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Bildung übte schon im ersten Jahrhundert der Unterwerfung
eine mächtige Wirkung auf das tapfere, ungebildete, aber ge
lehrige Gebirgsvolk aus. Alle, welche im römischen Kriegs
dienst Ehre und Vermögen erwarben, kamen als Römer in
ihre heimatlichen Täler zurück. Das alte Geschlecht starb aus
und ein neues blühte auf unter dem Einflüsse der Römer
herrschast.
Römische Beamte und Truppen lagen im Lande, römisches
Recht und Gerichtsverfahren kamen auf. Bald erhielt Chur eine
Stadtverfassung nach dem Muster der römischen Städte. Meh
rere Talschaften erlangten unter Kaiser Caracalla das latei
nische Bürgerrecht und gehörten zum Gebiete der Stadt Chur,
wo der Rat (Curia) war. Dazu gehörte auch unser Rheintal.
Frühe wurde Rätien zu Italien geschlagen.
Was den Grundbesitz in den eroberten Provinzen anbe
langt, fiel derselbe dem römischen Staate oder dessen Herr
scher, dem Kaiser, als Eigentum zu. Rur ein Teil wurde den
Landeseinwohnern zur Bearbeitung und Benutzung überlasten,
so lange sie nicht das römische Bürgerrecht erlangten, was im
Jahre 213 geschah. Kaiser Caracalla gab allen Untertanen
seines ungeheuren Reiches das Bürgerrecht, um von denselben
höhere Steuern fordern zu können. Einen Teil der Güter
behielten sich die Kaiser zu ihrer eigenen Verfügung vor; sie
wurden von kaiserlichen Angestellten und Sklaven unter Auf
sicht kaiserlicher Verwalter bebaut. Solches Krongut lag z. B.
in Balzers und Schaan. In Balzers war eine kaiserliche Pfalz
(Palatium); daher der Name Palazoles und Balzol. Dazu
gehörten die Güter, die später im Besitze der fränkischen Kö
nige und des deutschen Reiches waren und zum Schloß Guten
berg gehörten. Auch in Schaan waren viele Höfe im Besitze
des deutschen Königs, die wohl von den römischen Kaisern
herrührten.
AIs nach dem Tode des Kaisers Augustus (14 n. Chr.)
die Truppen Meutereien begannen, wurden die Veteranen
aus den auflührerischen Legionen am Oberrhein nach Rätien
verlegt unter dem Vorwände, die Einfälle der Sueven (Schwa
ben) abzuwehren. Indessen genoß Rätien Ruhe. In das
römische Heer stellte es mit Vindelizien an Fußvolk und Rei
terei über 12.000 Mann, und ihre Tapferkeit ward von den
Römern selbst gerühmt.
Die nach Rätien verpflanzten Veteranen siedelten sich
dort auf dem ihnen geschenkten Grundbesitz an. Denn wenn
ein Soldat 25 Jahre gedient hatte, konnte er seinen Abschied
nehmen, in welchem Falle er mit Landbesitz belohnt wurde.