NACHRICHTEN
LÄNDER
ZEITUNG 2 3 MITTWOCH, 11. NOVEMBER 2009
«Weitere Forderungen stehen ins Haus»
Erbprinz Alois sieht zusätzliche Kontrollmechanismen und Forderungskataloge auf Liechtenstein zukommen
VADUZ – Erbprinz Alois warnt davor,
sich auf dem Erfolg auszuruhen. «Es
ist absehbar, dass nur der Abschluss
von zusätzlichen Abkommen gemäss
jetzigem OECD-Standard bald nicht
mehr ausreichen wird, weil diese
keine wirkliche Lösung des Problems
der Steuerhinterziehung bringen.»
• Michael Benvenuti
«Volksblatt»: Durchlaucht, mit der
Unterzeichnung der Abkommen mit
Belgien und den Niederlanden hat
Liechtenstein die Forderungen der
OECD erfüllt und wird demnächst
auf der weissen Liste aufscheinen.
Was bedeutet der Abschied von der
grauen Liste für Liechtenstein?
Welche positiven Auswirkungen hat
die weisse Liste für den Finanzplatz
konkret?
Erbprinz Alois: Der Wechsel von
der grauen auf die weisse Liste führt
zunächst einmal dazu, dass wir nicht
von jenen Sanktionsmassnahmen er-
fasst werden, die vor allen von einigen
der G-20-Staaten gegen sogenannte
unkooperative Steuerregime in Aus-
sicht gestellt werden. Dieser Listen-
wechsel hat aber auch positive Aus-
wirkungen, was die Bereitschaft von
ausländischen Unternehmen und Kun-
den betrifft, mit liechtensteinischen
Unternehmen in Geschäftsbezie-
hungen zu treten oder solche beizube-
halten. Schon seit einigen Jahren
mussten liechtensteinische Unterneh-
men immer wieder feststellen, dass sie
nur deshalb im Vergleich zu Konkur-
renten nicht zum Zuge kamen, weil sie
aus Liechtenstein kamen. Ihren Ge-
schäftspartnern wurde das Risiko, mit
eigenen Steuerbehörden oder anderen
Geschäftspartnern wegen ihrer Liech-
tenstein-Beziehung Schwierigkeiten
zu bekommen, zunehmend zu gross.
Eines der grössten Verkaufsargu-
mente des heimischen Finanzplatzes
in den vergangenen Jahrzehnten
war eben gerade das Nicht-Auf-
scheinen auf weissen Listen, sagen
Kritiker. Dieses Geschäftsmodell ist
nun nicht mehr möglich. Wie sehen
die Alternativen aus?
Viele Finanzdienstleister haben in
der Vergangenheit sich und den Fi-
nanzplatz vor allem mit dem Argu-
ment des starken Bankgeheimnisses
verkauft, insbesondere auch was Steu-
erfragen betrifft. Dies war einfach zu
kommunizieren und das Nicht-Auf-
scheinen auf weissen Listen hat die
Stärke des Bankgeheimnisses noch
unterstrichen bzw. dieses Argument
unterstützt.
Heute haben sich die internationa-
len Rahmenbedingungen grundlegend
geändert. Ein starker Schutz der Pri-
vatsphäre bleibt ein wichtiges Ver-
kaufsargument, denn wir können die-
sen nicht nur rechtlich, sondern auch
kulturell weiterhin auf einem ganz an-
deren Niveau anbieten als die meisten
Finanzplätze der Welt. Allerdings
sollten wir aus den Fehlern der Ver-
gangenheit lernen und nicht mehr zu
sehr auf ein einziges Verkaufsargu-
ment setzen.
Mindestens so attraktiv wie das
Bankgeheimnis ist gerade in diesen
unruhigen Zeiten die grosse politische
und wirtschaftliche Stabilität, die
Liechtenstein bieten kann. So gehören
wir unter anderem zu den wenigen
Staaten, die in diesem schwierigen
wirtschaftlichen Umfeld bei niedrigen
Steuern keine Staatsverschuldung ha-
ben. Hinzu kommt ein mittlerweile
sehr hohes Niveau der Dienstleis-
tungen unserer Finanzinstitute, das in
internationalen Vergleichen immer
wieder bestätigt wird. Schliesslich
sind wir ein besonders wirtschafts-
freundlicher Standort mit geringer Bü-
rokratie, der die Rahmenbedingungen
schnell zum Wohle seiner Bürger und
Standortnutzer anpasst.
Sie gelten gemeinsam mit dem
früheren Regierungschef Otmar
Hasler als Spiritus Rector der Vor-
wärtsstrategie und der daraus re-
sultierenden «Liechtenstein Dekla-
ration» vom 12. März 2009. Hat die
heutige Regierung Ihre Visionen
entsprechend umgesetzt, oder gibt
es noch zu erledigende Punkte?
