AUSLAND
VOLKSBLATT
8 DIENSTAG, 13. JANUAR 2009
Gazprom will heute
wieder Gas liefern
Voraussichtliche Lieferdauer: Zwei Tage
BRÜSSEL – Europa kann nach wo-
chenlangem Streit zwischen der
Ukraine und Russland auf eine
Wiederaufnahme der Gasliefe-
rungen hoffen.
Die beiden Kontrahenten unter-
zeichneten am Montag ein Abkom-
men zur Beobachtung des Gas-
Transits. Wenn es keine neuen Hin-
dernisse gebe, könne das Gas ab
heute Morgen wieder strömen,
sagte der Gazprom-Vizechef Ale-
xander Medwedew in Brüssel. Die
EU-Kommission erklärte, ihre
Beob achter könnten sofort mit der
Kontrolle der Gasdurchleitungen
beginnen, so dass alle Bedingungen
für die Aufnahme der Lieferungen
erfüllt seien.
Zusage von Putin
Ministerpräsident Wladimir Pu-
tin habe Kommissionspräsident
José Manuel Barroso zugesagt, die
Hähne aufzudrehen, sobald die
Beobachter im Einsatz seien, sagte
dessen Sprecher. «Ich hoffe, dass
dieses Versprechen nun eingehal-
ten wird», sagte Barroso. Aller-
dings dürfte es nach dem Aufdre-
hen der Gashähne noch gegen zwei
Tage dauern, bis das Gas wieder in
Euro pa ankommt. Besonders ost-
europäische Länder wie die Slo-
wakei oder Serbien hatten unter
dem Exportstopp des Brennstoffes,
der durch die Ukraine geleitet
wird, gelitten.
Slowakei will Atomreaktor
wieder in Betrieb nehmen
Bereits zeichnete sich auch ein
neuer Streit mit der Ukraine und
Russland ab: Gazprom Vertreter
sagte, die Beobachter könnten eine
dauerhafte Überwachung der Liefe-
rungen gewährleisten. Kiew hinge-
gen will die Mission nach früheren
Angaben hingegen auf einen Monat
begrenzen. Der Grundkonflikt, der
Streit zwischen Moskau und Kiew
über Schulden und Preise für Gas-
lieferungen von Russland in die Uk-
raine blieb zudem vorerst ungelöst.
Aus diesem Grund hatte Russland
die Gaslieferungen in die Ukraine
am 1. Januar gestoppt.
Verschwendung Demons-
tranten protestierten vor dem Konjunktur-
gipfel der Bundesregierung in Berlin gegen
die Verschwendung von Steuergeldern.
HINTERGRUND: LASZLO TRANKOVITS (DPA) ZUM SCHEIDENDEN US-PRÄSIDENTEN GEORGE W. BUSH
WASHINGTON – George W. Bush
zeigt Gefühle. «Jeder möchte geliebt
werden», gestand der scheidende
US-Präsident. Er weiss, dass eine
Mehrheit ihn als einen der
«schlechtesten Präsidenten der US-
Geschichte» ansieht. Bush selbst er-
klärt auch den historischen Wahlsieg
Barack Obamas mit der tiefen Ent-
täuschung in den USA über seine
achtjährige Präsidentschaft.
Der 62-Jährige hofft, dass einst die
Geschichtsbücher sein ruiniertes An-
sehen korrigieren werden. Denn auch
die meisten US-Historiker fällen heu-
te ein vernichtendes Urteil: «Es wäre
schwierig, einen Präsidenten auszu-
machen, der, konfrontiert mit Krisen
in der Welt und zu Hause, so deutlich
gescheitert ist wie Bush», heisst es.
Verstörende, empörende Bilder
bleiben von der Bush-Zeit: Die Auf-
nahmen der erniedrigten, gepeinigten
Iraker in Abu Ghraib. Die stumm
kauernden Gefangenen in Guantàna-
mo. Massen verzweifelter, zorniger,
schreiender Menschen, meistens
Schwarze, die sich nach dem Hurri-
kan Katrina im «Superdome» von
New Orleans drängen.
