4.4 Problembereiche der vorläufigen Anwendung
Viele Problembereiche (Konflikte mit anderen Rechtsbereichen) der vorläufigen
Anwendung von völkerrechtlichen Verträgen wurden an gegebener Stelle schon
ausführlich behandelt. Darum soll dieses Kapitel lediglich einen Überblick geben, in
welchen Rechtsbereichen oder mit welchen Rechtsgrundsätzen die vorläufige
Anwendung in Spannung geraten könnte. Auch mögliche Lösungsansätze für die
Beseitigung der Konfliktfälle sollen kurz diskutiert werden.
4.4.1 Konflikte mit dem innerstaatlichen (Verfassungs-)Recht
Das Problem der innerstaatlichen Verfassungsmässigkeit bei der vorläufigen
Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages stellt wahrscheinlich das grösste
Konfliktpotential mit Bezug zum innerstaatlichen Recht dar. Denn es wurde nicht von
wenigen darauf hingewiesen, dass die Konstruktion der vorläufigen Anwendung auch
die Gefahr des Missbrauchs in sich birgt. Es bestand die Befürchtung, dass durch
eine vorläufige Anwendung eines Vertrages, welche durch die Verhandlungsorgane
eingeleitet wurde, Fakten geschaffen werden, die eine parlamentarische Zustimmung
am Ende zu einer blossen Formalitát reduzieren.* 9 Somit würde der demokratische
Gedanke, der einer solchen Zustimmung zuteil wird, untergraben werden.
Innerstaatliche Voraussetzungen sollen damit umgangen werden kónnen. Die
Vorteile überwiegen aber dennoch die Gefahr des Missbrauchs, weshalb das
Rechtsinstitut der vorláufigen Anwendung auch den Eingang in die WVK gefunden
hat.*07
Um einer solchen Gefahr des Missbrauchs vorzubeugen, kónnte es sinnvoll sein, das
Verfahren über die vorlàufige Anwendung eines vólkerrechtlichen Vertrages in der
eigenen Rechtsordnung zu prázisieren (kodifizieren).*? Ein Beispiel für eine solche
Prázisierung ist in der Rechtsordnung der Schweiz zu finden. Diese Kodifikation im
innerstaatlichen Recht soll hier als Beispiel kurz dargestellt werden.
Auch in der Schweiz müssen gewisse vólkerrechtliche Verträge von der
Bundesversammlung (Stánderat und Nationalrat) genehmigt werden. Dies ergibt sich
^ ygl. die Autoren zu diesem Problem: Lefeber, Treaties, 2011, Rz. 1; sowie Gómez-Robledo, First report,
2013, S. 9; sowie Krieger, Article 25, 2012, S. 417f.
“07 Lefeber, Treaties, 2011, Rz. 1: ..*some have argued that provisional appplication of treaties reduces
constitutional requirements, such as parliamentary approval for such agreements, to mere formalities,
expediency has led to its use in a number of contexts and procedural safeguards have been developoed to
avoid abuse.“
^9 ygl. Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties, 2012, S. 62.
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