der ,oberste(n) Aufgabe des Staates/9467 — und damit auch des
Staatsgerichtshofes. Die ,, Verfassung von 1921" ist jedoch die ,,kon-
stituierende und begrenzende normative Grundlage jedweder staat-
licher Entscheidungsgewalt“3468; „verborgene Kompetenzen“ beste-
hen ebenso wenig wie eine „Kompetenzvermutung zu Gunsten eines
Organs^9^69, An diesem Grundsatz darf nicht geriittelt werden.
Was bedeutet dies für eine Bewertung der Praxis des Staatsge-
richtshofes in StGH 1998/61? Die Antwort auf diese Frage liegt auf
der Hand: An der Feststellung, dass der Staatsgerichtshof in StGH
1998/61 über seinen Kompetenzkatalog hinausgegangen ist, obwohl
materielle (und umso mehr formelle) Zustándigkeitserweiterungen
nur durch eine Verfassungsünderung erfolgen kónnen, führt kein Weg
vorbei. Ohne eine solche Revision steht die Praxis des Staatsgerichts-
hofes in StGH 1998/61 ohne Rechtsgrundlage da, sie ist „nicht verfas-
sungsmässig konstituiert"?^/0, Die Rechtslage ist in diesem Zusam-
menhang die gleiche wie in Bezug auf eine Überprüfung des Vólker-
vertragsrechts auf seine formelle Verfassungsmássigkeit?^"!, Sollte
der Staatsgerichtshof an StGH 1998/61 festhalten wollen, muss er,
aus diesem Grunde, alles unternehmen, um diesem Erkenntnis ein
Fundament zu verschaffen.
Ein erster Ansatz könnte darin bestehen, einen dem Landes-
ebenso wie dem Völkervertragsrecht gemeinsamen Grundsatz anzu-
rufen, wonach es zu ,,Konstellationen"34^7? kommen kann, in denen
dem Landes- ein Vorrang vor dem Vólkervertragsrecht einzuráumen
ist (und nicht umgekehrt)?^/3, Ein solcher Grundsatz ist in der liech-
tensteinischen Verfassungsordnung in dem Umfang, in dem diese
die beiden Prinzipien der Verfassungs- und der Rechtsstaatsgewahr
kennt3474, jedoch nicht zu entnehmen. Einen zweiten Ansatz bildet
die Frage, ob materielle Erweiterungen des ,verfassungsrechtlich ab-
schliessend umschriebenen Kompetenzkatalog(s)“347® des Staatsge-
3467 Art. 14 LV sowie Art. 27 Abs. 1 LV: ,Der Staat sorgt für ein rasches, das materielle Recht
schützendes Prozess- und Vollstreckungsverfahren".
3468 Wille (Duale Staatsordnung) S. 112 sowie nahezu gleichlautend Batliner (Verfassungsrecht)
S.29.
3469 Batliner (Verfassungsrecht) S. 23.
3470 Becker (Überprüfung) S. 19.
3471 Siehe hierzu das 24. Kapitel Pkt. 3.1.1.
3472 Kley (Verwaltungsrecht) S. 55.
3473Dieser Ansatz scheint von Kley (Verwaltungsrecht) S. 55 (allerdings ohne Begründung)
vertreten zu werden.
3474 Siehe hierzu das 14. Kapitel Pkt. 4.1.3.
3475 Stotter (Kompetenzkatalog) S. 168.
628