Liechtenstein“ von 1847 bildete einen Markstein in der Entstehung eines liechtensteini-
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schen Nationalbewusstseins.
Fürst Johann II. gewährte Liechtenstein 1862 die erste und 1921 die zweite Verfassung auf
demokratischer Grundlage. Nach dem Ersten Weltkrieg wandte sich Liechtenstein wirt-
schaftlich der Schweiz zu. So trat 1920 der Postvertrag und 1923 der Zollvertrag mit der
Schweiz in Kraft. Zudem wurde 1924 der Schweizer Franken als gesetzliche Wührung ein-
geführt.
Minsts Burgenspiel von 1925 wurde also verfasst und aufgeführt zu einer Zeit, in welcher
die liechtensteinische Bevólkerung einen grossen Schritt in Richtung Volkssouveránitát
vollziehen konnte und sich gleichzeitig in den schweizerischen Wirtschafts- und Wáührungs-
raum integrierte. In Minsts Stück über den Schwabenkrieg behauptet sich die Besatzung der
Burg Gutenberg gegenüber den eidgenóssischen Belagerern, denen es trotz grossem Trup-
penaufgebot und vielen Kanonen nicht gelingt die Burg einzunehmen. Ob die Inszenierung
dieses Burgenspiels eine identitütsstiftende Absicht verfolgte, indem man sich gegenüber
der dominanten Schweiz als starkes, unabhängiges Land darstellen wollte, sei dahingestellt.
Auf jeden Fall wollte Minst das Schweizer Publikum nicht verárgern und hat deshalb sei-
nen Verráter anstelle eines Eidgenossen zu einem Italiener gemacht.
Es ist jedoch klar zu erkennen, dass auch Minsts Bühnenstück einzugliedern ist in die Reihe
der Narrationen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, welche aus einer nationalen Identitáts-
suche heraus entstanden sind. Die Geschichtswissenschaft jener Zeit wird heute als Histo-
rismus bezeichnet.
5.4. Historismus und Burgenromantik
Nebst der Geschichtswissenschaft hat sich die Bezeichnung Historismus auch in der Archi-
tektur durchgesetzt. Auch hier hat man sich in derselben Zeitspanne, vom 19. bis ins begin-
nende 20. Jahrhundert, an der Vergangenheit orientiert. Frühere Baustile wurden nachge-
ahmt und teilweise sogar kombiniert. Während sich in der bildenden Kunst und in der Lite-
ratur verschiedene Stilrichtungen entwickelten, verharrte die Architektur bis weit ins 20.
Jahrhundert hinein im Historismus. Getrieben durch ein aufstrebendes und geschichtsbe-
1^! Vg]. Brunhart, 1989, S. 9-32
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