DAS LANDSCHAFTSBILD
Dr. Walter öhry
Klar und stolz reckt sich die Gebirgskette
der Dreischwestern über das Rheintal. Die
Zacken und Zinnen, die Schrunden und
Schrofen leuchten hell und hart. Ein spär
licher Kranz von versickerndem Firn schim
mert aus den Rillen und Runsen. Dicht
unter den jähen Felsen kämpft am nackten
Stein die Bergföhre ihren waghalsigen
Kampf um ihr kümmerliches Dasein. Zwi
schen überhängenden Blöcken und schmalen
Rillen verklemmt sie ihre Wurzeln, in aben
teuerlichen Windungen reckt sie ihre Äste
über den Abgrund. Über sich den Schrei des
Adlers, unter sich das Poltern fallender
Blöcke, neben sich den grellen Pfiff der
Gemsen, um sich das Sausen der schneiden
den Winde. Bergkristalle schmiedeten die
Jahrtausende an den Hängen, so klar wie
die Luft, die sie umgibt. Aurikeln und Edel
weiß hängte die Natur an die Gesimse, so
unwahrscheinlich verwegen, daß jeder Wind
stoß sie zu entführen scheint. In Jahrtausen
de währender, unermüdlicher Arbeit haben
Wind und Wetter, Sturm und Eis vom Fels
abgebröckelt, was lose und spröde war. Tie
fe Schluchten gruben sie in seine Flanken,
und ganze Felsmassive ließen sie zu Tale
fahren, stauten sie am Fuße und lagerten sie
zu Hängen, überschütteten diese mit Geröll
und überließen es freundlicheren Tagen, die
se Halden mit Grün zu besetzen und mit
Gesträuch zu überwuchern. Und die Natur
erklomm sich die Hänge, sie deckte das
nackte Gestein mit schlanken Tannen und
knorrigen Fichten, sie füllte die Rillen mit
spärlichem Humus, gerade genug, daß Farn
und Holunder mit Entbehrung ihr karges
Leben fristen. Doch am Hange, in Nachbar
schaft noch der Bergföhren, erstand der
Wald. Wie ein schützender Mantel umgibt
er die Schultern der Riesen, schleppend im
Talgrund, steil aufragend bis zum Grat,
Wall und Wehr gegen Lawine und Erd
rutsch. Sein schattiges Dunkel birgt auf wei
chem Moos den Sternenregen des Wald
meisters und an verschwiegenen Plätzchen
des Frauenschuhs exotisches Wunder, den
zarten Kelch der Glockenblume und das ba