nicht sogar von einer Abnahme. Auswanderungen „als Ausdruck wirtschaftlicher Krisenzeiten“
standen auch während und nach dem erlebten Aufschwung durch die politischen Neuerungen
der 1860er an. Es zog die Auswandernden in mehreren Wellen (1845-1855; 1880-1884;
1905/1906; 1919-1929) ins Ausland, meist nach Nord- und Südamerika (insgesamt etwa 1600
Liechtensteiner_innen).>® Weiters sahen sich viele Familien dazu gezwungen, ihre Kinder auf
Saisonarbeit zu schicken, was sich in der sogenannten Schwabengängerei manifestierte, die
auch trotz „dem mehrfach wiederholten Verbot der Auswanderung von Kindern nach
Schwaben“ aufrechterhalten wurde.?”
Von Aussen, meist durch Landvögte und Landesverweser, wurde die liechtensteinische
Bevölkerung „eher negativ dargestellt.“ Der Landesverweser In der Maur (1884-1892)
attestierte den Liechtensteiner innen zwar „eine gewisse natürliche Intelligenz, Fleiss,
Geniigsamkeit, Sparsinn und Achtung vor fremden Eigenthum [...]*® hielt ihnen aber als
negative Eigenschaften , Unaufrichtigkeit, Bosheit, Neid und Scheelsucht, ausgeprägten
Fremdenhass — auch gegen inländische Fremde — und als hervorstechendes Ubel die
Unreinlichkeit“* vor. Das Sprichwort, dass der Féhn und der Neid die éltesten Liechtensteiner
seien, halt sich bis heute. Schuppler, Landvogt von 1808 bis 1827, liess sich zu der Aussage
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bewegen, dass „Gewalttätigkeit [...] ohnehin die zweite Natur der Liechtensteiner sei.
Entspringen wiirde diese Eigenschaft dem Blick auf die benachbarte Schweiz, „weil die
fürstlichen Untertanen „ununterbrochen jene Freiheit, die ihre Nachbarn geniessen, anstreben
oder affektieren“.““* Doch blieb die Bevölkerung Liechtensteins, „von bäuerlicher Tradition
geprägt‘, tendenziell konservativ und „patriarchalen Denkstrukturen zugeneigt“ meist ruhig
und radikalen Veränderungen eher abgeneigt. So verwundert es auch nicht weiter, dass laut der
Polizeiordnung von 1577 Ehebrecher und Ehebrecherinnen als ehr- und wehrlos angesehen
wurden und aus diesem Grund „von allen Gesellschaften, Festlichkeiten, Tänzen u.s.w.
ausgeschlossen [waren].‘“*? Die Sozialdemokratie kannte man „gottlob“ in Liechtenstein nur
dem Namen nach.“ Die Monarchie wurde demnach kaum in Frage gestellt und auch die
% Quaderer, Liechtenstein im 19. Jahrhundert, 18.
37 Burmeister, Schwabenkinder. In: HLFL. Bd. 2, 865.
38 Vogt, Rechenschaftsbericht des fiirstlichen Landesverwesers Carl von In der Maur, 45.
% Quaderer, Liechtenstein im 19. Jahrhundert, 18.
1° Ouaderer, Retardation, 65.
%* Ouaderer, Retardation, 65.
#2 Kaiser/Brunhart, Geschichte des Fiirstenthums Liechtenstein. Bd. 1, 379 / K. 345.; ,,Wer das vierte Mal des
Ehebruchs überwiesen wird, wird am Leben gestraft.“ Die Todesstrafe kannte man in Liechtenstein bis 1989.
Letztmals angewendet wurde sie 1785. Burmeister, Todesstrafe. In: HLFL. Bd. 2, 930.
43 Rheinberger im Brief an seinen Bruder David: „Die politischen Tagesfragen konzentrieren sich jetzt nur auf die
Socialdemocraten, die man Gottlob in Liechtenstein nur dem Namen nach kennt.“
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