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gekniet, den Rosenkranz in den Fingern und das Ge-
sichtchen mit den großen, traurigen Augen so rein und
so unschuldig wie ein Tngelein; und sanft hatte es sich
um das kranke Aind bekümmert, ihm mit aller Fürsorge
das heiße Aöpfchen gekühlt und die trockenen, dursten
den Lippen genetzt. Und soviel Liebe zum Mariele war
in Gretlis Augen gewesen!
Und so eins sollt eine Hex' sein und schuld an dem
Tod des armen Dirnleins?
Nicht wahr konnte es sein, und glauben tat's die
Truda nicht, und wenn die ganze Gemeind' es sagen sollt'.
Das arme, arme Gretli! Das hatte es nun von
seiner Güte I Tine Hex' sollt' es sein! Herrgott, ist das
ein Leid, das über so ein armes waislein kommt, das
nie einem einzigen Menschen auch nur ein böses Gesicht
gemacht hätte!
Die Truda weinte still vor sich hin.
Das machte den Bauer vollends wütend.
„Ist was zu weinen drum, Weib? He? Denken
hätt' man können, daß du eine richtige Wut kriegen
solltest darüber, daß so eins unser lieb's Mariele ver
hext hat, daß es hat sterben müssen"
„Das Gretli hat das Mariele nicht verhext!"
Hochaufgerichtet stand die Truda vor ihrenl Manne,
ihre sonst so duldsamen Augen sprühten Feuer; ihre
Lippen bebten. Tr hob in voller U)ut den Arm zum
Schlagen aus; mit keiner Miene zuckte sie.
lNaidorf, Die hexe.
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