Ein wichtiger Erfolg der «Liechten-
stein Deklaration» war, dass sie auf
Vorarbeiten im Rahmen des Projektes
Futuro aufbauend von einer breiten
Mehrheit aus Politik und Wirtschaft
getragen wurde. Dies hat nicht zuletzt
dazu geführt, dass wir uns bei der Um-
setzung grundsätzlich auf einem guten
Weg befinden. Die Neuausrichtung
des Finanzplatzes ist aber ein längerer
Prozess, der nicht innert weniger Mo-
nate umgesetzt werden kann. Wichtige
Schritte sind erfolgt, insbesondere
konnten in kurzer Zeit einige entschei-
dende Abkommen unterzeichnet wer-
den. Weitere Schritte werden noch ge-
setzt werden müssen, sowohl was
Steuerabkommen betrifft als auch was
innerstaatliche Massnahmen zur Neu-
ausrichtung des Finanzplatzes betrifft.
Viele dieser Massnahmen wurden be-
reits im Rahmen des Projekts Futuro
skizziert. Dazu gehören Reformen in
Bereichen wie Steuern, Staatsverwal-
tung und Weiterbildung der Finanz-
dienstleister.
Etliche Treuhänder sehen durch die
Regierungsstrategie ihre Branche in
Gefahr, fürchten den Wegfall Hun-
derter Stellen. Sind diese Ängste be-
gründet?
Die Treuhandbranche ist sehr hete-
rogen und dadurch sehr unterschied-
lich betroffen. Es gibt Treuhänder, die
von der Strategie profitieren, weil ihr
Geschäftsmodell schon weitgehend
den neuen Anforderungen entspricht
und die Änderungen neue Chancen er-
öffnen, insbesondere solche, die auf-
grund der bisherigen Reputation des
Finanzplatzes nur schwer ergreifbar
waren. Es wird aber auch Treuhänder
geben, die vor grossen Umstellungen
stehen, weil ihr bisheriges Geschäfts-
modell mit der Zeit auslaufen wird.
Wenn hier rechtzeitig durch Um-
schulungen, gezielte Rekrutierungen
von Spezialisten und geschäftliche Zu-
sammenschlüsse die nötigen Schritte
gesetzt werden, kann der Strukturwan-
del für die Arbeitskräfte im Finanzsek-
tor verhältnismässig glimpflich erfol-
gen. Wenn aber versucht wird, den
Strukturwandel durch staatliche Mass-
nahmen aufzuhalten oder zu verzögern,
kann es zu grösseren Problemen kom-
men. Die Erfahrung hat gezeigt, dass
durch staatliche Massnahmen ein
Strukturwandel auf längere Zeit nicht
aufgehalten werden kann, es aber dann
die davon betroffenen Sektoren viel
stärker trifft, als wenn sich diese gleich
dem Strukturwandel gestellt hätten.
Bleibt der Finanzplatz, trotz neuer
internationaler Spielregeln, für
Liechtenstein ein Wachstumsmarkt,
oder muss sich das Fürstentum
umorientieren – etwa in Richtung
Forschungs-, Innovations- und Bil-
dungsstandort?
Ich bin überzeugt, dass der Finanz-
platz ein Wachstumsmarkt bleiben
wird. Wir haben ja auch einige Be-
reiche des Finanzplatzes, die auch
während der letzten Monate weiter ge-
wachsen sind, wie der Versicherungs-,
der Anlagefonds- und der Pensions-
fondsbereich. Eine Umorientierung
wird ein Wachstum in diesen Be-
reichen sogar erleichtern. Aber auch
für das Treuhandgeschäft und das Pri-
vate Banking sehe ich Wachstums-
chancen, allerdings nur dort, wo man
die Geschäftsmodelle den neuen Spiel-
regeln angepasst hat. Ein Setzen auf
Forschung, Innovation und Bildung
sehe ich nicht als eine Umorientie-
rung, sondern halte diese Themen für
alle Bereiche der Wirtschaft ganz
grundsätzlich für entscheidend, für die
Industrie wie auch das Gewerbe und
den Finanzplatz. Der Finanzplatz wird
sich aber am Beispiel der Industrie
orientieren und in Zukunft teilweise
mehr in Forschung, Innovation und
Bildung investieren müssen.
Welche Konsequenzen hätten ge-
droht, wenn sich Liechtenstein dem
internationalen Druck nicht gebeugt
und keine OECD-konformen Mus-
terabkommen geschlossen hätte?
