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Adler, der trägt in den Krallen eine Ölschale.
Des Erkers Eingang deckt zur Hälfte ein Teppich
von köstlichem venetianischem Gewebe, welcher
leicht zurück geschlagen eine leuchtende Farben
pracht entfaltet. Dicht an das Kamin gerückt
ist der hohe Lehnstuhl, weit überdacht, ein Prunk
stück frühgothischer Kunst. Darin hält Ulrich
von Gutenberg sein Mittagschläfchen. Ein Mann
von stattlicher Erscheinung. Die Zeit hatte zwar
tiefe Furchen auf seine Stirne gegraben, ehr
würdig wie Runen auf einer Gedenktafel. Das
scharfgeschnittene Antlitz drückt trotz des fried
lichen Schlummers eine Energie aus, welche
durchblicken lässt, dass er sein vorgestecktes
Ziel auch mit Mannesmut zu erstreben weiss,
ohne das stolze Haupt unter fremder Herrschaft
zu beugen. Über Hildas Gesiebt gleitet ein
Lächeln, leise ... leise, Schritt für Schritt schleicht
sie zu ihrem Vater hin. Mutwillig legt sie die
Frühlingsblüten in seine Hände. Erschrocken
fährt Graf Ulrich empor und reibt sich die schlaf
trunkenen Augen. „Vater,“ ruft Hilda freudig,
„der Frühling ist da!“ Allein der Graf spricht
barsch: „Warum hast du meinen Schlaf gestört?
Hilda, die strenge Zucht, welche dir im adeligen
Fräuleinstift zu Lindau eingeprägt ... was wird
daraus!“ Am Boden lagen die Blumen. Hilda
sammelt dieselben, Thränen stürzen ihr aus den
Augen. Nicht die Worte, sondern des Tones