Volltext: Liechtensteiner Volksblatt (2005)

SAMSTAG, 12. NOVEMBER 2005 blATT UNLAND Markus Büchel: «Nicht einverstanden mit einer Generalregelung» Diskussion: Julius Risch (Initiativkomitee) und FBP-Fraktionssprecher Markus Büchel (Gegenvorschlag) (Fortsetzung von Seite 4) dann so macht. Wir wissen ja auch nicht, wann diese Themen in den Landtag kommen und wer dann noch im Landtag sitzt. Markus Büchel: Ich habe Muhe damit, wenn man Themenbereiche, wie beispielsweise den Schwanger­ schaftsabbruch, die man nicht im Ein­ zelnen lösen kann oder will, dann als , Generallösung über eine 
Verfassungs- Gegen Generallösung, ohne darüber diskutiert zu haben änderung pauschal regeln will, und das ohne dass man darüber im Detail diskutiert hat. Das ist meine grosse Sorge. Ich bin der Überzeugung, dass wenn es in Liechtenstein eine Abstim­ mung gibt und man den Bürgern er­ klärt, was eine einzelne Gesetzesände­ rung für Konsequenzen hat und was für Ziele sie verfolgt, diese Bürger dann genau so mündig sein werden und genau so moralische Werte 
be-Gegensätzllche Ansichten (von rechts): FBP-Fraktionssprecher Markus Büchel, Befürworter des Gegenvorschlages, und Julius Risch, Mitinltiant der Initiative, diskutierten unter der Leitung von Volksblatt-Chefredaktor Martin Frömmelt Wir können die Leute bei uns nicht einschliessen rücksichtigen werden. Sicher können wir die Entwicklung grundsätzlicher Strömungen nicht aulhalten, weil wir ein sehr begrenztes Staatsgebilde sind und einfach jeden Tag mit der Welt um uns herum permanent in Kontakt kommen. Wir können die Leute bei uns nicht einschliessen, wenn sie ins Ausland gehen wollen, weil dort ande­ re Spielregeln herrschen als bei uns. Darum müssen wir Lösungen suchen, die all dies nicht ausser Acht 'lassen und die wir in Zukunft umsetzen kön­ nen. Wichtig ist dabei, dass die einzel­ nen Themen ausdiskutiert werden. Nur dann können wir Lösungen fin­ den, die für die Zukunft tragfähig sind. Julius RLsch: Dieser Aussage möch­ te ich etwas entgegentreten. Beim An- lass der Freien Liste hat selbst der Ver­ fassungsrechtler Hilmar Hoch einge­ räumt, dass man auch unsere Initiative liberal ausgelegen könne. Markus Büchel: Ja, aber seine Aussage hat mir genau das bestätigt, was ich nicht will: Ich will keine Ent­ scheide von Richtern, sondern ich will dass die Bürger entscheiden. Denn wenn wir zwei Verfassungsrechtler fragen, dann bekommen wir zwei unterschiedliche Meinungen. Genau das wollen wir mit der Gegeninitiative verhindern, weil es dann genau diese Auslegungsdiskussionen nicht gibt. Misstraut denn das Initiativkomitee der Demokratie? Befürchtet das Komitee später einen Volksent­ scheid in die falsche Richtung? Julius Risch: Nein, aber man muss schon sehen: Nach meiner Informa­ tion ist es auf der ganzen Welt einma­ lig, dass nur in der Schweiz die 
Ein- Misstraut das Initiativ­ komitee der Demokratie? führung der Fristenregelung am 2. Ju­ ni 2002 per Völksabstimmung be­ schlossen .worden ist. Also feefürchten Sie doch, dass sich das Volk später aus Ihrer Sicht 
falsch entscheiden könnte... Julius Risch: Nein, uns geht es da­ rum, dass man jetzt den Grundsatz in der Verfassung festlegt, denn die Ver­ fassung ist ja das Dach der Staatsord­ nung. Wir hören immer wieder, dass man uns vorwirft, «der Bogen sei zu weit gespannt». Diese Argumentation ist uns zu einfach. Markus Büchel: Aber das Komitee hat nun einmal das Ziel, mit dieser Formulierung das Ganze generell zu regeln. Ich aber bin nicht einverstan­ den, mit einer Generalregelung, die al­ le 
diese Themen unter einem Wisch abdecken will. Darum bin ich schon der Meinung, dass der Bogen zu weit gespannt ist, denn über all die damit zusammenhängenden Fragen wurde bisher praktisch nicht diskutiert. 
