Wille weist darauf hin, dass der Staatsgerichtshof in seiner Praxis nach wie vor das
EWR-Recht als Verfassungsrecht im materiellen Sinne anwendet und
innerstaatliches Recht am Massstab des EWR-Rechts prüft. Darauf folgend hält er
fest, dass bei Heranziehung des EWR-Rechts als verfassungsrechtlicher
Prüfungsmassstab, dieses auf einer höheren Rangstufe als ein innerstaatliches
Gesetz stehen müsste. Unter diesen Umständen kann es möglicherweise auch
höher als das (formelle) Verfassungsrecht eingeordnet werden, dem das EWR-Recht
vorgehen kann.'5? Zum Anwendungsvorrang des EWR-Rechts nahm der StGH 2013
Stellung in StGH 2013/196.'9*
StGH, 2012/166: 9? |n dieser Entscheidung nimmt der StGH Stellung zum
allgemeinen Rangverhaltnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht. Eine
Prázisierung zum Rangverháltnis der verschiedenen Arten von Staatsvertrágen und
ihren inhaltlichen Normen (Grundrechts-, Gesetzes-, Verordnungscharakter) fehlt
hier jedoch.
,Nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes erlangen Vólkerrechtsnormen -
abgesehen von der Pflicht zur vólkerrechtskonformen Interpretation des Landesrechts -
aufgrund des von Liechtenstein anerkannten Adoptionssystems ohne formelle
Transformation direkt landesinterne Geltung. Dies gilt auch für allgemeine
Rechtsprinzipien und das Völkergewohnheitsrecht, worunter ebenfalls der völkerrechtliche
Vertrauensgrundsatz zu subsumieren ist. Solche wichtigen Völkerrechtsnormen haben
wie völkerrechtliche Verträge mindestens Gesetzesrang und können somit selbständig
eine gesetzliche Grundlage - auch für Grundrechtseingriffe — darstellen.“
Bussjäger, Kommentar 2015:'° Abschliessend und auf den Punkt gebracht, kann
Bussjäger zitiert werden (die gegenwärtig aktuellste Literatur zur Thematik
Rangverhältnis von Völkerrecht und Landesrecht in Liechtenstein). Seine Aussagen
decken sich zum grösstenteils mit den Ausführungen der Regierung aus dem Bericht
und Antrag zum Staatsgerichtshofgesetz von 2003 (siehe oben):
16$ gl. Wille, EWR-Abkommen, 2005, S. 120f.
1° Dazu der StGH in seinem einführenden Leitsatz 1 in der Entscheidung StGH 2013/196 in
www.gerichtsentscheide.li (abgerufen am 13.2.2017): „Nach ständiger Rechtsprechung des
Staatsgerichtshofes kommt dem unmittelbar anwendbaren EWR-Recht gegenüber entgegenstehendem
innerstaatlichem Recht ein Anwendungsvorrang zu, soweit dieses nicht gegen Grundprinzipien und
Kerngehalte der Grundrechte der Landesverfassung verstösst. Als Folge dieses Vorrangs wird nationales
Recht, welches dem unmittelbar anwendbaren EWR-Recht entgegensteht, automatisch verdrängt und ist im
konkreten Fall nicht anwendbar.“
185 StGH 2012/166 in www.gerichtsentscheide.li (abgerufen am 13.2.2017), 2012, Rz. 3.5 der Begründung.
166 Bussiáger, Kommentar, 2015, Rz. 90.
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