Volltext: Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staatsgerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein

Trotz dieser Hintergrundinformationen ergibt sich nicht ohne 
weiteres, wie Art. 104 Abs. 2 erster Satz LV zu verstehen ist und wel- 
cher Finalitát er dient?935, So wählen vor allem die beiden Studien 
Winklers und Kohleggers dort zwei unterschiedliche Ansátze, wo auf 
den Sinn und Zweck dieser Revision eingegangen wird3556, Die Re- 
gierung macht in ihrem Schreiben vom 22. Oktober 2002 den An- 
schein, dass in Zukunft von der Existenz eines ,vólkerrechtlichen" 
und eines ,innerstaatlichen’ (staats- bzw. verfassungsrechtlichen) 
Geltungsgrunds der von Liechtenstein abgeschlossenen vôlkerrecht- 
lichen Vertráge auszugehen sei — wobei die dem Staatsgerichtshof 
übertragene Kassationsbefugnis nicht den ,vólkerrechtlichen', sondern 
nur den ,innerstaatlichen' Geltungsgrund betreffe35?7, Diese Diffe- 
renzierung erinnert an das Modell eines gespaltenen Geltungs- und 
Anwendungsanspuchs des Vólkervertrags- im Landesrecht, wie es 
vor allem von Winkler vertreten?938 und — vor allem von Winkler — in 
jüngster Zeit akzentuiert worden ist?539. 
In ihrem Schreiben vom 22. Oktober 2002 wiederholt die Regie- 
rung den im Bericht und Antrag Nr. 88/2002 vertretenen Standpunkt, 
dass vôlkerrechtliche Vertráge ,keinen formellen Verfassungsrang 
erhalten (können)“, und bestätigt „in der neuen Zuständigkeit des 
Staatsgerichtshofes" den Grundsatz eines , Vorranges der Landesver- 
fassung vor den verfassungsrelevanten Staatsvertrágen "9540 (sic). 
beiden Studien um von einer Privatperson — S.D. dem Landesfürsten — eingeholte private 
Stellungnahmen Dritter handelt. Deshalb, weil diese Privatperson (S.D. der Landesfürst) je- 
doch gleichzeitig auch einer der beiden (Mit-)Initianten der Verfassungsánderungsvorschláge 
vom 2. August 2002 ist und weil die beiden Studien auf der website dieser Privatperson publi- 
ziert worden sind, wird ihnen der Charakter einer , Erklärungsschrift’ nicht abzusprechen sein. 
Insofern handelt es sich bei den beiden Studien im weitesten Sinne um Materialien. Erwáh- 
nenswert ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass die Studie Winklers (Prüfung) von 
der Regierung (Schreiben vom 22. Oktober 2002) weitgehend übernommen wird. Nuancen 
einer Abweichung bestehen nur in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Kassation verfassungs- 
widriger vólkerrechtlicher Vertráge. Bei der Suche nach einem Verständnis von Art. 104 Abs. 
2 erster Satz LV werden die Übereinstimmung, aber auch die Unterschiede zwischen den 
beiden Studien Winklers (Prüfung) und Kohleggers (Prüfung) und der Regierung (Schreiben 
vom 22. Oktober 2002) zu berücksichtigen sein. 
3535 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang immerhin auf Winkler (Analyse) S. 152f, wonach 
„die Erklärung für die Einführung der Kompetenz zur Prüfung von Staatsverträgen ... im 
Wandel des Verbindlichkeitsanspruches von Staatsverträgen (liegt)“ und dem das Völkerrecht 
prägenden „Selbstbestimmungsrecht der Nationen (Staaten) und Völker“ entspreche. 
3536 Während Kohlegger (Prüfung) S. 4f vor allem die Frage der formellen Verfassungsmässigkeit 
als Sinn und Zweck der Kompetenz des Staatsgerichtshofes unter Art. 104 Abs. 2 erster Satz 
LV akzentuiert, hebt Winkler (Prüfung) S. 9ff vor allem die Frage der materiellen Verfas- 
sungsmässigkeit hervor. 
3537 Regierung (Schreiben vom 22. Oktober 2002) S. 3f. 
3538 Siehe hierzu das 7. Kapitel Pkt. 2.1. 
3539 Winkler (Analyse) S. 147ff. 
3540 Regierung (Schreiben vom 22. Oktober 2002) S. 4. 
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