Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

Regelungs- und Ordnungsinstrument. Was dies bedeutet, liegt auf 
der Hand: Kleinstaaten wie Liechtenstein, die sich ihre Position in 
der Staatengemeinschaft mit einem fast schon märchenhaften Glück 
und Geschick erworben haben, sind auf eine gegenseitige Achtung 
gegenseitiger Rechte und Pflichten sehr viel existentieller angewiesen 
als andere Völkerrechtssubjekte. Dies gilt an jedem Ort der Dimensi- 
on Zeit und sollte - nochmals — vom Verfassungs- und vom (formel- 
len) Gesetzgeber ebenso wie vom Staatsgerichtshof berücksichtigt 
werden. 
Vor diesem Hintergrund ist es abzulehnen, volkerrechtliche 
Verträge ohne einen staats- oder souveränitätspolitisch zwingenden 
Grund auf die Probe und damit in Frage zu stellen — unabhángig da- 
von, ob es sich um Primär- oder um Sekundárrecht handelt. Eine Be- 
drohung oder gar Entleerung der ‚Identität‘ der liechtensteinischen 
Verfassungsordnung oder seiner Staatlichkeit darf nicht ohne weite- 
res angenommen werden - im Gegenteil: Das Bewusstsein für einen 
Schutz dieser Werte ist nicht nur den einen vólkerrechtlichen Vertrag 
abschliessenden (liechtensteinischen) Staatsorganen zu unterstellen, 
die - in ihrer Funktion als Unterhándler - ihre Handlungs- und Ge- 
staltungsbefugnisse nach Massgabe der LV auszuüben haben, son- 
dern auch den anderen Vertragsparteien. Davon, dass diese dem 
gleichen rechtsstaatlichen Erbe wie Liechtenstein verschrieben sind, 
ist — wie es der Staatsgerichtshof wiederholt festgestellt hat35/7 — vor 
allem in Bezug auf die Grundrechte im Allgemeinen und im Gel- 
tungsbereich der EMRK im Besonderen auszugehen?9/8, Wenn schon 
ein Einfallstor für eine Überprüfung vôlkerrechtlicher Verträge auf 
seine materielle Verfassungsmässigkeit geôffnet werden soll, dann 
darf dies nur unter diesem Verständnis geschehen?”9, Spezifika, d.h. 
3577 Siehe hierzu StGH 1994/18, LES 4/1995 S. 130. 
3578 Hoch (Grundrechtssprechung) S. 73 sowie in Bezug auf das „materielle Grundrechtsver- 
ständnis“, das auch der EMRK zugrunde liege „und aus diesem Grund jedenfalls bei auch im 
EMRK-Grundrechtskatalog beinhalteten Grundrechten zu beachten ist“ StGH 1998/20, n. 
publ., Pkt. 2 der Entscheidungsgründe, S. 20 des Entscheidungstextes, oder Westerdiek S. 
551 mit dem Hinweis auf die vor diesem Hintergrund eingeschränkte Möglichkeit, Vorbehalte 
(an der EMRK) anzubringen. 
3579 Sollte der Staatsgerichtshof an StGH 1998/61 festhalten, stellt sich eine besonders interes- 
sante Frage in Bezug auf Art. 18 Abs. 2 zweiter Satz HG: Gehórt das HG zum ,Kemgehalt' im 
Sinne von StGH 1998/61, sodass Art. 18 Abs. 2 zweiter Satz HG vom Staatsgerichtshof mit 
den Mitteln der Normenkontrolle auch gegen das Vólkervertragsrecht durchgesetzt werden 
muss, unabhángig davon, ob der betreffende vólkerrechtliche Vertrag auf der Stufe von LV 
und EMRK steht bzw. — wie das EWRA — verfassungsändernden oder -ergänzenden Cha- 
rakter besitzt? Wäre dem so, würde Art. 18 Abs. 2 zweiter Satz HG zwar Genüge getan. Es 
ist jedoch unvorstellbar, dass sich Liechtenstein im 21. Jahrhundert als ein Staat offenbart, 
der einen weder mit dem Landes- noch mit dem Vôlkervertragsrecht vereinbaren Erlass über 
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