Rechts- und Verfassungsstaatlichkeit Liechtensteins ist damit nach
innen wie nach aussen untermauert worden.
Errungenschaften wie diese werden durch die Verfassung
vom 16. März 2003 von Grund auf in Frage gestellt. Auf der Grundlage
dieser Revision droht ein Verlust jener Bastionen, die der Staatsge-
richtshof nicht nur im rechts- und verfassungsstaatlichen, sondern
auch im aussenpolitischen Interesse verteidigt hat. An der Motivation
ihres Initianten gemessen?9^9 wirkt sich die Verfassung vom 16. März
2003 (auch) an der Schnittstelle zum Vólkervertragsrecht nicht refor-
mierend, sondern revolutionierend aus:
e Rangverhältnis. Negation verfassungsändernder oder —ergän-
zender vôlkerrechtlicher Verträge durch die Bestreitung der
Môglichkeit eines Verfassungsranges3647;
e Vorrangprinzip: Anerkennung eines Vorranges der LV (der
Verfassung vom 16. März 2003) vor vôlkerrechtlichen Verträ-
gen gleich welcher Rechtsquellenstufe vor allem durch die
Einführung einer Kompetenz des Staatsgerichtshofes zur
Überprüfung vólkerrechtlicher Vertráge auf ihre Verfas-
sungsmässigkeit°648,
3646 In einem Schreiben vom 4. Februar 2003 hat S.D. der Landesfürst dem Verfasser bestätigt,
dass für ihn ,die Verfassung (selbstverstándlich) einen hóheren Rang einnimmt als ein
Staatsvertrag. Würden Staatsverträge über der Verfassung stehen, wären die Souveränität
des Staates und das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung zerstört. Stünden Staatsver-
träge im gleichen Rang wie die Verfassung, würde dies zu unlösbaren Konflikten führen“ (die
Aufnahme dieses Zitates in diese Dissertation ist von Herrn Dr. Florian Krenkel, Berater S.D.
des Landesfürsten, in dessen Namen am 18. März 2003 ausdrücklich autorisiert worden). Der
Inhalt dieses Zitates steht mit den Aussagen Winklers (Analyse) S. 152 und S. 171f sowie
dess. (Stellungnahme) S. 34 in einer auffallenden Übereinstimmung: In seiner Stellungnahme
S. 34 hat Winkler im Rahmen einer Überprüfung der Verfassungsánderungsvorschláge S.D.
des Landesfürsten vom 2. August 2002 mit den von Liechtenstein abgeschlossenen vólker-
rechtlichen Verträgen erklärt, dass „der Verfassung von Liechtenstein gegenüber den hier in
Betracht kommenden europarechtlichen Vertragswerken ein Geltungs- und Verbindlichkeits-
vorrang zukommt" (Kursivstellung durch den Verfasser). Beide Aussagen - jene S.D. des
Landesfürsten in seiner Eigenschaft als Mitinitiant der Verfassungsánderungsvorschlàáge vom
2. August 2002, und jene Winklers in seiner Funktion als Rechtsgutachter und -berater S.D.
des Landesfürsten — bilden (subjektive und objektive entstehungsgeschichtliche) Erkenntnis-
quellen, die die Auslegung der Verfassung vom 16. Márz 2003, und zwar vor allem den Sinn
und Zweck von Art. 104 Abs. 2 erster Satz LV, determinieren und die keinen Zweifel daran
bestehen lassen, dass die Verfassung vom 16. Márz 2003 einen Vorrang des Landes- vor
dem Vólkervertragsrecht begründet.
3647 Siehe hierzu das 13. Kapitel Pkt. 4.2.2, die Regierung (BuA Nr. 88/2002) S. 7, wonach in
Zukunft davon auszugehen sei, dass völkerrechtlichen Verträgen „durch die Verfassung
grundsátzlich kein Verfassungsrang zuerkannt ist", sowie dies. (Schreiben vom 22. Oktober
2002) S. 4 im Anschluss an und in Übereinstimmung mit Winkler (Prüfung) S. 7.
3648 Siehe hierzu das 14. Kapitel Pkt. 4.2.2 sowie die Regierung (BuA Nr. 88/2002) S. 7: ,Einen
allgemeinen Grundsatz, wonach das Vélkerrecht dem innerstaatlichen Recht vorgeht, kennt
das liechtensteinische Recht nicht" sowie dies. (Schreiben vom 22. Oktober 2002) S. 4 im
Anschluss an und in Übereinstimmung mit Winkler (Prüfung) S. 7.
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