Die Amerikaner verübeln ihrem
Präsidenten vor allem, dass er das
Ansehen des Landes weltweit schwer
beschädigt hat. Präventiv-Kriege,
Menschenrechtsverletzungen und
Folter, Arroganz, Ignoranz und
Selbstüberschätzung sind die Be-
griffe, mit denen sich für viele das
Amerika der Bush-Zeit verbindet.
Der Republikaner, wie seine Lands-
leute geschockt von den verhee-
renden Terroranschlägen des 11. Sep-
tember 2001 und geleitet von neo-
konservativen Analysen, hatte mit
harter Hand die Weichen der US-Po-
litik ins 21. Jahrhundert gestellt.
Bush erklärte dem internationalen
Terrorismus und dem «Islamo-Fa-
schismus», der «Achse des Bösen»
(Irak, Iran und Nordkorea) und allen
Feinden der westlichen Werte den
Krieg.
Selbst ernannter «Kriegspräsident»
Bush war ein «Kriegspräsident», er
selbst hat das immer wieder betont.
Er sei bei seinem Amtsantritt nicht
darauf vorbereitet gewesen, Kriege
führen zu müssen, gestand Bush ein.
Heute sieht er es als einen Erfolg sei-
ner Politik an, dass es seit «9/11»
keinen Terrorangriff mehr auf ameri-
kanischen Boden gab. Zu Bushs ma-
gerer Erfolgsbilanz gehört sicher
auch der einmalige US-Beitrag im
Kampf gegen Aids in Afrika.
Bis 2008 glaubte Bush zumindest
eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik
betrieben zu haben. Dann musste der
konservative, marktliberale Bush mit
gigantischen Summen aus dem Staats-
etat die Finanzbranche – und damit
wohl auch die US-Wirtschaft – vor
dem Kollaps retten. Der Staat mischt
nun überall massiv mit, bei Banken,
Versicherungen, der Autobranche.
Und das in der Hochburg des Kapita-
lismus. Der oft unbeholfen wirkende
Bush war nie ein Liebling der Intel-
lektuellen. Rhetorische Brillanz ge-
hörte nicht zu seinen Begabungen.
Aber auch ihm wohlgesonnene Bio-
grafen beklagen oft einen Mangel an
«intellektueller Neugier» – auch
wenn er immer wieder Wissenschaft-
ler oder Literaten zu Gesprächen ins
Weisse Haus einlud. Frühere Mitar-
beiter beschreiben Bush als führungs-
stark und souverän. Der britische Ex-
Premier Blair pries seine Intelligenz.
Ex-Aussenminister Kissinger meint,
dass es das historische Verdienst
Bushs sei, die Gefährlichkeit des ra-
dikalen Islam erkannt zu haben. Al-
lerdings wird die Mehrheit der Ame-
rikaner aufatmen, wenn Bush am 20.
Januar Platz macht für Obama.
Hoffen auf die Geschichte
Bush geht als «schlechtester Präsident» in die US-Geschichte ein
Israel bestreitet Einsatz
von Phosphorbomben
JERUSALEM – Israel hat Vorwürfe zu-
rückgewiesen, mit dem Einsatz von Phos-
phorbomben im Gazastreifen gegen das
Völkerrecht zu verstossen. «Der Einsatz un-
serer Waffen erfolgt im Rahmen der legalen
Grenzen des internationalen Rechts», sagte
ein Armeesprecher am Montag. Der Spre-
cher von Regierungschef Olmert, Mark Re-
gev, sagte, die Munition stimme mit der al-
ler westlichen Demokratien überein. Sie sei
«ähnlich, wenn nicht sogar identisch».
Heftige Kritik an Dati
PARIS – Rachida Dati, schöne Justizminis-
terin, spaltet die französische Nation: Ist sie
eine Rabenmutter oder eine Super-Mami?