Da- Nicht alle Themen unter einem UVisch abdecken mit könnten die demokratischen Mittel wie Referendums- und Initiativrecht bei der Behandlung und Entscheidung von Themen, die den Schutz des Le­ bens und der Menschenwürde betref­ fen, eingeschränkt werden. Julius Risch: An unseren demokra­ tischen Einrichtungen ist grundsätz­ lich nichts auszusetzen. Aber ich möchte schon die Frage stellen: Wäre es dir als Parlamentarier und als Christ recht, wenn das Volk bei uns die Fris­ tenregelung einführen würde? Markus Büchel: Dazu noch einmal ganz klar: Einer Schweizer Lösung der Fristenregelung würde ich nie zu­ stimmen. Ich würde auch alle 
Mög- Ganz klar gegen eine Fristenregelung lichkeiten ausschöpfen, um andere zu überzeugen. Allerdings kann ich sie nicht zwingen, meine Meinung zu übernehmen, auch wenn ich als Ka­ tholik von meiner Meinung überzeugt bin. Ich stehe zu meinem Glauben. Wenn jetzt also so eine Fristenlösung kommen würde, dann würde ich mich persönlich nicht nach dem Gesetz aus­ richten, sondern nach meinem Glau­ ben, und nach diesem geht die Fristen­lösung 
nach Schweizer Modell zu weit. Ich kann aber niemanden zwin­ gen, das genau so zu sehen. Darum ist es aus meiner Sicht die einzige Chan­ ce, eine Fristcnlösung zu verhindern, wenn man bessere Alternativen anbie­ tet. Und hier haben die «Frauen in der FBP» intensiv diskutiert und den 
Vor- Beratungsmodell geht in die richtige Richtung schlag «Lcbensschutz Plus» ausgear­ beitet. Dieser Vorschlag zeigt auf, wie man durch Beratungen und Hilfeleis­ tungen den Lebensschutz erhöhen könnte. Was halten Sie von so einem Bera­ tungsmodell? Julius Risch: Das geht ganz klar in die richtige Richtung. Es ist sehr gut, dass man diesen Frauen endlich helfen will, und zwar auf allen Gebieten, sprich psychisch, physisch und auch finanziell. Das hätte man schon lange machen können. Ich möchte noch einmal nachhaken: Was spricht dagegen, dass man das später fundiert diskutiert und nicht jetzt einen Schnelldurchgang macht? Julius Risch: Das tönt alles nach dem Motto «Ich bin schon dafür, aber ... » Ich bin 100-prozentig 
über- Ich bin 100-prozentig überzeugt, dass das völlig aus dem Ruder läuft zeugt, dass das völlig aus dem Ruder läuft. Es sind ja auch viele Sachen noch nicht einmal andiskutiert wor­ den. Wir möchten beispielsweise ein so genanntes «Sorgfaltspflichtgesetz» für Ärzte und Pflegepersonal. In Deutsch­ land beispielsweise sollen jedes Jahr 50 000 Personen alleine wegen ärzt­ lichen Kunstfehlern sterben. Ein Sorg­ faltspflichtgesetz 
auf diesem Gebiet wäre mindestens so wichtig wie das Sorgfaltspflichtgesetz für den Finanz­ platz. 
