durchgesetzt; dem fast schon traditionellen Spannungsverhältnis zwi-
schen diesen beiden Rechtsordnungen ist er dadurch gerecht gewor-
den, dass er es - im Interesse von Rechtsschutz und Rechtssicherheit
— ausgeglichen hat.
Diese Errungenschaften bilden die (überwiegenden) positiven
Positionen der Bilanz seiner Praxis zum Verhältnis zwischen dem
Völkervertrags- und dem Landesrecht.
Negativ fällt ins Gewicht, dass der Staatsgerichtshof auf die
Wahrnehmung seiner ,verfassungsrechtliche(n) Leitfunktion“3842 als
,Hiiter”3643 nicht nur des Verfassungs-, sondern auch des Vôlkerver-
tragsrechts in einer Reihe von Schliisselfragen bis heute verzichtet hat.
Eine dieser Schliisselfragen bildet der Stellenwert des Vorrangprin-
zips; in diesem Zusammenhang fehlt nach wie vor jenes letzte Wort,
das ihm — dem Staatsgerichtshof — vorbehalten ist. Eine andere ist das
Verhältnis zwischen dem Völkervertrags- und dem Landesrecht in
einem technischen Sinne, d.h. die Frage, welcher Variante der Lehre
des Monismus’ die liechtensteinische Verfassungsordnung folgt. Bei
einer Antwort auf diese beiden Fragen wird der Staatsgerichtshof aus
einem Fundus schöpfen können, der in der Vergangenheit weder er-
kundet noch erschlossen worden ist. Art. 114 LV ist ein Beispiel hier-
für.
In den gleichen Zusammenhang fällt aber auch die vom
Staatsgerichtshof nach wie vor nicht in allen Teilen beantwortete
Frage nach dem Rangverhältnis zwischen dem Völkervertrags- und
dem Landesrecht sowie nach der Bedeutung dieser Frage für die
Durchsetzung des Vorrangprinzips. Die Konnotation dieser Proble-
matik richtet sich unter anderem auch auf die Möglichkeit eines Ver-
fassungs- oder gar Überverfassungsrangs völkerrechtlicher Verträge.
Schliesslich obliegt es dem Staatsgerichtshof, sich zur Rechtsnatur
des Wirtschaftsvertragsrechts auszusprechen und dabei auf die Cha-
rakteristiken dieses Rechtsbestands einzugehen: Im Unterschied zum
EWR-Recht hat der Staatsgerichtshof das Wirtschaftsvertragsrecht
auf seine materielle (nicht formelle) Verfassungsmässigkeit bis heute
nicht überprüft.
Entzieht sich der Staatsgerichtshof auch nur einer dieser Ob-
liegenheiten, wird dies nicht ohne Folgen bleiben. Indizien für diese
Gefahr bestehen schon heute: Unter dem Eindruck seiner Zurück-
haltung haben die Vollzugsorgane — wie z.B. die VBI — in ihrer Praxis
3642 StGH 1995/20, LES 1/1997 S. 38.
3643 StGH 1982/65/V, LES 1/1984 S. 4.
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