Liechtenstein in einem bestimmten Fall, d.h. einem bestimmten völ-
kerrechtlichen Vertrag gegenüber, von dieser Möglichkeit keinen Ge-
brauch gemacht, obliegt es dem Staatsgerichtshof, diesen Umstand
wenn auch nicht nur, so doch auch unter dem Gesichtspunkt von
Art. 2 LV (Gewaltenteilungsprinzip) zu berücksichtigen. Dies würde
bedeuten, dass der Staatsgerichtshof den Befund vor allem des Lan-
desfürsten und der Regierung, dass für eine (gänzliche oder teilwei-
se) Immunisierung des Landesrechts dem Völkervertragsrecht gegen-
über) kein Grund besteht, zu respektieren hätte — was einer
nachträglichen Geltendmachung einer oder mehrerer Reserven (vor
allem in Form eines ,Kerngehalts'-Konzeptes) die Legitimität entzö-
ge.
Doch wie dem staats- und verfassungsrechtlich auch sei: In je-
dem Falle ist eine Änderung „der Rechtswirkungen einzelner Ver-
tragsbestimmungen in der Anwendung“352! (dies ist der Sinn und
Zweck eines Vorbehaltes i.S.d. WVRK) von Vôlker(vertrags-)rechts we-
gen nur ex tunc (durch einen Vorbehalt) und nicht auch ex post (durch
den Staatsgerichtshof) legitim.
In den gleichen Zusammenhang fällt der Grundsatz der Par-
allelitát der Formen?9?? ebenso wie die Praxis des Staatsgerichtshofes
zur sog. ,political question-Doktrin", d.h. zu der sich selbst auferlegten
Nicht-Überprüfung von Massnahmen der Exekutive (Landesfürst
und Regierung; Art. 8 Abs. 2 LV) in den Fállen einer aussen- oder in-
nenpolitisch ,heiklen Frage^3923, Diese Selbstbeschrünkung entspricht
der ,aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz abgeleitete(n) Maxime des
sogenannten judicial self restraint^99?^, wie sie in Art. 29 Abs. 2 Bst. b
zweiter Unterabsatz LVG niedergelegt und vom Staatsgerichtshof
auf seine eigene Praxis zur Anwendung gebracht worden ist. Der Ef-
fekt eines Rückgriffs auf diese Maxime liegt darin, dass eine (ver-
waltungs-)gerichtliche Kontrolle nicht erfolgen kann.
Ohne messerscharfe Umrisse lautt StGH 1998/61 Gefahr, nicht
nur die Téatigkeit der Vollzugsorgane zu beeinträchtigen, sondern
auch die Position der Auswärtigen Gewalt, d.h. der fiir die Vertre-
tung Liechtensteins zuständigen Organe (Landesfürst und Regie-
rung). Dieses Risiko kann jedoch nicht im Interesse des Staatsge-
richtshofes liegen. Neben einem Rückgriff auf die Entscheidungs-
3521 Art. 2 Abs. 1 Bst. d WVRK.
3522 Siehe hierzu das 14. Kapitel Pkt 4.1.3.2.
3523 StGH 1998/56, LES 3/2000 S. 111 (Kursivstellung durch den Verfasser).
3524 StGH 1998/56, LES 3/2000 S. 111 (Kursivstellung durch den Verfasser).
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