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Grundsätze und Maximen der Aussenpolitik Liechtensteins
Im Zusammenhang mit den Engagements, die Liechtenstein der
EFTA und der EG gegenüber eingegangen ist, hat Kieber im Jahre
1990 mit Blick auf den Abschluss des EWRA festgestellt, dass die
liechtensteinische Aussenpolitik „an zwei Wegmarken des europäi-
schen Integrationsprozesses ... das Glück (hatte), sich nur um die
formal-souveränitätspolitische Seite des Problems kümmern zu müs-
sen ... Die Substanz der EFTA-Konvention stand ... nicht zur Diskus-
sion. Dies wiederholte sich ein zweites Mal im Jahre 1972, als es ge-
lang, Liechtenstein durch ein Sonderabkommen an dem zwischen
der Schweiz und der EG abgeschlossenen Freihandelsabkommen
teilhaben zu lassen. Heute steht für Liechtenstein beides zur Diskus-
sion: Seine völkerrechtlich-institutionelle Stellung ..., im Besonderen
aber die Substanz des EWR-Vertragswerkes"?33,
Diese Einschátzung ist paradigmatisch. Sie markiert nicht nur
den immer mehr von aussen diktierten Wandel der Beziehungsgefüge,
dem sich Liechtenstein — unter anderem im Sog der EG-/EU-Inte-
grationsbestrebungen - seit fast zwanzig Jahren gegenübersieht, son-
dern auch die Notwendigkeit, den Ausgangspunkt seiner Aussenpo-
litik immer wieder von neuem, d.h. „dauernd zu überprüfen und zu
iiberdenken”?34, und zwar in einer Umgebung, die sich sowohl eu-
ropa- als auch weltweit im Zustand einer unablässigen Transformation
befindet.
Was bedeutet dieser Umstand für die Aussenpolitik Liechten-
steins?
War die Wahrung der Souveränität während Jahren, wenn nicht
Jahrzehnten (oder sogar Jahrhunderten?95) der Urgrund der aussen-
politischen Öffnung Liechtensteins gewesen, sieht sich das Land seit
der „Zäsur“?% der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts vor
die Aufgabe gestellt, die von Kieber als ein „nahezu ideales Modell
Kieber (Sonderinteressen) S. 84 sowie nahezu gleichlautend Malin S. 51ff. Der Fairness
halber ist darauf hinzuweisen, dass die Einschátzung Kiebers in der Interpellationsbeantwor-
tung Nr. 11/1987 S. 24 der Regierung nicht nur angedeutet, sondern wie folgt vorwegge-
nommen worden ist: ,Für Liechtenstein steht ..., neben jeweiligen statusrechtlichen und ande-
ren Überlegungen, die Frage einer selbststándigen Mitarbeit in all jenen Bereichen im
Vordergrund, welche von den einschlágigen vertraglichen Regelungen zwischen Liechten-
stein und der Schweiz und den darauf beruhenden Sonderabkommen Liechtensteins mit der
EFTA und der EWG andererseits nicht erfasst sind".
Regierung (Interpellationsbeantwortung Nr. 11/1987) S. 16. sowie dies. (Zielsetzungen und
Prioritáten) S. 10.
Geiger S. 325: ,Aussenpolitisches Hauptziel der Fürsten war die Erhaltung der staatlichen
Selbständigkeit ihres Landes“.
Malin S. 55.
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