Volltext: Der Staatsvertrag in Liechtenstein und seine vorläufige Anwendung

völkerrechtlichen Verträgen komme  innerstaatlich mindestens Gesetzesrang zu. 
Staatsvertráge, die materiell Verfassungsrecht betreffen, stehen formal zwar unter der 
Verfassung, materiell aber über den Gesetzen (Übergesetzesrang). So haben 
beispielsweise die vier Grundfreiheiten des EWRA*' und die Grundrechte der EMRK 
aufgrund ihres qualifizierten Inhaltes materiell Verfassungsqualität. Sie bilden als 
inhaltliche Ergánzungen von Verfassungsmaterien Verfassungsrecht im materiellen Sinn, 
ohne Verfassungsrecht im formellen Sinn zu sein und stehen daher im Rang unmittelbar 
unter der Landesverfassung." 
Damit legt die Regierung unmissverstàándlich ihren Standpunkt zum Thema fest. Der 
Rang von rechtmässig inkorporierten Staatsvertrágen richtet sich 
verständlicherweise nach dem Inhalt der betreffenden Regelung. Somit wáre geklárt, 
dass Staatsvertragsrecht in alle Schichten (bis auf den Rang über der Verfassung) 
der Rechtsordnung Eingang finden kann. Den Grundfreiheiten (EWR-Abkommen, 
dazu siehe unten Wille) und Grundrechten (EMRK) werden aufgrund ihrer Inhalte 
klar materielle Verfassungsqualitát zugeschrieben. Ob diese essenziellen Rechte des 
Bürgers sogar über der Verfassung stehen, wurde bis zum heutigen Tage nicht 
beantwortet. !°° Denn auch der StGH lässt diese Frage unbeantwortet. Dies geht aus 
der Entscheidung des StGH 2009/202'* hervor: 
„Teilweise wird der EMRK in der Literatur auch Überverfassungsrang zugestanden [...]. 
Diese letztere Frage kann hier offen bleiben. Es genügt die Feststellung, dass die 
liechtensteinische Rechtsordnung gehalten ist, mit den Vorgaben der EMRK konform zu 
sein.'? 
Zum Schluss bezieht die Regierung Stellung zum Vorrang im Sinne des Stufenbaus 
der Rechtsordnung im Inland. So wird darauf hingewiesen, dass die vom LT 
genehmigten und im Gesetzesrang stehenden vólkerrechtlichen Vertráge jedenfalls 
den Verordnungen und auch den früheren Gesetzten vorgehen (Anwendung des lex- 
posterior-Grundsatzes). Staatsvertráge im Übergesetzesrang geniessen Vorrang vor 
der einfachen Gesetzgebung. Vorrang vor verfassungsrelevanten Staatsvertrágen 
hat jedoch die LV. 7? Ausserdem kónnen Bestimmungen, die materielle 
Verfassungsmássigkeit aufweisen, vom StGH überprüft werden. '*? 
  
154 Abkommen vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum, LGBI. 1995/68. 
155 ygl. Büssjáger, Kommentar, 2015, Rz. 88. 
156 StGH 2009/202 in www.gerichtsentscheide.li (aufgerufen am 10.2.2017). 
157 StGH 2009/202, Erw. 10.2. in www.gerichtsentscheide.li (aufgerufen am 10.2.2017). 
158 gl. Regierung, Staatsgerichtshofgesetz, 2003, S. 30. 
159 Kompetenz des StGH zur Überprüfbarkeit erfolgt aus Art. 104 Abs. 2 LV LGBI. 2003/186, dazu unten in 
Kapitel 3.3.6. 
30
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.