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6. Die kaiserliche Kommission.
Der Fürstbischof von Chur und der Fürstabt von St. Gallen
wandten sich an den Kaiser wegen des von der Liechtensteinschen
Verwaltung aufgelegten Sequesters auf alle geistlichen Einkünfte
in der Novalzehntstreitigkeit. Er verordnete Aufhebung des Se
questers und bestellte zur Ausgleichung der Differenzen zwischen
der Geistlichkeit und dem Volke einerseits und der fürstlichen Ver
waltung andrerseits den Fürstbischof von Eonstanz, Franz Joseph,
aus dem Geschlecht der Schenken von Staufberg. An ihn wandte
sich die Landschaft, stellte ihre Lage vor und bat, daß die Neuerun
gen aufgehoben und sie in den vorigen Stand zurückgestellt würde:
„Der fürstliche Mandatar Harprecht, sagte sie in ihrem dießfälligen
Schreiben, habe nicht theilweise, sondern gänzlich ein neues Landrecht
eingeführt. Für den alten, in so vielen Urkunden und Schriften
vorkommenden Namen Landschaft setze er Leibeigenschaft, für die
Gemeinden Aemter, für die Landammänner und Gerichte Dorf
ammänner, das sulzische Urbar und die sulzische Erbeinigung halte
er nicht, auch nicht den noch im Jahr 1686 vom Kaiser selbst
bestätigten Vertrag. Nie seien sie leibeigen gewesen, in der Art,
wie es Harprecht geltend mache, daß sie aller und jeglicher Rechte
entblößt und baar seien, und wenn das Wort „Eigenschaft" hin
und wieder vorkomme, habe es nur den Verstand, daß sich ihre
Vorfahren zu gewissen, bestimmten, im sulzischen Urbar klärlich
verzeichneten Diensten verpflichtet hätten, gegen dem, daß die Herrschaft
sie bei ihren Lands- und Gemeindsrechten, alten Herkommen und
Bräuchen belasse und schütze. So sei es von alten Zeiten her ge
wesen und Niemand wisse es anders. Was sie von ihren Vor
eltern ererbt, das wollten sie auch ihren Kindern hinterlassen und
ihren ehrenhaften Stand behalten, der ihnen bei ohnehin so man
nigfaltigen Bedrängnissen noch allein zu einiger Tröstung gereiche."
Der Fürstbischof von Constanz schickte Unterkommissarien an
seiner Statt nach Vaduz, wo sie im Sommer des Jahres 1721
ankamen und die Lage der Dinge mit eigenen Augen untersuchten.
Sie hatten aber nur den Auftrag, die Differenzen wegen der
Novalzehnten und der Dominikalgüter auszugleichen, unter Vorbehalt
der kaiserlichen Bestätigung, in die Beschwerden der Landschaft, sofern
sie die Verfassung und ähnliche Dinge betrafen, einzugehen, hatten
sie keine Vollmacht. Franz Joseph Siegfried Harder, Domherr zu
Chur und Pfarrer in Schan, übergab im Namen des „gesammten
bedrängten Klerus" eine ausführliche, in lateinischer Sprache ge
schriebene Beschwerdeschrift „der apostolischen Mission" (d. d. 22.
Juni 1721). Der wesentliche Inhalt derselben ist folgender: „Die
Quelle des Uebels, der Gewaltthätigkeiten und kirchenräuberischen
Handlungen sei der lutherische Kommissär Harprecht, ein verbannter
Würtemberger, welcher mit seinem gleichgesinnten Genossen, dem