Die grösste Bedeutung hat die vorläufige Anwendung von völkerrechtlichen
Verträgen speziell bei Verträgen mit wirtschaftlichem Hintergrund, sogenannten
Wirtschaftsabkommen / Handels- und Zollabkommen. ??' Das wohl bekannteste
Beispiel eines solchen Abkommens, das jahrzehntelang nur auf der Grundlage eines
Protocol of Provisional Application" vorláufig angewendet wurde, ist das GATT von
1947, woraus schliesslich die WTO hervorging. Durch dieses Abkommen sollten
schrittweise Zölle und andere Handelshemmnisse abgeschafft werden. °*
Der Hóhepunkt in der Geschichte der vorláufigen Anwendung war schliesslich die
Kodifikation dieser Konstruktion in Art. 25 WVK im Jahr 1969. Sowohl die USA, als
auch Japan standen einer solchen Bestimmung aber skeptisch gegenüber und
wollten dies lieber dem Willen der Parteien überlassen.?9? Geplant war zuerst eine
Eingliederung der vorläufigen Anwendung in den Art. 24 WWK, welcher dem
Inkrafttreten von Vertrágen gewidmet ist. Nach langem Hin und Her einigte man sich
aber letztendlich auf eine separate Bestimmung für die vorläufige Anwendung in Art.
25 WVK #4
In der jungeren Zeit wurden vor allem zwei Vertrage mit der vorlaufigen Anwendung
in Verbindung gebracht und kontrovers diskutiert — CETA*® und TTIP*® Besonders
die geplante vorläufige Anwendung“? des Freihandelsabkommen zwischen der EU
und Kanada (CETA) wurde stark kritisiert. 99? Das Konstrukt der vorläufigen
Anwendung ist dadurch mehr denn je in den Fokus der Offentlichkeit gerückt worden.
?9! ygl. Montag, vorl. Anwendung, 1986, S. 24f.
?9? ygl. Binder / Zemanek, Vàlkervertragsrecht, 2013, S. 62.
263 Vgl. Heike Krieger, Article 25 — Provisional application in: Oliver Dórr / Kirsten Schmalenbach (Hrsg.), Vienna
Convention on the Law of Treaties, Springer-Verlag, Berlin 2012, S. 407ff.
Vgl. Krieger, Article 25, 2012, S. 412; siehe dazu detailliert weiter unten unter Punkt 4.2.1.
CETA ist das Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada und soll ab April 2017
vorläufig angewendet werden (siehe dazu Pressemitteilung des Europäischen Parlaments, CETA: Interview
mit Artis Pabriks in: http:/www.europarl.europa.eu/news/de/news-room/20170219S TO63201/ceta-interview-
mit-artis-pabriks, vom 20.2.2017, aufgerufen am 3.3.2017). Es wurde also bis heute noch nicht ratifiziert.
TTIP ist das Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (siehe dazu
Pressemitteilung des Europäischen Parlaments, TTIP: EU-Abgeordnete fordern Zurückhaltung bei
Verhandlungen über Freihandel in: http://www.europarl.europa.eu/news/de/news-
room/201402123T035703/ttip-eu-abgeordnete-fordern-zurückhaltung-bei-verhandlungen-über-freihandel,
vom 13.2.2014, aufgerufen am 3.3.2017). Es wurde bis heute noch nicht ratifiziert.
Siehe dazu Pressemitteilung EU-Parlament, Interview CETA, 2017.
So meinen die Gegner zur vorláufigen Anwendung von CETA, dass dadurch die Parlamente der EU-
Mitgliedstaaten durch einen Beschluss des Rates der EU übergangen werden sollen um durch die vorläufige
Anwendung Fakten zu schaffen (siehe dazu Atfac Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im
Interesse der Bürgerlnnen, Was ist vorläufige Anwendung? in:
http://www. attac.de/kampagnen/freihandelsfalle-ttip/hintergrund/was-ist-vorlaeufige-anwendung/, Stand
Januar 2017, aufgerufen am 3.3.2017). Die Parlamentsdirektion von Osterreich hat über die notwendigen
Beschlüsse rund um das Freihandelsabkommen mit Kanada ein Rechtsgutachten erstellt
(Parlamentskorrespondenz Nr. 692 vom 17.6.2016). Demnach handelt es sich beim CETA-Abkommen um ein
.gemischtes Abkommen" der Union und ihrer Mitgliedstaaten weil sowohl EU-Kompetenzen als auch
nationale Kompetenzen betroffen sind. Somit stellt sich nach dem vorliegenden Rechtsgutachten die Situation
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