THEMA
VOLKSBLATT
7 DONNERSTAG, 9. JULI 2009
«Z‘Amerika dahäm»
Ein pedantischer Balzner im prüden Amerika – Fast 10 000 Kilometer weg von daheim
SCHAAN – Seit über 20 Jahren
lebt der Balzner Twain Frick nun
schon in Kalifornien. Er hat es bis
zum Mikrochip-Designer ge-
schafft und kann seine Mitarbei-
ter schocken.
• Julia Strauss
«Schnee haben wir hier bisher noch
nie gesehen. Das Klima kann glau-
be ich mit Kalabrien oder Malta
verglichen werden, denn zwischen
Mai und November regnet es prak-
tisch nie», schwärmt Twain Frick
von seinem neuen Wohnort. Wer
aber trotzdem Skifahren will, kann
innerhalb von zwei Stunden im na-
he gelegenen Skigebiet sein, was
für einen Amerikaner keine wirk-
liche Distanz ist.
Projekt Familienfindung
Twain Frick ist im April 1988
von Balzers nach Amerika ausge-
wandert. Da er bis zu seinem fünf-
ten Lebensjahr in Amerika gewohnt
hat, war der Drang, seine Familie,
vor allem seinen Vater, in Amerika
wiederzufinden, sehr gross. «Alle
meine Familienmitglieder wieder-
zufinden, war eine ziemlich aben-
teuerliche Angelegenheit, da wir
für lange Zeit keinen Kontakt mehr
hatten zu Grosseltern, Vater und
Onkeln, Tanten. Ich habe sie dann
schliesslich alle verstreut zwischen
New York, Atlanta und Virginia
wieder gefunden», berichtet er.
Twain Frick und seine Frau Evi,
die seit ein paar Jahren selbststän-
dig ist und unter anderem Taschen,
Schals und Tonskulpturen verkauft,
haben sich zuerst ein Haus mit
Meerblick in Laguna Beach ge-
kauft. Laguna Beach liegt im son-
nigen Kalifornien direkt am Meer.
Von Erdbeben oder Flächenbrän-
den wurden sie und ihre Katzen
bisher glücklicherweise verschont.
Mittlerweile haben sie ihr erstes
Haus mit Garten jedoch verkauft
und sind nun in eine Maisonette-
Wohnsiedlung gezogen. «Die wur-
de uns aber schon wieder zu klein,
und wir sind auf erneuter Haus-
suche, was von der jetzigen Preisla-
ge her ein guter Zeitpunkt wäre.»
Von der Matura zum Mikrochip
Der berufliche Aspekt war eben-
falls ausschlaggebend für die Aus-
wanderung. Twain Frick wollte an
einer amerikanischen Universität
studieren, vor allem wegen der
grösseren Möglichkeiten bei den
Aufnahmebedingungen. «Ich habe
drüben zuerst die Matura nachge-
holt. Dann habe ich mein Studium
zum Elektro-Ingenieur mit ‹magna
cum laude› abgeschlossen und
schliesslich noch meinen Master of
Science im Bereich Electrical En-
gineering gemacht», erklärt Twain
Frick.
Dazu findet der Wahlamerikaner,
dass ein genereller Drang zum Ta-
petenwechsel alle zehn Jahre das
Leben interessant hält.
Twain Frick arbeitet nun als
Mikrochip-Designer im benachbar-
ten Irvine. Allerdings bleibt die
Freizeit eines Amerikaners ziem-
lich auf der Strecke, da die meisten
Leute, er selbst inklusive, je nach
Beruf nur zwei bis drei Wochen be-
zahlte Ferien haben. «Der Unter-
schied im Verdienst zwischen einem,
der keine Ausbildung hat, und je-
mandem, der eine höhere hat, ist
eklatant», stellt Twain Frick fest.
