1. Einleitung
Am 29. Juni/1. Juli 1984 führte das männliche liechtensteinische Stimmvolk im dritten An-
lauf in einer Volksabstimmung mit 2370 Ja-Stimmen gegen 2251 Nein-Stimmen das
Stimm- und Wahlrecht für Frauen ein. Damit ging eine lange politische Auseinanderset-
zung zu Ende, die seit den 1950er Jahren immer wieder mehr oder weniger heftig aufge-
flammt war. Zwanzig Jahre spáter, bei den Landtagswahlen 2005, schafften es bereits
sechs Frauen in den 25-kópfigen Landtag. Gegenüber 2001 schon eine erhebliche Steige-
rung. Damals wurden gerade mal drei Frauen in den Landtag gewáhlt, obschon sich im-
merhin 21 als Kandidatinnen zur Wahl stellten. In beiden Mandatsperioden sass eine Frau
in der Regierung. Der Frauenanteil von 2496 ist vergleichbar mit dem der Schweiz und Os-
terreich. Nach den Wahlen 2003 waren in der Schweiz 2596 Frauen im Nationalrat und
23.9% im Ständerat vertreten. In Österreich liegt der Frauenanteil seit Herbst 2006 bei
31.196. Wie ist es um die Frauen in der politischen Elite Liechtensteins bestellt? Liebig hat
in ihrer Studie zur Geschlechterungleichheit in wirtschaftlichen und politischen Führungs-
gremien der Schweiz das eidgenóssische Parlament als politische Elite bestimmt. Ich wei-
te diese Gruppe auf die Regierungsmitglieder aus, wie es Reichart-Dreyer in ihrer Analyse
gewáhlt hat. Sind die Frauen bloss eine nette Dekoration auf Wahlplakaten oder hat in den
vergangenen zwanzig Jahren ein Umdenken stattgefunden, so dass sie ein fester Best-
andteil in der politischen Landschaft geworden sind? Wie ist das Selbstverstándnis und
welches sind die Motive von Frauen, die sich in der Politik engagieren? Welche Strategien
haben die Frauen entwickelt, um sich in dieser Funktionselite zu behaupten? Was fórdert
Frauen auf ihrem Weg nach oben? Spielt die Herkunft eine Rolle, die Partei- oder Vereins-
zugehóérigkeit, die politische Erfahrung auf kommunaler Ebene oder vielleicht gar die Bil-
dung? In meiner Arbeit móchte ich diesen Fragen nachgehen.
Reichart-Dreyer hat in ihrem Beitrag , Von der Basis an die Spitze: Frauenaufstieg in den
Parteien der BRD* Karrierewege und Karrierebedingungen nachgezeichnet. Dies geschah
auf der Basis von teilnehmender Beobachtung und der Sekundáranalyse von jüngeren
wissenschaftlichen, biografischen und journalistischen Arbeiten. Durch die Kleinheit und
Besonderheit des Landes Liechtenstein fehlt es an solchen Arbeiten. Eine Analyse kann
jedoch unmittelbarer geschehen. Nebst den narrativen Interviews, die ich führen móchte,
stehen mir ausserdem die verschiedenen Parteiprogramme zur Verfügung, die ein allfálli-
ges Engagement für Frauenfórderung in Liechtenstein dokumentieren sollen. Ausserdem
hat Marxer zur Jubiláàumsveranstaltung ,20 Jahre Frauenstimmrecht" eine kritische Bilanz
verfasst, die mir weiter Aufschluss geben kann. Meyer hat sich mit den Motiven und dem
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