. 
In der Vergangenheit haben Um- 
weltverbände oft kritisiert, dass im 
liechtensteinischen Verkehrswesen 
eine umfassende Strategie fehlt. Im 
2008 veröffentlichten Mobilitäts- 
konzept wurde dies erstmals ver- 
sucht. Wie be- 
werten Sie den 
Erfolg dieses 
Konzepts? 
Patsch: Damit 
hatten wir tat- 
sächlich zum ers- 
ten Mal ein Kon- 
zept und eine 
Strategie darüber, wie sich unser 
Verkehrssystem entwickeln soll. 
Diese wurde unter Einbindung ver- 
schiedener Interessengruppen so- 
wie den Gemeinden ausgearbeitet 
und ist abgestimmt mit dem Agglo- 
merationsprogramm Werdenberg– 
Liechtenstein sowie der Gesamtver- 
kehrsplanung Feldkirch. In den ver- 
gangenen Jahren wurden viele im 
Konzept vorgesehene Massnahmen 
umgesetzt – unter anderem einige 
Radwege und -verbindungen. Im ÖV 
wurde die Busspur zwischen Vaduz 
und Triesen realisiert, alle Lichtsig- 
nale haben neu ein Busbeeinflus- 
sungssystem; das S-Bahn-Projekt, 
das sehr zentral für die Verkehrsent- 
wicklung des Landes ist, ist ausser- 
dem sehr weit vorangekommen. 
Verling: Das Konzept trägt den Titel 
«Mobiles Liechtenstein 2015», da 
kommt man irgendwann auch an ei- 
nen Punkt, an dem man über weite- 
re Schritte nachdenken und ein neu- 
es Konzept mit einem weiteren Zeit- 
horizont entwickeln muss. Das wäre 
aus unserer Sicht eine wichtige Auf- 
gabe für die neue Regierung, die zu 
Beginn der Legislatur diesen Pro- 
zess noch einmal aufrollen und fra- 
gen sollte: Wie weiter nach 2015? 
Wir sind überzeugt, dass das Mobili- 
tätskonzept ein gutes Instrument für 
die Verkehrsplanung ist – diesen 
Prozess sollte man unbedingt wei- 
terführen. 
Bei der Präsentation der bereits an- 
gesprochenen Studie über die 
Rheinübergänge fiel ein Satz, der 
aufhorchen liess: Angesichts des 
steigenden Verkehrsaufkommens 
seien die vorgeschlagenen Massnah- 
men reine Kosmetik, ohne vermehr- 
ten Umstieg auf den ÖV sei der Ver- 
kehrskollaps unvermeidbar. Wie 
lässt sich das verhindern? 
Verling: Wenn man das derzeitige 
Verkehrsaufkommen in Kombinati- 
on mit dem prognostizierten Wachs- 
tum und den Reserven im Verkehrs- 
system ansieht, ist es nur eine Frage 
der Zeit, bis es voll ist. Und dann ist 
auch mit grossen Investitionen 
nichts mehr zu machen – uns sind 
die Hände gebunden. Eine Gegen- 
massnahme ist das im Agglomerati- 
onsprogramm postulierte Kaska- 
densystem. Dieses sieht erstens vor, 
Verkehr möglichst zu vermeiden, in- 
dem die Siedlungen nach innen ver- 
dichtet werden, sodass viele Wege 
zu Fuss oder mit dem Rad zurückge- 
legt werden können. Zweitens die 
weitgehende Verlagerung des MIV 
auf ÖV oder Langsamverkehr. Und 
drittens die Entlastung der Zentren 
sowie ihre gleichzeitig attraktive 
Ausgestaltung. 
Das war auch bei den Rheinübergän- 
gen klar: Wir können nicht einfach 
isoliert den MIV betrachten, son- 
dern wir müssen das gesamte Ver- 
kehrssystem mit in unsere Überle- 
gungen einbinden. Gleichzeitig müs- 
sen wir den Verkehrsverlauf lokal 
verbessern, wo dies möglich ist – es 
geht aber nicht darum, neue Stras- 
sen zu bauen, sondern um lokale 
Optimierungen. 
Patsch: Tatsache ist, dass das Stra- 
ssensystem an den Rheinübergängen 
an seine Grenzen stösst – mehr kann 
an diesen Stellen nicht mehr abgewi- 
ckelt werden. Da wir aber zu den 
Hauptverkehrszeiten die Pendler ins 
Land holen müs- 
sen, gilt es dafür 
vor allem das 
Schienensystem 
zu nutzen. Vorarl- 
berg und St. Gal- 
len haben hier 
schon viel inves- 
tiert, nun liegt es 
an uns, diese vorhandenen Bahnsys- 
teme zu verknüpfen und auch für 
Liechtenstein zu nutzen. 
Herr Verling, Sie haben gerade et- 
was Interessantes gesagt: Es gehe 
nicht darum, neue Strassen zu bau- 
en. Da gibt es auch immer wieder 
Reibereien mit den Umweltverbän- 
den, die kritisieren, dass es über- 
haupt keine neuen Strassen geben 
dürfe, da diese Mehrverkehr erzeu- 
gen. Was sagen Sie in diesem Zusam- 
menhang zur Kritik am Vorgehen 
des TBA vonseiten der LGU und des 
VCL? 
Verling: Wir verfolgen schon seit 
Jahren einen generelleren Ansatz. 
Wir wollen nicht primär neue Stras- 
se bauen – aber es ist unsere Aufga- 
be, dafür zu sorgen, dass das gesam- 
te Verkehrssystem funktioniert. Und 
wenn man sich ansieht, was auf der 
Achse Triesen–Vaduz–Schaan ver- 
kehrlich passiert und welche Alter- 
nativen wir haben, dann sind wir 
zum Handeln aufgefordert. Um auf 
dieser Achse einen attraktiven ÖV 
anbieten zu können, muss man sich 
die möglichen Lösungen ansehen: 
Irgendwann ist die Landstrasse ein- 
fach voll. Das haben wir in Schaan 
mit dem Industriezubringer ge- 
macht, und die gleichen Überlegun- 
gen macht man sich derzeit auch für 
das Industriege- 
biet Triesen. 
Da muss man 
sich fragen, wie 
sinnvoll es ist, 
dass alle Autos 
und Lastwagen 
den Umweg über 
den Aukreisel 
und die Landstrasse nehmen, wenn 
es zwischen Rheinbrücke und Indus- 
triegebiet schon eine Achse gibt, die 
heute jedoch alles andere als opti- 
mal ist. Ist es nicht sinnvoll, diese 
Arbeitsplätze direkt mit der Auto- 
bahn zu verbinden? Wenn man die 
Verkehrszahlen nüchtern betrach- 
tet, ist nachvollziehbar, dass dort ei- 
ne Strassenverbindung geschaffen 
werden sollte: Wir gewinnen da- 
durch weniger Verkehr auf Zollstras- 
«Die Autobahnan- 
schlussknoten werden in 
absehbarer Zeit an ihre 
Grenzen stossen.» 
PHILIPP PATSCH 
FACHBEREICHSLEITER TIEFBAU 
«Wir brauchen eine 
Weiterentwicklung 
des Verkehrssystems 
durch die S-Bahn.» 
MARKUS VERLING 
LEITER ABI 
«Dank Investitionen 
in den ÖV haben wir 
jetzt ein sehr attraktives 
Bussystem.» 
PHILIPP PATSCH 
FACHBEREICHSLEITER TIEFBAU
	        

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