Volltext: Ueber die Durchführung der Sozialversicherung im Fürstentum Liechtenstein

Deutschland zurückgelassen hat, war und bleibt 
die Sozialversicherung. Sie berühr auf dem 
Zwangssystem und hatte gerade deshalb be 
reits in den 10 ersten Jahren ihres Bestehens 
dreimal soviel geleistet wie die französische Al 
tersversicherung innerhalb 50 Jahren. *) 
lieber die Wirkung der deutschen Sozial 
versicherung im Einzelnen brauchen wir uns 
kaum näher einzulassen. Es genüge, in diesem 
Zusammenhang zu erwähnen, daß sie sowohl 
die Kranken- und Unfallversicherung, die Al 
ters- und Invalidenversicherung als auch die 
Hinterbliebenenversicherung umfaßt, daß dage 
gen der Risikoträger, der Kreis der versicherten 
Personen u. 2s. in jedem dieser Teile verschie 
den sind. — Ganz abgesehen von den direkten 
Wirkungen der Versicherung im einzelnen Fall 
und Hand in Hand damit von dem ungeheu 
ren Einfluß der Sozialversicherung auf die 
Konkurrenzfähigkeit von Handel und Industrie 
muß man erkennen, daß die Tragweite dieser 
Einrichtung sich auch in der Verwendung der 
angesammelten Kapitalien äußert. 
Treffend bemerkt der schweizerische Bun 
desrat in seiner Botschaft an die Bundesver 
sammlung „betreffend Einführung des Gesetz- 
gebungsrechtcs über die Jnvaliditäts-, Asiers- 
und Hinterlassenenversicherung und betreffend 
die Beschaffung der für die Sozialversicherung 
erforderlichen Bundesmittel", Seile 23, über 
die Wirkungen d. deutschen Sozialversicherung: 
„Bemerkenswert ist ferner die Art der Ver 
wendung der angesammelten Kapitalien, mit 
telst deren die Invalidenversicherung der 
Volkswohlfahrt im allgemeinen, dem Arbeiter 
wohnungsbau im besondern und überdies der 
Landwirtschaft dient. So sind bis Ende des 
Jahres 1918 für Wchlfahrtszwecke (Bau von 
Kranken- und Genesungshäusern, für Kranken- 
und Jnvalidenpflege, für Erziehung und Un 
terricht usw.) 701 Millionen Mark, für den 
Bau von Arbeiter- und Ledigenheimen 573 
Millionen Mark, fiir eigene 2snstalten (Kran 
kenhäuser, Lungenheilanstalten, Erholungs 
und Genesungsheime, Jnvalidenhäuser usw.) 
97 Millionen Mark und zur Befriedigung des 
landwirtschaftlichen Kredites 135 Millionen 
Mark, im gesamten also für gemeinnützige 
Zwecke der genannten Art 1 Milliarde 511 
Millionen Mark aufgewendet wurden." 
'1 Vergleiche Renfer, Gutachten über eine all 
gemeine Alters- und Invaliditäts-Versicherung 
für den Kanton St. Gallen, Schmid u. Co., St. 
Gallen (1908) Seite 115. 
Kein Wunder, wenn die deutsche Gesetzge 
bung im Gebiete der Sozialversicherung jetzst 
und früher als mustergültig gepriesen wurde 
und sogar den Franzosen immer als Vorbild 
vorgeschwebt hat! 
Ganz allgemein läßt sich sagen, daß die So 
zialversicherung die öffentlichen Armenlasten 
vermindert, weil sie der Verarmung vorbeugt. 
„Tie Armenpflege beginnt meistens erst dann, 
wenn die wirtschaftliche Existenz vernichtet ist, 
während die Versicherung gerade vorbeugt." 
Nicht unnötig wird es sein, auch noch die 
Notwendigkeit der Sozialversicherung hier zu 
betonen. Mit der durch die zunehmende Indu 
strialisierung der modernen Staaten einherge 
henden Umschichtung der Bevölkerung ist die 
Sozialversicherung fast zwangsweise verknüpft. 
Tie intensive Abwicklung des Erwerbslebens 
führt zu einem frühzeitigen Verbrauch der Ar 
beitskraft-, nach Prof. Dr. Moser (Vorlesun 
gen) könnte ein 20-jähriger Mann für die 
nicht produktive Zeit des Lebens, die durch In 
validität und das Alter allein bedingt ist, durch 
die ununterbrochene Arbeit von zwei Jahren 
Vorsorgen. Wollten wir aber auch für die künf 
tige Krankheitszeit durch die Arbeit frühester 
Mannesjahre vorbeugen, so käme noch eine 
weitere „Tienstzeit" von nahezu einem halben 
Jahre dazu! Zweieinhalb Jahre muß ein ins 
Erwerbsleben tretender Mensch arbeiten, um 
sich die Mittel, für die Tage der Krankheit, der 
Invalidität und des Alters zu erarbeiten. Welch 
merkwürdige und zum Nachdenken zwingende 
Parallele zur obligatorischen Tienstzeit der 
Großstaaten der Vorkriegszeit! 
Diese wenigen Zahlen mögen genügen. Sie 
sind der zahlenmäßige Ausdruck der Tatsache, 
daß es sich bei Alter, Invalidität, Krankheit 
und Tod um eiserne Naturgesetze handelt, de 
nen sich die Menschen nicht entziehen können. 
Umsomehr scheint es daher zwingend eine 
Pflicht des Staates zu sein, hier handelnd 
und helfend einzugreifen zum Wohle des 
Ganzen.
	        

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