Miserables Sozialnetz
Ebenfalls auffallend ist die Mise-
re des gesamten Sozialnetzes wie
der Arbeitslosenzahlung, AHV oder
der Krankenkasse. Viele hätten gar
keine Krankenkasse und für dieje-
nigen, die eine haben, sei es eigent-
lich zu überteuert. «In den meisten
Fällen verlieren die Leute mit ih-
rem Job auch ihre Krankenkasse,
da die Prämien bis auf das ca.
Sechsfache (!) ansteigen, total be-
scheuert, und daher geben sie die
meisten auf. Das ist insofern kein
‹Problem› für viele, da etwa 40
Prozent sowieso keine haben.» Zu-
dem würden schätzungsweise 30
Prozent der Amerikaner von Zahl-
tag zu Zahltag leben, so Twain
Frick. So existieren nicht viele Re-
serven. In schlechten Zeiten wie
jetzt steht es für den Durchschnitts-
amerikaner, der seinen Job verliert,
sehr schlecht. Während in Liech-
tenstein der Betroffene weiss, dass
er einen Grossteil des Zahltages an
Arbeitslosengeld bekommt, und
auch nicht seine Krankenkasse ver-
liert, muss der Amerikaner mit et-
wa 20 Prozent seines Zahltages für
26 Wochen auskommen.
Aussen fix, innen nix
Neben diesen wirtschaftlichen
Unterschieden gibt es auch sehr
viele soziale Unterschiede zwi-
schen Amerikanern und Liechten-
steinern. Unterschiedlichste eth-
nische Gruppen sorgen dafür, dass
ein viel grösseres Angebot an Frei-
zeit und Bildung besteht wie in eu-
ropäischen Ländern. Jede dieser
Gruppen bringt ihre ganz spezielle
Eigenart und Kultur mit, was das
Leben bunt, abwechslungsreich
und sehr spannend macht.
«Der Amerikaner ist unkompli-
zierter, selbstbewusster und risiko-
freudiger als der Liechtensteiner
und dadurch auch unternehmungs-
lustiger. Das heisst, er ist eher be-
reit, sein eigenes Geschäft zu star-
ten und sein Glück zu versuchen.
Und dadurch ist der ganze Arbeits-
markt auch dynamischer. Ebenfalls
ist der Amerikaner auch eher bereit,
den Bettel hinzuschmeissen und
von vorne zu beginnen», erläutert
Twain Frick.
«Ich werde nun in einige Schwie-
rigkeiten kommen, wenn ich sage,
dass in den USA vielfach ‹aussen
fix, innen nix›, gilt. Viele können
gross angeben und auch gut auftre-
ten, aber wenn es drauf ankommt,
wissen sie nicht, wie man einen Job
erledigt. In Europa, speziell in
Liechtenstein, wollen die meisten
Leute schon wissen, wovon sie re-
den und sind zurückhaltender mit
ihren Fähigkeiten. Ich weiss nicht,
wie es mit der heutigen Generation
ist, aber meine ist halt so erzogen
worden, eher bescheiden aufzutre-
ten, was aber auch Nachteile hat.»
Ein Amerikaner würde auch nicht
auf Anhieb zugeben, dass etwas
nicht in Ordnung sei, man höre
vielfach einfach die Antwort «Oh,
no problem» oder «Don’t worry, I
take care of that».
Mit der Zeit würde man lernen,
diese Art von Phrasen sehr vorsich-
tig einzuschätzen und sich nicht
blindlings darauf zu verlassen. «Es
ist vielfach nicht einmal so, dass sie
direkt lügen, sondern sie verfallen
eher ihrem eigenen Optimismus,
dass sie es schon irgendwie packen
können.
Im Kontrast tendiert der Liech-
tensteiner dazu, Probleme zuzuge-
ben oder darauf hinzuweisen, kurz-
um, realistischer und auch ehrlicher
in seiner Selbsteinschätzung zu
sein.»
