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geraubt, soll er ohne Verzug zu seinem Eigentum verhelfen.
Die Breonen wohnten am Brenner, und da sie von ihren
Räubereien nicht abließen, verlegte Theodorich eine Kolonie
von Goten in ihr Land. Die ganze Einrichtung, wie sie unter
den Römern bestand, ließ Theodorich bestehen. Die Stadt
Ehur behielt ihre Verfassung. Die Curialen, d. h. die Mit
glieder des Rates, dursten ihre Güter nicht veräußern; man
hielt sie für den Kern des Gemeinwesens. Das Land wurde
aber zur Stadt gerechnet und nahm an deren Verfassung teil;
daher der Name „churisches Rätien". Cs erstreckte sich so weit
als das Bistum Chur. Römer und Goten hatten besonderes
Gericht und Recht; doch gab Theodorich ein Gesetzbuch her
aus, das für beide Nationen verbindlich sein sollte; es betraf
aber vorzüglich das peinliche Recht. Die Römer behielten ihre
Schulen; die Goten dagegen mußten sich zu tüchtigen Krie
gern bilden und sich hauptsächlich auf alle Arten von Leibes
übungen verlegen; die gelehrten Schulen, meinte der König,
seien der Tapferkeit nachteilig und passen nicht für seine
Goten. Unter ihm herrschte vollkommene Sicherheit im
Lande.
Bald nach Theodorichs Tode (526) zerfiel fein Reich. Die
Schwäche desselben benützte der oströmische Kaiser Iustinian,
um Italien wieder zurückzuerobern. Er ließ Italien durch
seine Feldherrn angreifen und unterhandelte zugleich mit den
Franken, damit sie ihn im Kriege gegen die Ostgoten unter
stützten. Theodat und Witiges, die Könige der Ostgoten,
wandten sich in ihrer Bedrängnis ebenfalls um Hilfe an das
mächtige und hochberühmte Volk der Franken. Diese machten
sich die günstige Stellung, in der sie zu den beiden kriegfüh
renden Parteien standen, wohl zu Nutzen. Witiges trat ih
nen neben anderen Besitzungen diesseits der Alpen auch das
churische Rätien ab. So kam dasselbe unter den Schutz Theo-
deberts, des Frankenkönigs im Jahre 536, nachdem es 491
Jahre unter den Römern, 17 Jahre unter Odoaker und 43
Jahre unter den Ostgoten gewesen war. Rach heldenmütigem
Kampfe erlagen die Ostgoten und hörten auf ein selbständiges
Volk zu bilden. Ihr Name erlosch und der kümmerliche Rest
des Volkes verschwand in den Alpen.