Die liechtensteinischen Unterneh-
men hätten ihre ausländischen Ge-
schäftspartner verloren. Dies wäre nicht
nur für die Industrie ein grosses Pro-
blem gewesen, sondern letztlich auch
für die Finanzdienstleistungsunterneh-
men. Vielleicht wären einige undekla-
rierte Gelder nach Liechtenstein ge-
flossen, was möglicherweise kurzfris-
tig zu Nettozuflüssen anstelle von Net-
toabflüssen von Kundengeldern ge-
führt hätte. Aber selbst diesbezüglich
bin ich skeptisch, denn für diese Kun-
dengelder sind wir aufgrund unserer
starken Integration in Europa schon
länger nicht der attraktivste Platz.
Ist die weisse OECD-Liste erst der
Anfang von internationalen Kon-
trollmechanismen, stehen Liechten-
stein weitere zu erfüllende Forde-
rungskataloge ins Haus?
Es ist absehbar, dass 12 OECD-kon-
forme Steuerabkommen bald nicht
mehr ausreichen werden und somit
weitere Forderungskataloge ins Haus
stehen. Entsprechende Äusserungen
sind auf verschiedenster Ebene bereits
gemacht worden, selbst von Vertretern
jener Staaten, die auf der grauen Liste
standen, wie z. B. auch der Schweiz.
Ganz konkret kommen auf uns
das Betrugsabkommen mit
der EU und die Neuverhand-
lung des Zinsertragsbesteu-
erungsabkommens zu.
Es ist auch absehbar,
dass nur der Abschluss
von zusätzlichen Ab-
kommen gemäss jet-
zigem OECD-Stan-
dard bald nicht mehr
ausreichen wird, weil
diese keine wirkliche
Lösung des Problems der
Steuerhinterziehung
bringen. Darauf haben wir bereits in
der «Liechtenstein Erklärung» vom
12. März hingewiesen. Ich halte es
deshalb für sehr wichtig, dass wir
möglichst bald durch den Abschluss
von entsprechenden Abkommen un-
seren Kunden und Unternehmen Rah-
menbedingungen bieten können, die
einerseits weiterhin einen starken
Schutz der Privatsphäre bieten, ande-
rerseits aber nachhaltige Lösungen
hinsichtlich des Problems der Steuer-
hinterziehung bringen. Nur so schaf-
fen wir schnell wieder die für jedes
Wirtschaften so wichtige langfristige
Rechtssicherheit und Planbarkeit.
Wo sehen Sie den heimischen Wirt-
schafts- und Finanzstandort in zehn
Jahren?
Liechtenstein bleibt ein sehr attrak-
tiver Wirtschaftsstandort aufgrund sei-
ner Stabilität, der gut ausgebildeten
Bevölkerung und der kurzen Wege
zwischen Staat und Wirtschaft, die für
ausgezeichnete Rahmenbedingungen
sorgen. Davon profitiert auch weiter-
hin der Finanzplatz. Da dieser heute
recht breit aufgestellt ist
und neben dem Bank-
geheimnis genü-
gend andere At-
traktivitäten an-
bieten kann, bin
ich nicht nur für
den Wirtschafts-
standort im Allge-
meinen, sondern
auch für den Fi-
nanzplatz auf einen
10-Jahre-Horizont
hin sehr zuversicht-
lich.
«VOLKSBLATT»-INTERVIEW: ERBPRINZ ALOIS ÜBER DIE AUSWIRKUNGEN DER FL-ABKOMMENSSTRATEGIE
Abkommen mit OECD-Mitglied Art des Abkommens Datum
Niederlande ja TIEA 10. 11. 2009
Belgien ja TIEA 10. 11. 2009
Irland ja TIEA 13. 10. 2009
St. Vincent and the Grenadines nein TIEA 02. 10. 2009
San Marino nein DBA 23. 09. 2009
Frankreich ja TIEA 22. 09. 2009
Monaco nein TIEA 21. 09. 2009
Andorra nein TIEA 18. 09. 2009
Deutschland ja TIEA 02. 09. 2009
Luxemburg ja DBA 26. 08. 2009
Grossbritannien ja TIEA & Offenlegungs-Option 11. 08. 2009
Vereinigte Staaten von Amerika ja TIEA 08. 12. 2008
Legende:
TIEA Tax Information Exchange Agreement
DBA Doppelbesteuerungsabkommen
OECD-Standard: Bezieht sich auf den 2002
von der OECD verabschiedeten Mustervertrag
zum Steuerinformationsaustausch
Grafik: Volksblatt/Benvenuti
Liechtensteins Abkommen
im Überblick
FOTO
MAURICE SHOUROT