Damit wären wir beim Bereich Ster­ ben angelangt. Die Initiative fordert ja den 
Schutz des Lebens bis zum «natürlichen Tod». Auch hier gibt es Unklarheiten über die Tragweite der Initiative ... Julius Risch: Es ist ein Schwach­ sinn, uns immer vorzuwerfen, mit un­ serer Initiative dürfe man Sterbenden nicht einmal mehr Morphium geben. Das ist der gleiche Schwachsinn wie die Behauptung, man dürfte bei An­ nahme unserer Initiative keine Verhü­ tungsmittel mehr verabreichen. Sind Sie also beim «natürlichen Tod» für eine liberale Auslegung? Und wie sieht es bei Verhütungsmethoden wie der Spirale oder der Pille danach, sprich nach der Empfängnis, aus? Julius Risch: Es gibt für unser 
Ini- Diese Vorwürfe sind ein Schwachsinn tiativkomitee ganz einfach den Grund­ satz: Es ist verboten, dass wir Leben zerstören, darum ist das Leben von der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod zu schützen. Dann aber dürfte man beispiels­ weise die Spirale nicht mehr ver­ wenden, denn diese kommt erst nach der Empfängnis zum Zug, weil sie verhindert, dass eine befruchtete Eizelle sich in der Gebärmutter ein­ nisten kann... Julius Risch: Wir sind keine Medi­ ziner und Wissenschaftler. Über die Frage, wann das Leben anfängt, sind schon so viele Bücher geschrieben worden, dass wir jetzt nicht über diese Frage, über die die Meinungen so weit auseinander gehen, hier diskutieren sollten. Markus Büchel: Aber irgendwann wird die Bevölkerung darüber 
ent- Erst entscheiden, wenn Konsequenzen klar sind scheiden müssen, was gilt. Wenn du die Empfängnis als Beginn des Lebens erachtest, dann wird definiert werden müssen, was Empfängnis ist und wel­cher 
Zeitpunkt dafür gilt. Dann wird wahrscheinlich die grosse Diskussion stattfinden müssen, irgendwann wer­ den wir auch darüber entscheiden müssen. Und diesen Entscheid möch­ te ich erst dann fällen, wenn ich die Konsequenzen kenne. Wir beide ha­ ben vorhin in der Diskussion aber ge­ rade festgestellt, dass wir das noch nicht abschätzen können, weil auch diese Frage noch zu wenig vertieft ausdiskutiert worden ist. Kommen wir zur Schlussrunde. Herr Risch, angenommen die Initia­ tive wird vom Volk angenommen, wäre die Sache dann für das Initia­ tivkomitee erledigt? Julius Risch: Grundsätzlich schon. Wir haben dazu jedenfalls noch keine weitergehenden Überlegungen ins Au­ ge gefasst. Wir haben uns aber 
Gedan- Wäre die Sache dann für das Komitee erledigt? ken darüber gemacht, wie man Schwangeren, die in Not sind, helfen könnte. Man könnte das durch eine nicht-staatliche Einrichtung machen, beispielsweise durch eine Stiftung oder etwas Ähnliches. Markus Büchel, wie sehen Sie das, wenn der Gegenvorschlag ange­ nommen wird? Markus Büchel: Egal, ob die Initi­ ative oder der Gegenvorschlag ange­ nommen wird: Wir müssen auf jeden Fall handeln, wenn wir etwas verän­ dern wollen. Wenn allerdings die Initi­ ative durchgeht, dann habe ich die Be­ fürchtung, dass wenig Spielraum bleibt, um Lösungen zu finden, die für die Zukunft angemessen sind. Julius Risch: In einem Rechtsstaat wie dem unseren gilt für den Gesetz­ geber immer der Grundsatz der 
Wer­ ls gilt der Grundsatz der Verhältnismässigkeit hältnismässigkeit. Darum können wir den Vorwurf vom fehlenden Spiel­ raum bei Annahme der Initiative nicht akzeptieren. Das angebliche Fehlen des Spielraums erachten wir als reine Abwehrtaktik. Zum Schluss noch ein kurzer Satz zu den Erwartungen für den 27. No­ vember? Julius Risch: Wir hoffen sehr, dass wir mit unserer Initiative 
durchkom- Wir haben schon beim Sammeln der Unter­ schriften so einiges zu hören bekommen men. Ich bin aber Realist und denke, dass der Zeitgeist sicher eine Rolle spielen wird. Ich bin mir also durch­ aus bewusst, dass es nicht klappen könnte, denn wir haben schon beim Sammeln der Unterschriften so eini­ ges zu hören bekommen. Markus Büchel: Ich hoffe selbst­ verständlich, dass unser Gegenvor­ schlag eine Mehrheit findet. Wir sind überzeugt, dass es der richtige Weg ist, um später gemeinsam Lösungen finden zu können, um dem Grundanliegen, den Schutz des Lebens stärken, kon­ kret zum Durchbruch zu verhelfen. I I I * I
	        

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