Nur fünf Tage nach ihrer Niederkunft per
Kaiserschnitt erschien sie wieder zur Arbeit.
Das entfachte eine erbitterte Debatte, die die
Ebene politischer Verschwörungstheorien er-
reicht. Laut einer Umfrage haben 56 Prozent
der Franzosen für Dati kein Verständnis.
Finanzkrise Bush bringt Frei-
gabe von Milliardenspritze an
WASHINGTON – Auf Bitte des künftigen
US-Präsidenten Barack Obama hat der
scheidende Amtsinhaber George W. Bush
beim Kongress die Freigabe der letzten 350
Milliarden Dollar aus dem Rettungspaket
für den Finanzsektor beantragt. Bush sei
mit der Anfrage beim Kongress einem
Wunsch Obamas nachgekommen, sagte
Präsidentensprecherin Dana Perino am
Montag in Washington.
NACHRICHTEN
Nahostpolitik ein schwarzes Loch
Kleine Schritte statt grossem Wurf – Iran und Syrien setzen auf Annäherung
WASHINGTON – Das «Schwarze
Loch» der Nahostpolitik hat zahl-
lose Bemühungen der US-Diplo-
matie verschlungen. Jetzt wartet
es auf den neuen Präsidenten
Obama.
Die jetzige Gaza-Offensive ist ein
weiteres Kapitel in dem Konflikt.
Anzeichen deuten darauf hin, dass
die Krise nicht der Drehpunkt der
US-Nahostpolitik sein könnte. Viel-
mehr glauben Experten, muss sich
Obama darauf konzentrieren, das
Erstarken des islamischen Extre-
mismus einzudämmen. Die Mei-
nung in den USA ging bisher davon
aus, dass ein Friedensschluss zwi-
schen Israelis und Palästinensern
Veränderungen auslösen würde.
Die Erwartung, dass freie Wahlen
demokratische Regierungen hervor-
bringen würden, wurde untergraben
durch den Aufstieg der Hamas.
Moderner Naher Osten
Tief besorgt über den Einfluss
des Iran haben Verbündete der USA
gegenwärtig lange gezögert, Stel-
lung zu beziehen. Ihre Ambivalenz
macht eine Möglichkeit des Drucks
auf Israel zunichte. Auch Iraner
und Syrer halten sich zurück. Sie
setzen auf einen Kurswechsel unter
Obama, der Gesprächsbereitschaft
signalisiert hat.
Daher halten Experten einen
Richtungswechsel in der US-Poli-
tik für nötig. «Man muss dem gros-
sen Wurf entsagen», glaubt Jona-
than Adelman, Professor für Inter-
nationale Studien in Denver. Er
weist darauf hin, dass von Nahost
bis Asien neue Spieler auf den Plan
getreten sind, die von ihren Zielen
nicht lassen werden. Hamas und
Hisbollah, aber auch die Taliban
und al-Kaida befinden sich ausser-
halb der Reichweite diplomatischer
Entwicklungen. Stimmt diese Ein-
schätzung, bliebe Obama nur ein
Nachhutgefecht mit dem Ziel, die
Ausbreitung militanter Bewe-
gungen durch kleine wirtschafts-
und sicherheitspolitische Schritte
einzudämmen und Alternativen ent-
stehen zu lassen – eine breitere ara-
bische Mittelschicht vielleicht, die
die Vorzüge eines modernen Nahen
Ostens zu schätzen weiss.
Präsident Bush absolviert die letzten Termine seiner Präsidentschaft.
FOTOS
AP
Barack Obama wird im Nahen Os-
ten gefordert.
Gläubige Hindus stärken sich
vor dem reinigenden Bad in der
Gangesmündung am indischen Oze-
an in Westbengalen.
FOTO
AP
«Ich hoffe, dass
dieses Versprechen
von Putin nun auch
eingehalten wird.»
José Manuel Barroso, EU-Kommissionspräsident