Mit Dialekt schocken
Der bekannteste Unterschied ist,
dass die Amerikaner als Mehrheit
in der Öffentlichkeit prüder sind als
die Liechtensteiner. Im normalen
Fernsehen ist es nicht erlaubt, sexu-
elle Körpermerkmale zu zeigen,
fluchen darf man auch nicht, sogar
die lahmste Form wie «shit» ist
verpönt. Twain Frick schockiert
hier schon mal gerne seine Arbeits-
kollegen. «Um sie zu schocken,
übersetze ich einfach einige meiner
Flüche aus dem Dialekt, die in
Liechtenstein gang und gäbe sind»,
schmunzelt Twain Frick.
Back to Hettabörgle
In den letzten 20 Jahren konnte
Twain Frick Balzers nur alle drei
bis vier Jahre besuchen. Schuld da-
ran sind die wenigen Ferientage.
Das letzte Mal war er im Mai 2008
in seiner alten Heimat. «Hoffent-
lich wird dies in der Zukunft öfters
der Fall sein.» Dann wird er be-
stimmt auch seine alten Lieblings-
plätze wie das Hettabörgle, Lida /
Ellhorn, den Schlosshügel oder den
Rhein beim Ellhorn besuchen.
Twain und Evi Frick bei strahlendem Wetter über dem Strand ihres neuen Wohnortes, Laguna Beach.
FOTO
ZVG
Laguna Beach, Kalifornien Die Stadt mit unge-
fähr 24 000 Einwohnern liegt gut 100 Kilometer südöstlich von Los
Angeles direkt am Meer im Bezirk Orange County. Das nahegelegene
Irvine gilt laut FBI als die sicherste Stadt der USA und ist auch Ar-
beitsort von Twain Frick. Laguna Beach wurde hier vor allem durch
die von MTV produzierte gleichnamige Serie bekannt.
«Ein genereller
Drang zum Tape-
tenwechsel alle
zehn Jahre hält das
Leben interessant.»
Twain Frick
➲www.auswanderer.llv.li
FOTO
ZVG
Name: Twain Frick
Alter: 48 Jahre
Familienstand: ver-
heiratet mit Evi
Haustiere: vier Kat-
zen
Beruf: Elektronik-In-
genieur
Wohnort: Laguna
Beach, Kalifornien
Hobbys: wandern, Fi-
nanz-(Un)wesen, Arts-
and Craft-Ausstel-
lungen
Stärken: ausdauernd,
pedantisch, umgangs-
freundlich
Schwächen: zu viel essen, zu pedantisch
(Balzner Einfluss ...)
Lieblingsmusik: Rossini, Led Zeppelin,
Moby
Drei Wünsche, die ich mir noch erfüllen
will: Um die Erde kreisen im All mit Abste-
cher in die Space Station, mehr Zeit haben,
um zu reisen, mehr Zeit haben, um mich
von den Reisen zu erholen
ZUR PERSON
Vor knapp 150 Jahren lag die Hoffnung
etlicher Liechtensteiner im unbekannten
Land der Freiheit, Amerika. Erst 240 Jahre
nach den ersten europäischen Auswander-
ern wagten es auch Liechtensteiner, den
langen beschwerlichen Weg nach Amerika
auf sich zu nehmen. Nach mehrtägiger
Bahnfahrt nach Le Havre, Frankreich, wur-
den die Auswandererschiffe bestiegen, auf
denen zum Teil katastrophale Hygienebe-
dingungen herrschten.
Damals wurde jedem neuen Siedler in
Amerika ein 64 Hektar grosses Stück Land
zugesprochen, das er selbst landwirtschaft-
lich nutzen und bebauen konnte. Das muss-
te für die leidgeprüften Neuankömmlinge
wie ein Segen gewirkt haben.
Während die meisten Oberländer, fast
acht Prozent der gesamten Balzner Bevöl-
kerung, nach Dubuque, Iowa, reisten, war
für Unterländer eher Wabash, Indiana, das
Ziel. Noch heute leben in diesen Städten
viele Familien mit Liechtensteiner Namen.
Insgesamt sind in der Datenbank von Nor-
bert Jansen über 1500 Auswanderer nach
Nord- und Südamerika verzeichnet.
AUSWANDERER AUS LI