ohne Unterstützung einer Partei sich als Gegenkandidatin zur Verfügung stellte und das in
einer Gemeinde, die von einer Grosspartei dominiert wird. Ein weiterer Umstand, der ihre
Entscheidung für die Vorsteherkandidatur erleichterte, kann mit ihrem langjährigen Aufent-
halt in Deutschland in Zusammenhang gebracht werden. Laut X war für sie Emanzipation
oder das Engagement der Frauen in der Politik etwas Selbstverständliches und wurde
nicht hinterfragt (Interview X 31-40). Sie hatte sich beruflich etabliert, war alleinerziehende
Mutter und die Rückkehr nach Liechtenstein bedeutete nicht nur eine Rückkehr in ihre ge-
ografische Heimat, sondern auch eine Rückkehr in ein von Traditionen geprägtes Land.
Dies bekam sie vor allem während den Wahlen deutlich zu spüren. Dass sie sich als
alleinerziehende Mutter selbstbewusst zur Wahl stellt, stiess auf Unverständnis.
„Weil ... während den Wahlen mir die Leute gesagt haben, also, dass man dich
überhaupt wählen kann, dich, quasi ... eine Frau, die, die gescheitert ist, oder.
Für viele erfülle ich nicht das, was man ... gemeinhin als Karriere bezeichnet,
oder. Also typische Karriere für eine Frau ist, man ist verheiratet mit einem
Mann und zwei Kindern und ist etwa in der Beziehung nicht gescheitert und ich
muss ehrlich gestehen, dass ich halt in der Beziehung wirklich gescheitert bin.
Und für viele ist das undenkbar gewesen, dass eine Frau wie ich mit diesem
Lebenslauf wählbar ist“ (Interview X: 340-353).
Dieser Bruch mit dem traditionellen Bild der Frau spornte sie zusätzlich an, aktiv zu wer-
den. Birgit Meyer die in ihrem Beitrag die Frauen in der Politik und Wirtschaft in der Bun-
desrepublik genauer betrachtet hat, stellte fest, dass die heute politisch aktiven Frauen
anders sozialisiert wurden. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen nahm zu, das Bildungsni-
veau stieg an, Ehescheidungen wurden häufiger. Traditionelle Institutionen und Leitbilder
erodierten und mit der gesellschaftlichen Modernisierung konnte ein Wandel des traditio-
nellen Geschlechterverhältnisses ausgemacht werden (Meyer 2000: 197). Dieser Wandel
eröffnete den Frauen eine Vielfalt von individuellen Lebensgestaltungsmöglichkeiten und
Bewusstseinsformen. Die Familie entwickelte sich hin zu einer „postmodernen Familie“
(Meyer 2000: 199). Dieser gesellschaftliche Wandel, den Meyer hier beschreibt, hat in
Liechtenstein mit einiger Verzögerung auch Einzug gehalten. Ende der 90er Jahre, als X
zurückkehrte, dominierten traditionelle Rollenbilder und Lebensentwürfe die liechtensteini-
sche Gesellschaft. Der langjährige Aufenthalt in Deutschland hat X stark geprägt. Sie liess
sich von den kritischen Stimmen, die ihre Kandidatur negativ kommentierten, nicht beirren,
sondern besann sich auf ihre Fähigkeiten. Zusätzlicher Antrieb war für sie, dass sich nur
ein Kandidat, ein früherer Schulkollege, für das Vorsteheramt zur Verfügung stellte. Für X
hatte eine solche Wahl wenig mit Demokratie zu tun (Interview X: 99-100), „eine Wahl ist
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